Urteil im Brandstifter-Prozess

Dies ist die gekürzte und zusammengesetzte Version zweier Texte. Originale und weitere Hintergrundartikel auf https://www.rheinmain-doku.org

Am Freitag den 8. Januar 2021 wurde das Urteil im Prozess gegen den Brandstifter Joachim Scholz gesprochen. Betroffene der Anschlagsserie hatten unmittelbar vor Urteilsverkündung die Entpolitisierung im Verfahren kritisiert:

Die Motivation des Täters wurde nicht untersucht

Gericht und Staatsanwaltschaft bemühten sich, die Tatabläufe zu rekonstruieren und die Indizien und Beobachtungen zu werten, die Joachim Scholz belasten. Doch sie interessierten sich ausschließlich für kriminalistisch-technische Aspekte. Gänzlich ausgeklammert blieb die wichtige Frage, warum die Taten begangen und nach welchen Kriterien die Ziele gewählt wurden. Auch der psychologische Gutachter streifte diese Fragen nur am Rande. Aus dem Gutachten und nahezu allen Zeug:innenaussagen ergibt sich bei Scholz das Bild einer Person, die stets planvoll, zielstrebig und kontrolliert handelte. Dennoch blieben seine Einlassungen, wonach er betrunken gewesen sei und auch nicht wisse, warum er dies getan habe, unhinterfragt im Raum stehen. Denn die Fragen nach dem Motiv und der Auswahl der Ziele hätte unweigerlich die Frage nach einer politischen Motivation aufgeworfen. Das wollten Gericht und Staatsanwaltschaft offensichtlich vermeiden.

Falsche Behauptungen über die Auswahl der Ziele

In ihrem Plädoyer folgte Staatsanwältin Jacobi von Wangelin den Einlassungen von Scholz, wonach er alle seine Ziele nur zufällig ausgesucht hatte. Diese Annahme ist bei den Anschlägen in der Metzgerstraße und auf das Lila Luftschloss, weswegen Scholz angeklagt war, absurd. Am 21. Dezember 2018 besuchte Scholz mit Bekannten den Hanauer Weihnachtsmarkt. Danach ging er zum Kneipenabend ins Autonome Kulturzentrum Metzgerstraße, wo er in einem Nebenraum Feuer legte. Das Haus befindet sich in einer unbelebten Seitenstraße weit abseits der Wege, die Scholz hätte gehen müssen, um zu einem der Hanauer Bahnhöfe zu gelangen, von denen er nach Hause hätte fahren können. Auch wies vor Ort kein Aushang und keine Reklame darauf hin, dass dort ein Kneipenabend stattfand. Scholz unterhielt sich in der Metzgerstraße mit Anwesenden über die Serie von Brandanschlägen auf linke Projekte und zeigte sich darüber gut informiert. Diese Gespräche erwähnte Jacobi von Wangelin sogar in ihrem Plädoyer. Dennoch soll Scholz an diesem Abend nur zufällig in der Metzgerstraße gelandet sein?

Schon vor Juli 2019 hatte Joachim Scholz das feministische Wohnprojekt Lila Luftschloss im Frankfurter Nordend bei Behörden denunziert – er hatte sich also schon intensiv mit ihm beschäftigt und feindete es an. Am 26. Juli 2019 zu später Stunde ging er über das Nachbargrundstück zum Lila Luftschloss und zündete einen Busch an, der an dessen Fassade reicht. Im Prozess sagte ein Polizist aus, dass der Anschlag nach polizeilicher Einschätzung gezielt verübt wurde und dass Scholz den »optimalen Weg« über das Nachbargrundstück gekannt und genommen habe. Er nannte das Lila Luftschloss »links oder alternativ« und sprach davon, dass der Täter dieses habe „angreifen“ wollen. In ihrem Plädoyer ging Jacobi von Wangelin mit keinem Wort auf die Denunziation und auf die Aussage des Polizisten ein und auch nicht darauf, dass dieses und ein weiteres Wohnprojekt des Lila Luftschlosses im Frankfurter Ostend zuvor schon Ziele von Brandanschlägen waren. So mussten am 12. Dezember 2018 bei einem Anschlag auf das Lila Luftschloss im Nordend die anwesenden Personen von der Feuerwehr evakuiert werden. Nach Ausführung von Jacobi von Wangelin sei es dennoch reiner Zufall gewesen, dass Scholz bei dem Anschlag am 26. Juli 2019 ans Lila Luftschloss geriet, denn schließlich sei er ja über das Nachbargrundstück gekommen.

Das Politische der Taten und der Tatmotivation wurde konsequent ausgeblendet

Von Anfang an schien es, als hätten sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung darauf verständigt, bloß kein »politisches Fass« aufzumachen. Diesen Kurs hatte die Staatsanwaltschaft vorgegeben, indem sie das Verfahren nicht an eine Staatsschutz-Kammer gegeben hatte. Jacobi von Wangelin zog dies konsequent durch. Schon in der Anklageschrift fand sich kein Wort über die umfangreichen Ermittlungen des Staatsschutzes gegen Scholz, über dessen Nähe zur AfD und über seine Denunziationen gegenüber linken Projekten, die den Brandanschlägen vorausgingen. Dies im Prozess auszublenden, ist ein gravierendes Versäumnis von Richterin und Staatsanwältin. Im § 46 des StGB (Grundsätze der Strafzumessung) heißt es: »Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht: die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht (…).«

Unerwähnt blieb, dass Scholz 2017 und 2018 zweimal an die Alternative für Deutschland spendete. So überwies er im August 2018, drei Wochen vor dem Start der Brandserie auf linke Projekte, der Partei knapp 1.700 Euro. In welchem Verhältnis Scholz darüber hinaus zur AfD oder einer anderen rechten Gruppe stand, interessierte weder die Polizei in ihren Ermittlungen noch Richterin und Staatsanwältin.

Monatelang hatten die Staatsschutzabteilungen in Hanau/Offenbach und Frankfurt wegen der Anschlagsserie auf linke Projekte gegen Joachim Scholz ermittelt. Darüber wurden umfangreiche Akten angelegt, die in der Verhandlung ignoriert wurden. Dabei hatte selbst die Verteidigung angeregt, die führende Ermittlerin des Staatsschutzes, die für den Anschlag in der Metzgerstraße zuständig war, zu laden. Richterin Schröder lehnte dies mit den Worten ab: »Ich weiß nicht, wie uns das hier weiterbringen sollte.«
Seit 2015 hatte Joachim Scholz dutzende linke Projekte angezeigt oder wegen angeblicher Form- oder Rechnungsfehler bei den Behörden denunziert. Darunter waren auch mehrere Projekte, die Ziel der ersten Brandanschlagsserie waren, zum Beispiel das Lila Luftschloss. Diese Denunziationen hätten im Prozess behandelt werden müssen, um die Taten, die Persönlichkeit, die Motivation und die Zielauswahl von Scholz zu verstehen. Doch sie wurden verschwiegen, lediglich der Pflichtverteidiger von Scholz erwähnte sie in seinem Plädoyer.
Selbst wenn das Gericht zu dem Schluss gekommen wäre, dass aus den Taten von Scholz keine politische Gesinnung spräche, so hätte es die Frage nach einer politischen Motivation mindestens in den Prozess einführen und untersuchen müssen. Doch das tat es nicht. Im Gegenteil. Wenn diese Frage aufkam, wurde sie umgehend von Richterin und Staatsanwältin verworfen.

Betroffene der Brandanschläge wurden in einigen Fälle nicht angehört

Die Folgen, die eine Straftat für Betroffene hat, ist für die Strafzumessung erheblich. Wenn zum Beispiel eine Person traumatisiert wurde, wirkt sich das in der Regel strafverschärfend aus. Bei den meisten der 16 Brandanschläge, für die Scholz in diesem Prozess ursprünglich angeklagt war, waren Menschen unmittelbar betroffen. Dennoch wurden nur in einigen Fällen Geschädigte angehört.
Das Lila Luftschloss im Frankfurter Nordend war zweimal Ziel von Brandanschlägen. Beim zweiten Anschlag am 26. Juli 2019 war Scholz von einem Passanten gestellt worden. Diesen Anschlag räumte Scholz vor Gericht ein. Doch es wurden keine Bewohnerinnen des Lila Luftschlosses angehört. So blieben wichtige Fragen offen. Zum Beispiel, ob das Projekt bereits (andere) rechte Anfeindungen erlebt hatte oder welche Auswirkungen die Anschläge auf das Leben und Befinden der Bewohnerinnen hatten. (…)

Wer ist für die 7 Freilassungen von Joachim Scholz von Dezember 2018 bis Dezember 2019 verantwortlich?

Ein Polizist, der in der Brandserie im Herbst 2019 ermittelte, berichtete, dass Joachim Scholz alleine zwischen dem 20. Oktober und 27. Oktober 2019 viermal wegen Brandstiftungen festgenommen wurde. Doch trotz erdrückender Beweise wurde er jedes Mal wieder laufen gelassen. Der Ermittler erzählte von einem Gespräch, das er nach einer Festnahme mit Scholz geführt habe. Er habe Scholz gefragt, wie es nun weitergehe und Scholz habe gehöhnt: »So wie immer. Ich werde entlassen.«
So sind nunmehr acht Fälle zwischen dem 21. Dezember 2018 und dem 8. Dezember 2019 bekannt, in denen Scholz – meist auf frischer Tat – wegen Brandanschlägen festgenommen wurde. Siebenmal wurde er noch in der Nacht oder am nächsten Tag auf freien Fuß gesetzt. Er machte stets weiter, wobei bei mehreren Anschlägen Menschen in Gefahr gerieten.

Es muss geklärt werden, warum erst nach der achten Festnahme und über einem Dutzend Taten, bei denen er beobachtet oder erwischt wurde, eine Wiederholungsgefahr erkannt und Untersuchungshaft verhängt wurde.

Wieso konnten etliche Taten trotz Observation durch die Polizei geschehen?

Seit spätestens Anfang Dezember 2019 wurde Scholz von der Polizei aufwändig observiert. Auch am Abend des 3. Dezember 2019 begleitete ihn ein Observationsteam. Dieses verlor ihn aus den Augen, als Scholz auf ein Grundstück ging und im Keller eines Wohnhauses ein Feuer legte. Als Scholz das Grundstück verließ, hefteten sich die Polizist:innen wieder an seine Fersen – doch sie sahen nicht nach, was Scholz zuvor auf dem Grundstück getrieben hatte, was die Frage aufwirft, warum man ihn überhaupt beschattete. Nur weil eine Hausbewohnerin zu dieser Zeit vor die Tür trat und den Brandgeruch bemerkte, konnte das Feuer entdeckt und gelöscht werden, bevor es größeren Schaden anrichtete.

Schwer nachvollziehbar ist auch die Einsatztaktik am Abend des 8. Dezember 2019. Ein Observationsteam folgte Scholz bei seiner abendlichen Brandstiftungsrunde und löschte hinter ihm Brände, die er gelegt hatte. Erst bei seiner vierten Tat an diesem Abend schritten die Beamt:innen ein und verhafteten ihn. Ein Polizist, der an der Observation beteiligt war, sagte im Prozess aus, dass das Geschehen an diesem Abend »sehr dynamisch« gewesen sei. Einzelne Taten seien »hoch gefährlich« gewesen und es wäre mit Sicherheit zu Personenschäden gekommen, wäre die Polizei nicht vor Ort gewesen. Andererseits betonte er, dass die Polizei die Situationen unter Kontrolle hatte und deshalb das Geschehen so lange hat laufen lassen können. Seine Aussage wirkte widersprüchlich, doch das Gericht ließ auch dies so stehen.

Ein ernüchterndes Fazit

Die Dreistigkeit und Überheblichkeit, mit der Landgericht und Staatsanwältin in diesem Prozess alle politischen Aspekte ausblendeten, lässt uns Betroffene wütend und ratlos zurück.
Vor allem die Ausführungen von Staatsanwältin Jacobi von Wangelin, wonach Scholz nur zufällig beim Lila Luftschloss und in der Metzgerstraße gewesen sei, sind derart hanebüchen und ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, dass man sich die Frage stellt, was sich eine Staatsanwältin eigentlich an Verdrehungen und Unwahrheiten erlauben kann, ohne dafür Konsequenzen zu erfahren.

Seit Jahren häufen sich Anschläge und Drohungen auf Menschen und Projekte, die nicht in das Weltbild von Rechten passen. Bei vielen Taten gibt es auffallende Ähnlichkeiten im Profil der Täter, die nicht nur wir in mehreren Artikeln beschrieben haben: Männer, die sich für überlegen halten, die andere Meinungen und Lebensentwürfe nicht ertragen und immer im Recht sein wollen, die ein tristes Leben führen und überzeugt sind, dass alle anderen ihnen gegenüber bevorteilt werden. Und die sich in ihrem autoritären Denken und ihrer Wut nie »nach oben« richten, sondern stets gegen die, von denen sie glauben, dass sie gefälligst unter ihnen zu stehen hätten. Das Narzissmus, wahnhafte Vorstellungen und rechte politische Gesinnung schlüssig zusammenwirken, wird mittlerweile überzeugend erklärt. In Teilen der Frankfurter Justiz ist dies noch nicht angekommen. Sie klammert sich offensichtlich noch immer an den Aspekt »Persönlichkeitsstörung«, um sich nicht mit rechter Gesinnung und Motivation beschäftigen zu müssen.

Die 4. Große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt unter Vorsitz von Richterin Schröder und die Staatsanwaltschaft in Person von Jacobi von Wangelin hatten die Aufgabe und die Chance, diese Erkenntnisse im Prozess gegen einen rechten Brandstifter zu verwerten. Doch sie weigerten sich. Sie entschieden sich bislang für die klassische hessische Linie der Justiz bei rechten Straftaten, die seit vielen Jahren in der Kritik steht: Leugnen, was geleugnet werden kann – Entpolitisieren, was entpolitisiert werden kann – und alles möglichst geräuschlos und prozessökomisch abwickeln.

Das Urteil

Scholz wurde für insgesamt zehn Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Ob das Gesamtstrafmaß angemessen ist, mögen Jurist*innen beurteilen. Wir als Betroffene sehen den Prozess als gescheitert an, da die für uns wichtigen Fragen nicht im Ansatz beantwortet wurden. Für uns ist der Fall Scholz jedoch noch längst nicht abgeschlossen: Wir werden diesen weiter aufarbeiten und uns in den nächsten Wochen und Monaten wieder zu Wort melden. Wir planen unter anderem dazu eine Publikation sowie eine Veranstaltung, auf der wir ein Fazit unserer Arbeit ziehen.
Wir wissen jedoch auch, dass es viele Menschen gibt, die von rechten Straftaten und einer nachfolgenden Ignoranz der Gerichte und der Polizei betroffen sind. Als Zusammenschluss linker Wohnprojekte und Zentren hatten wir die Mittel und die Möglichkeit und zudem die Unterstützung vieler Menschen, dies offensiv öffentlich zu thematisieren und zu skandalisieren. Trotzdem war es uns nicht möglich, darauf hinzuwirken, dass Polizei und Justiz in Richtung eines rechten Motivs ernsthaft ermitteln. Viele Menschen, die von rechten Übergriffen, von Gewalt und Terror betroffen sind, haben nicht die Möglichkeiten, die Unterstützung und daraus resutierenden die Kraft, sich Gehör zu verschaffen, so wie wir das Dank unzähliger Unterstützer*innen konnten. Deshalb möchten wir abschließend nochmals deutlich machen, wie wichtig für uns die Unterstützung antifaschistischer Gruppen und Genoss*innen war, wie hilfreich die Gespräche mit der Opferberatungsstelle response waren und vor allen wie viel Kraft es uns gegeben hat, dass unzählige Freund*innen und Genoss*innen uns während der Anschlagsserie beim Wiederaufbau mit tatkräftiger Unterstützung und Spenden supportet haben, sich bei Nachtwachen mit oder für uns die Nacht um die Ohren geschlagen haben oder einfach mit uns den langen Atem hatten, bis zu diesem Zeitpunkt am Ball zu bleiben. Diese Formen der Solidarität wünschen wir uns für alle Betroffenen rechter Gewalt und rechten Terrors!
Wir haben einmal mehr erfahren, dass auf Polizei und Justiz kein Verlass ist. Wir setzen auf innerlinke Solidarität, antifaschistische Organisierung und Selbstschutz. Halten wir alle gemeinsam die Augen offen, wenn wieder mal die Rede von »verwirrten Einzeltätern« ist. Alerta antifascista!

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