Der Atomkonflikt als Gesellschaftsspiel?

Vorsicht Hütchenspieler!

Als sich der erste Castor 1995 aus Philippsburg auf den Weg nach Gorleben machte, sprachen die Verantwortlichen noch davon, dass „in wenigen Jahren das Endlager in Gorleben“ zur Verfügung stehen würde. In weiten Teilen der Bevölkerung herrschte die Ansicht vor, dass es in Gorleben gar schon ein Endlager gebe und selbst in den 2000’ern berichtete die ZEIT aufwendig von der Tatsache, dass dies gar nicht so sei, sondern lediglich eine Zwischenlagerhalle im Gartower Forst stehe. Zwanzig Jahre später, 2015, entschließt sich der Bundestag dann, die ganze Suche noch einmal von vorne zu starten. Neben dem Eingeständnis, dass das Gerede vom Entsorgungsnachweis Gorleben reines Geschwätz war und selbst Optimisten der Atomfraktion ein sog. Endlager nicht vor 2050 in Betrieb sehen, wirft diese Situation die Frage auf, was denn in der Zwischenzeit mit den nuklearen Ewigkeitslasten passieren soll. Castoren sind auf eine Betriebsdauer von 40 Jahren ausgelegt, von denen der oben beschriebene Castor aus Philippsburg nun schon mehr als die Hälfte hinter sich hat. Absehbar wird es auch im Jahr 2035 kein Endlager geben, und so wird sich dann die Frage stellen, was mit der Büchse geschehen soll. Die einfachste und auch wahrscheinlichste Lösung wäre eine „Laufzeitverlängerung“, wie sie in den USA z.B. auch bei AKW üblich sind, die nun reihenweise 60 Jahre lang laufen dürfen.
Eine andere Variante wäre die Brennelemente „einfach“ in einen neuen Castor umzupacken. In Gorleben gäbe es dazu im Gegensatz zu den meisten anderen Zwischenlagern auch eine „heiße Zelle“, die Pilotkonditionierungsanlage, die für solche Zwecke gedacht, nur leider technisch auf dem Stand der späten 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ist.
Es ist also absehbar, dass auch nach dem möglichen Ende des Betriebs von Atomanlagen in Deutschland zahlreiche Atomtransporte quer durch die Republik stattfinden werden, wenn sich herausstellt, dass entweder die Castoren oder die Zwischenlager nicht mehr so wirklich funktionieren. Das Ganze erinnert dabei an die Tricks von Hütchenspielern, die durch behändes Verschieben von Spielfiguren den Eindruck erwecken, diese seien verschwunden, auf jeden Fall nicht dort, wo mensch sie vermutet.
Los geht das Spiel übrigens nicht erst in zwanzig Jahren, sondern sofort: in 2017. Nachdem das AKW Obrigheim (in der Nähe von Heidelberg) 2005 endlich stillgelegt wurde, sollen 2017 die dort noch vorhandenen Brennelemente verschwinden, damit die Betreiber endlich eine grüne Wiese, in diesem Fall eine Streuobstwiese am Neckar, vorweisen können.

Blöd nur, dass Atommüll die garstige Eigenschaft hat, nicht einfach zu verrotten oder zu verschimmeln. Auch mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des AKW sind die dort gelagerten Brennelemente ebenso tödlich wie 2005. Damit die Hütchenspieler aber sagen können, „hier issa nich“, muss der Müll woanders hin. Das Ganze wird sicherlich nicht so behände ablaufen wie bei anderen Hütchenspielern, aber der Trick bleibt der Gleiche.

Seit Anfang 2016 wird in Obrigheim ein Verladekran an den Neckar gebaut, um die 15 Castoren in insgesamt fünf Fuhren á drei Castoren mit einem Binnenschiff nach Neckarwestheim zu verfrachten, wo sich am gleichen Fluss ein weiteres AKW befindet. Der Atommüll ist dann natürlich nicht weg, sondern nur 40 km entfernt in einem anderen Zwischenlager, aber voilà: in nur zehn weiteren Jahren gibt es in Obrigheim eine „grüne Wiese“.

Und weiter geht’s. Seit 1993 stapeln sich im Zwischenlager Jülich die plutoniumhaltigen Brennelemente des ehemaligen Forschungsreaktors in 152 Castoren. Mittlerweile ist die Betriebserlaubnis des Zwischenlagers aus verschiedenen Gründen erloschen und der Dreck soll weg. Eine Möglichkeit wäre der Export per Schiff in die USA, in die Atomwaffenfabrik Hanford, die im Umgang mit Plutonium für den Bombenbau ja Übung hat, eine andere Möglichkeit wäre der Transport ins nächstgelegene Zwischenlager, in diesem Fall Ahaus.

Dutzende Transporte auf den Autobahnen NRWs stehen also an – ganz so geräusch­arm wird dieser Hütchenspielertrick wohl nicht.
Ach ja, und auch schon fast vergessen: der ganze Müll, der in den 80er und 90er Jahren nach Frankreich und Großbritannien gefahren wurde, muss ja auch wieder zurück, und Gorleben ist aus dem Spiel. Auch von 2017 an stehen daher Transporte von LaHague nach Philippsburg (ups, spielte das nicht vorhin schon eine Rolle), von Sellafield nach Brokdorf (ab 2020) und Ohu/Isar, und – hallo Rhein-Main-Gebiet! – nach Biblis an.

Im Gegensatz zu den leider oft verkannten Hütchenspielern, die tatsächlich Tricks drauf haben, kann mensch dies von den Betreibern der Atomanlagen und Zwischenlagern nicht behaupten. Bei einer Halbwertzeit von mehr als 20.000 Jahren im Falle von Plutonium und angesichts der Tatsache, dass es ein sicheres „Endlager“ nicht geben kann, erweist sich das Herumkutschieren von Atommüll nicht als Gesellschaftsspiel, sondern als Ausdruck von Ratlosigkeit die sich auch fortsetzen wird, wenn die Halbwertszeit der entscheidungstragenden Personen längst abgelaufen ist.

Darauf aufmerksam zu machen war das Anliegen dieses Textes und die Bitte, sich in die Proteste gegen die anstehenden CASTOR-Transporte einzubringen, auch wenn die in Spätzle-Country, d.h. im Tal des Neckars stattfinden werden.

Derzeit informieren Aktivist*innen auf einer Infotour die Bewohner*innen der Anliegergemeinden über die Risiken des „Atommüll-Shuttles“ auf dem Neckar. In Heilbronn ist für den 4. März eine Demonstration geplant.

Infos: www.neckar-castorfrei.de