Zwei Spotlights zur Situation in den USA

Seit der rassistischen Ermordung von George Floyd am 25. Mai in Minneapolis kam es in Portland, Oregon, jeden Abend zu antirassistischen Protesten der Black Lives Matter Bewegung – mittlerweile an mehr als 100 aufeinanderfolgenden Tagen. Die anhaltenden Proteste, die sich auch durch starke Polizeikräfte der Staates Oregon nicht eindämmen ließen, wurden zu einem landesweiten Politikum, spätestens als Trump Sondereinheiten der Bundespolizei gegen den Protest der föderalen Regierung einsetzen ließ. Diese Sondereinheiten waren berüchtigt, in unmarkierten Vans um Proteste herumzufahren und willkürlich Menschen zu verhaften und einzuschüchtern. Doch die Proteste hielten weiter an. Infolgedessen kam es zu einer starken Mobilisierung rechtsradikaler Kräfte, um die Bewegung in Portland niederzuschlagen. Neben kleineren Scharmützeln fuhr am 29.8. eine Karawane von Pro-Trump-Aktivisten in die Innenstadt von Portland, um Demonstrant*innen abzugreifen. Sie fuhren teils schwer bewaffnet mit Pick-Ups durch die Straße und sprühten mit Bärenspray oder schossen auf Passant*innen, die sie als politische Gegner einschätzten. Im Zuge dieser Eskalation wurde ein Aktivist der rechtsextremen Gruppe Patriot Prayer, Aaron „Jay“ Danielson, getötet. Es ist unklar, was genau geschehen ist. Aber am darauffolgenden Donnerstag veröffentlichte VICE TV ein Interview mit dem Antifa-Aktivisten Michael Reinoehl, der die Verantwortung dafür übernahm.
In diesem Interview sagte er, er habe bei den Black Lives Matter-Demos für Schutz gesorgt. Einer der Hauptorganisator*innen der Proteste in Portland bezeichnete Reinoehl als „Schutzengel“ für Demonstrant*innen. Er war bereits im Juli in Portland am Rande einer Demo angeschossen und verwundet worden, nachdem er in eine Auseinandersetzung eingegriffen hatte, in der einer der rechten Angreifer bewaffnet war.
Staatliche Liquidation von Antifa-Aktivisten in Portland, USA
Zu Erschießung von Aaron Danielson sagte Reinoehl, er habe in Notwehr gehandelt. „Ich sah all diese Fahrzeuge mit hasserfüllten Menschen auf der Ladefläche der Lastwagen rumschreien, und mit ihren Baseballschlägern Demonstrant*innen bedrohen, die gerade da rumstanden“. Um 20.45 Uhr sei er schließlich einem Freund zur Hilfe gekommen, der von Pick-Ups mit bewaffneten Pro-Trump-Demonstranten umringt war. „Ich habe jemanden gesehen, der ein lieber und enger Freund von mir in der Bewegung ist, der sich im Grunde mit all diesen Fahrzeugen konfrontiert hat“, erzählte Reinoehl „Und so ließ ich ihn wissen, dass ich hier mit ihm bin. Ich habe mich mit ihm an der Kreuzung vor den Foodtrucks wiedergefunden (eine wichtige Infrastruktur der Proteste), die von Pick-Ups und Autos mit Waffen umgeben waren.“
Reinoehl betonte, dass die Menschen, die an der Pro-Trump-Karawane teilnahmen, in diesen Lastwagen schwer bewaffnet seien und dass sie „nicht nur Paintball-Gewehre“ mit sich führten, wie in der Presse berichtet wurde. Er sei schließlich in eine Konfrontation mit einem Mann geraten, der ihn und einen anderen Demonstranten mit einem Messer bedroht haben soll. „Hätte ich nach vorne getreten, hätte er mich gepfeffert oder erstochen“, sagte Reinoehl. Handyvideos von Umgebenden zeigen die Situation. Dabei feuert ein Mann, der Reinoehl ähnelt und das gleiche Hals-Tattoo zu haben scheint, zwei Schüsse auf Danielson ab und geht dann weg. „Ich war zuversichtlich, dass ich niemanden unschuldig getroffen habe, und habe mich zurückgezogen“, sagte er.
„Wissen Sie, viele Anwälte schlagen vor, dass ich gar nichts sagen sollte, aber ich halte es für wichtig, dass die Welt wenigstens ein bisschen von dem mitbekommt, was wirklich vor sich geht“, sagte Reinoehl. „Ich hatte keine Wahl. Ich meine, ich hatte die Wahl. Ich hätte dort sitzen und ihnen dabei zusehen können, wie sie einen schwarzen Freund von mir töten. Aber das wollte ich nicht tun.“
Zum Zeitpunkt der Konfrontation sei keine Polizei anwesend gewesen. „Es war definitiv niemand in Sicht, kein Polizist, niemand, der eingreifen konnte. Es war ein Freibrief für alle. Und die Polizei ließ es geschehen“, sagte er. Auch im Nachhinein bereue er seine Tat nicht. „Wenn das Leben von jemandem, der mir lieb ist, in Gefahr ist, und es gibt etwas, was ich tun kann, um es zu verhindern. Ich denke, dass jeder Mensch dasselbe tun würde“, sagte er.
Nach der Schießerei sei er untergetaucht und habe seine Kinder an einen sicheren Ort gebracht, nachdem wenige Stunden nach dem Vorfall Schüsse in sein Haus abgefeuert worden waren. Er wusste, dass er gejagt wurde, auch weil dies in sozialen Medien offen kommuniziert wurde. Er hatte sich nicht an die Polizei gewandt, weil er davon ausging, dass diese mit den Trump-Supporter*innen zusammenarbeiten würden und ihn oder seine Familie nicht schützen werde. Damit lag er wohl sehr richtig. Denn wenige Stunden nach Ausstrahlung des Interviews auf VICE TV, wurde Reinoehl von US-Sheriffs und FBI-Agenten erschossen. Zeugen berichteten, dass zwei SUVs neben Michael Reinoehls Auto heranfuhren und sofort 30 bis 40 Schüsse in sein Fahrzeug abfeuerten.
Der Generalstaatsanwalt Bill Barr feierte die Erschießung als Sieg für die Strafverfolgungsbehörden. „Das Aufspüren von Reinoehl – einem gefährlichen Flüchtling, bekannten Antifa-Mitglied und mutmaßlichen Mörder – ist eine bedeutende Errungenschaft in den laufenden Bemühungen, Recht und Ordnung in Portland und anderen Städten wiederherzustellen“. Der oberste Gesetzeshüter feiert eine staatliche Hinrichtung durch Bundespolizisten aus Rache für einen rechtsradikalen Aktivisten.
Rechter Terror als Ergänzung der Staatsmacht
Wenige Tage vor den Ereignissen in Portland kam es zum Massaker in Kenosha Wisconsin. Am 23.8. wurde in der Stadt im Norden der USA dem Afro-Amerikaner Jacob Blake vor den Augen seiner Kinder und vor laufender Kamera von zwei weißen Polizisten sieben Mal in den Rücken geschossen. Daraufhin kam es zu tagelangen Demos und Riots, bei denen auch ein Knast niedergebrannt wurde. In der zweiten Nacht des Protests konfrontierte ein bewaffneter 17-jähriger Rassist einen Demozug und erschoss eine Person. Beim Versuch, ihn zu entwaffnen, wurde ein weiterer Mensch erschossen und weitere schwer verletzt. Der Täter konnte sich anschließend unbehelligt hinter die Polizeilinie zurückziehen. Erst auf internationalen Druck hin wurde dieser zwei Tage später festgenommen. In der extremen Rechten in den USA wurde der 17-jährige Kyle Rittenhouse sofort zum Idol und zur Ikone erhoben. Sie sammeln Gelder, produzieren Merchandise und kleiden sich im Stil des Teenagers während der Tatnacht. Im Gegensatz zur Situation von Michael Reinoehl wurde von staatlicher Seite vielfach auf eine angebliche Notwehr-Situation von Rittenhouse hingewiesen. Dabei hatte sich dieser bewusst für einen bewaffneten Angriff mit der Demo positioniert, in dem er die Tötung von Demonstrierenden billigend in Kauf genommen haben muss. Und die Demonstrierenden hatten schlicht das versucht, was im Falle eines sogenannten Mass-Shootings in den USA propagiert wird – die militante Entwaffnung des Täters.
Kyle Rittehouse sieht sich in der Tradition weißer Freiwilligenverbände, die in Ergänzung der Staatsmacht in den USA tatsächlich kein neues Phänomen sind – sie waren von Anfang an integraler Bestandteil der Vereinigten Staaten. Während des größten Teils der US-Geschichte war der staatliche Repressionsapparat relativ klein, und die Machthaber verließen sich stark auf nichtstaatliche Kräfte bewaffneter weißer Männer, um die Unterdrückten – Indigene, Schwarze, Mexikaner und Asiaten – zu terrorisieren und unter Kon­trolle zu halten. Während der Schlüsselzeit der Industrialisierung von den 1870er bis in die 1930er Jahre verließen sich die Kapitalisten stark auf private Armeen wie die „Pinkerton Detective Agency“, um Arbeiter einzuschüchtern, zu schlagen oder zu töten, die versuchten, Gewerkschaften zu organisieren oder zu streiken. Noch in den 1970er Jahren sponserten Bundessicherheitsbehörden rechtsradikale Organisationen wie die „Legion of Justice“ und die „Secret Army Organization“, um Linke auszuspionieren, Räume zu verwüsten und physisch anzugreifen. 1979 half ein Undercover-Agent des „U.S. Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms“ bei der Planung der Operation, die zum Massaker von Greensboro führte, bei dem eine Koalition von Klansmen und Nazis fünf Linke bei einer Anti-Klan-Kundgebung ermordeten.
Insgesamt ist jedoch Terror durch Freiwilligenverbände im letzten halben Jahrhundert tendenziell zurückgegangen, da die herrschende Klasse sich von traditionellen Organisationen wie dem Ku-Klux-Klan distanziert hatte, während große Teile der White Supremacist-Bewegung die Loyalität zum Staat aufgab und der eigene Unterdrückungsapprat des Staates zudem viel größer und mächtiger wurde. Aber jetzt ist unter Trump ein neuer Vorstoß zu erleben, wo die Repression nicht-staatlicher Akteure wieder neben dem modernen Sicherheitsstaat Einzug hält.
Aber auf der einen Seite haben wir eine Welle von Protesten, Aufständen und Streiks gegen Polizeigewalt und weiße Vorherrschaft, die alles übertrifft, was die USA seit Jahrzehnten erlebt. Auf der anderen Seite haben wir einen Präsidenten, der White Supremacy fördert, routinemäßig Regierungsfunktionen seinen persönlichen Interessen unterordnet und gewaltig gegen seine Gegner droht und feuert. Bewaffnete Rechtsextreme sammeln sich bei der Polizei, teils, weil sie Angst vor einer Revolte der schwarz geführten Arbeiterklasse haben, und teils, weil sie Trump trotz Vorbehalten immer noch als populistischen Führer im Krieg mit fest verankerter Elitemacht sehen. Ihre de facto Loyalität könnte dazu führen, Trumps Bemühungen, im Amt zu bleiben, mit extralegalen Mitteln zu unterstützen oder sich in eine bewaffnete Opposition verlagern, falls sie Trump aufgeben oder er aus dem Amt scheidet. Das Szenario eines Putschversuchs oder eines Bürgerkriegs in den USA steht im Raum.
Collage und Übersetzungen von Texten von itsgoingdown.org

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