Schließung des alten Containerlagers Oberursel – Ende gut, alles gut?

Das Containerlager Oberursel gehört der Geschichte an. Nach vielen Jahren des Protestes gegen die menschenunwürdigen Zustände, wurde im Frühjahr 2016 mit dem Neubau von neuen Container-Wohneinheiten begonnen. Wieder entstand ein großes Lager, in dem Geflüchtete von der Gesellschaft isoliert untergebracht werden. Nach anfänglicher Freude, dass die alten heruntergekommenen Container verschwinden, mussten die Betroffenen bald feststellen, dass sich damit neue Probleme für sie ergeben sollten. Eine Chronologie der Ereignisse.

Eine kurze Geschichte des Containerlagers und des Protestes

Am 15. Oktober 1990 wurden mit Geflüchteten aus dem Jugoslawienkrieg die ersten Asylsuchenden in der Containerunterkunft im Gewerbegebiet „An den drei Hasen“ in Oberursel untergebracht. Betrieben wurden die beiden zweigeschossigen Containergebäude, in denen bis zu 240 Personen untergebracht waren, im Auftrag des Hochtaunuskreises. Aufgrund des maroden Zustandes, der schlechten hygienischen Bedingungen, der Überbelegung und des mangelhaften Brandschutzes wurde das Lager schon bald als Sinnbild einer menschenfeindlichen, ausgrenzenden Asylpolitik bundesweit berühmt. Die Verhältnisse in der Sammelunterkunft wurden von den dort untergebrachten Geflüchteten und den sie unterstützenden Gruppen massiv kritisiert. So prangerte beispielsweise der hessische Flüchtlingsrat 2011 an, dass der reiche Hochtaunuskreis die höchste Quote an Lagerunterbringung in ganz Hessen und gleichzeitig das schlechteste und größte Lager im Land habe.

Um ihren Protest gegen das Containerlager in die Öffentlichkeit zu tragen, organisierten sich 2011 rund 150 Geflüchtete gemeinsam mit der Anti-Lager-Gruppe des Aktionsbündnisses Rhein Main und anderen Aktivist*innen. Es wurden regelmäßige Versammlungen im Lager veranstaltet, ausführliche Pressemitteilungen formuliert und gemeinsame Protestaktionen organisiert. So wurde beispielsweise am Hessentag, der in Oberursel stattfand, symbolisch ein Container aufgestellt, der exakt die Maße der Wohncontainer hatte, in dem die Geflüchteten leben müssen. Ein Höhepunkt der Proteste war 2013 auch die Besetzung eines seit Jahren leerstehenden Hauses in Oberursel. Durch die Aktion wurde belegt, dass es eben doch ungenutzten Wohnraum in der Stadt gibt, was von den Verantwortlichen stets geleugnet wurde. Die Bewohner*innen machten ihrem Ärger in zahlreichen offenen Briefen und Interviews Luft: „Tiere haben bessere Wohnungen als wir!“, „Ich kann seit Jahren keine Freundin haben, wo soll ich denn hingehen…“, „Wir brauchen Wohnungen mit sauberen Küchen und sauberen Toiletten, wo wir gesund leben können.“Während dieser Zeit wurde auch bei vielen Geflüchteten die Abschiebung durch gemeinsame Anstrengungen verhindert.

2014 wurde der Versammlungsraum im Lager von den Betreibern zu Wohnraum umfunktioniert und damit versucht die Selbst-Organisierung der Bewohner*innen zu verhindern. Es fand sich eine kleine Gruppe überwiegend „neuer“ Aktivist*innen, die seither ein Café unter dem Namen „Refugee Café Oberursel“ (RCO) betreiben, um weiterhin einen Raum für Selbst-Organisierung zu schaffen. Sehr wichtig war und ist dabei die Kontinuität, auch wenn die Aktivist*innen gewechselt haben. Es geht nicht um kurzfristige Events, sondern um langfristigen gemeinsamen Kampf. Dass Veränderungsprozesse so lange dauern, ist eine Herausforderung für die Aktivist*innen. Aber was die Geflüchteten aushalten müssen, erfordert eben auch von uns einen langen Atem. Aus diesem wöchentlichen Café heraus wurden Picknicks, ein Asylrechts-Infoabend und der Besuch von Demos und anderen politischen Veranstaltungen organisiert. Die bisher größte Aktion war ein gemeinsam mit anderen Gruppen organisierter Workshop der Gruppe Women in Exil, der im Sommer 2016 von rund 60 geflüchteten Frauen*aus der Umgebung von Frankfurt, Darmstadt, Marburg und dem Hochtaunus­kreisbesucht wurde.

Abriss Teil I – Zwangsverlegung und zweite Migration

Nachdem erste Zusagen, das Lager zu schließen, bereits 2011 öffentlich wurden, begannen im Frühjahr 2016 tatsächlich die Arbeiten für die Errichtung einer neuen Container-Unterkunft auf dem gleichen Grundstück. Den Bewohner*innen war zuvor zugesagt worden, dass sie in die neue Unterkunft würden umziehen können. Es war für alle ein Schock, als sie kurz vor dem Abriss die Mitteilung bekamen, dass sie auf den Hochtaunuskreis verteilt werden. Für die Bewohner*innen war das eine Zwangsverlegung und bedeutete eine zweite Migration. Weder wurde ihnen mitgeteilt, wohin sie umziehen würden, noch hatten sie die Möglichkeit, gegen diese Zwangsverlegung Widerspruch einzulegen. Dies bedeutete, dass das soziale Netz, das sie sich mit viel Mühe aus ihrer isolierten Situation heraus geschaffen hatten, mit einem Schlag wieder zerschlagen werden sollte. Nachdem sie viele Jahre in der versifften und menschenunwürdigen Unterkunft ausgeharrt hatten, entstand direkt vor ihren Augen eine neue Unterkunft, in die sie nicht ziehen durften.

Die Bewohner*innen protestierten gemeinsam mit uns und den ebenfalls vor Ort sehr aktiven Teachers on the Road gegen die unfreiwillige Verlegung. Sie organisierten unter anderem eine Protestkundgebung vor dem Landratsamt in Bad Homburg. Am Tag des geplanten Umzugs waren auch Frankfurter Gruppen vor Ort, um als Beobachter*in den Umzug kritisch zu begleiten. Einige Bewohner*innen weigerten sich, in die bereitgestellten Taxen zu steigen und fanden zunächst im zweiten Containergebäude einen befristeten Unterschlupf. Die übrigen wurden in alle Ecken des Hochtaunuskreises verteilt und waren teilweise darüber sehr verzweifelt.

Abriss Teil II – No More Container!

Vom Umzug zunächst nicht betroffen waren diejenigen Geflüchteten, die bereits eine Anerkennung als Asylbewerber*innen haben. Für deren Unterbringung ist der Hochtaunuskreis nicht zuständig. Sie wohnten nur deswegen noch im Lager, da sie auf dem angespannten Oberurseler Wohnungsmarkt bisher keine Bleibe gefunden hatten. Da nicht vorgesehen war, dass diese anerkannten Geflüchteten in die neue Unterkunft umziehen, musste sich die Stadt Oberursel etwas einfallen lassen. Bei einer Informationsveranstaltung Ende August präsentierten die nun Verantwortlichen aus dem Obdachlosen-Referat die aus ihrer Sicht optimale Lösung. Für die anerkannten Geflüchteten sollten sogenannte Mobilheime aufgestellt werden. Jeweils vier Anerkannte sollten sich einen dieser ursprünglich für Ferienaufenthalte konzipierten Wohnanhänger mit 31 qm Wohnfläche teilen – inklusive Küche und Sanitärraum wohlgemerkt. Für diese beengte Unterbringung ohne abschließbare Räume oder Schränke verlangt die Stadt pro Person 450 EUR Miete.

Nachdem viele der anerkannten Geflüchteten bereits seit Jahren in den alten Containern gewohnt hatten, war die Angst groß, dass sie nun weitere Jahre in den kleinen „Containern“ verbringen würden. Die Privatsphäre ist dort noch weiter eingeschränkt. Geflüchtete und RCO-Aktive diskutierten, welche Art des Protest geeignet sei. Wir zogen zusammen vor das Oberurseler Rathaus mit der Aktion „Keine Container und Lager mehr – Menschenwürdige Wohnungen für alle!“. Um das Problem sichtbar zu machen, hängten die Geflüchteten Plakate mit ihren individuellen Gründen auf, warum es für sie unmöglich ist, in die Mobilheime zu ziehen.

Einige Auszüge (gekürzt):

„Ich bin M. und ich lebe seit 2014 in Oberursel im Containerlager. Meine drei Kinder sind immer noch in Eritrea; meine Frau ist gestorben. Ich möchte meine Kinder zu mir holen, aber dafür brauche ich eine Wohnung.“

„Ich bin F. und bin seit 5 Jahren beim Rathaus angemeldet für die Wohnungssuche und suche aktiv nach einer Wohnung. Ich arbeite in Oberursel wo meine Schicht um 5 Uhr anfängt. Ich brauche dringend eine Wohnung in Oberursel.“

„Ich bin R., 22 Jahre alt und lebe seit dreieinhalb Jahren im Containerlager. Ich habe schon vier Mal einen Mietvertrag unterschrieben. Weil die Behörden aber die Miete nicht rechtzeitig überwiesen haben, haben die Vermieter den Mietvertrag wieder aufgelöst.“

„Ich bin chronisch krank und muss alle zwei Tage zur Dialyse. Ich bin seit drei Jahren im Containerlager und habe keine Wohnung gefunden. Im Krankenhaus wurde mir attestiert, dass ich aus gesundheitlichen Gründen nicht im Containerlager leben kann.“

Die Bewohner*innen waren entschlossen, sich dem Umzug zu widersetzen. Diese Phase des Widerstandes war für alle eine große Herausforderung. Es war nicht einfach, der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum die Geflüchteten sich weigerten, aus den jahrelang kritisierten Containern auszuziehen. Auch der Großteil der ehrenamtlich Tätigen in Oberursel hat den Widerstand der Geflüchteten an diesem Punkt abgelehnt. Die Stadtverantwortlichen und Ehrenamtlichen schlossen sich einem rassistischen Diskurs an, in dem sie die Protestierenden als ‚undankbar‘ bezeichneten und für rechte Ressentiments in der Stadt verantwortlich machten. Es zeichnete sich schnell ab, dass die Stadt nicht einlenken würde. Dies wiederum war schwierig den Geflüchteten zu vermitteln, die unsere Hinweise auf drohende Obdachlosigkeit teilweise als Abwiegeln verstanden. Insbesondere in dieser kritischen Phase zahlte es sich aus, dass durch den jahrelangen Café-Betrieb gegenseitiges Vertrauen aufgebaut wurde.

Die Bewohner*innen waren entschlossen, sich dem Umzug zu widersetzen. So kam es am 12. September 2016 zu einer Zwangsräumung des Lagers unter Beteiligung der Polizei. Bereits am frühen Nachmittag war sämtlicher Hausrat der Betroffenen auf den Gehsteig geräumt. Betroffene und Aktivist*innen harrten dort bis in die Nacht aus, um gegen die Räumung zu protestieren. Die erste Nacht verbrachten die Betroffenen bei Freund*innen. Da sich aber kein Einlenken der Stadt abzeichnete, blieb ihnen nichts anderes übrig als am folgenden Tag doch gegen ihren Willen in die Mobilheime einzuziehen.

Was haben die Proteste bewirkt?

Was war nun der Effekt der Proteste, war alles umsonst? Sicherlich nicht. Allein die massiven Proteste der letzten Jahre, die dem Hochtaunuskreis und der Stadt Oberursel immer wieder Negativ-Schlagzeilen bescherten, hatten sicher einen Einfluss auf die Entscheidung zum Abriss. Auch die Proteste gegen die Verteilung der Geflüchteten im Hochtaunuskreis führten zu einem kleinen Erfolg. Immerhin für fünf Personen, die mit Unterstützung der Aktivist*innen einen Antrag auf Rückverlegung gestellt hatten, hat der Hochtaunus­kreis noch eine Unterkunft in Oberursel gefunden. Auch war festzustellen, dass sich die Verantwortlichen bei der zweiten Verlege-Aktion etwas mehr Mühe gegeben haben, die Geflüchteten zu informieren. Sehr wichtig war außerdem, dass sie sich in dieser unmenschlichen Situation organisiert haben und für ihre Rechte und ihre Würde als Menschen eingetreten sind.

Widersprüche in der gemeinsamen Organisierung

Wir finden unabdingbar, dass wir unsere Privilegien reflektieren. Wir politisch Aktiven leben in einigermaßen gesicherten Lebensverhältnissen und haben Mittel, die den Geflüchteten fehlen. Dieses Verhältnis ist eine Herausforderung, mit der wir uns ständig auseinandersetzen müssen. Die Machtverhältnisse können wir nicht ausradieren, aber wir müssen immer wieder konkrete Bedingungen dafür schaffen, dass die Geflüchtete Akteure ihres Handelns bleiben. In den verschiedenen Protestaktionen ist es uns unterschiedlich gut gelungen.

Die Forderung bleibt: Wohnungen statt Lager!

Das Leben in Containerunterkünften – kleinen und großen – ist auf Dauer frustrierend, demotivierend, physisch und psychisch äußerst belastend, kurz: menschenunwürdig.
Wir fordern weiterhin die Abkehr von der Unterbringung in Lagern, mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche und bezahlbaren Wohnraum für alle. Der eklatante Mangel an Sozialwohnungen in Oberursel führt zu einer Konkurrenz ausrechnet unter den sozial schwächsten in der Gemeinschaft: Arbeitslosen, Alleinerziehenden, Geringverdienern und Geflüchteten, die zusätzlich schlechte Karten haben wegen einer verbreiteten rassistischen Einstellung von privaten Vermieter*innen. Die gleiche Lage erkennen, sich nicht spalten lassen und sich mit anderen zusammen zu schließen, ist deshalb essentiell. Wir werden weiter in Oberursel aktiv sein und Geflüchtete darin unterstützen, für ihre Rechte zu kämpfen. Personell brauchen wir dafür aber dringend weitere Verstärkung. Wer sich an Aktionen oder am regelmäßigen Café-Abend beteiligen möchte, ist uns daher sehr willkommen. Außerdem möchten wir ein Cafe mit Frauen* organisieren. Auch dafür suchen wir Mitstreiter*innen.

Refugee Café Oberursel

Kontakt über info@refugee-cafe-o.de
Café: Dienstags 20-22 Uhr im Café Portstraße, Oberursel