Nr. 217

Intro

Seit unserer letzten Ausgabe vor drei Monaten scheinen Jahre vergangen zu sein. Dazwischen lag unter anderem: die Thüringer Ministerpräsidentenwahl nach Höckes Gnaden. Der rassistische Terroranschlag in Hanau. Und die aktuelle Corona-Krise, welche auch kurz die Produktion dieses Heftes in Frage gestellt hat. Bewusst haben wir uns aber dafür entschieden das wir dieses Heft nun machen und versuchen es mit eurer Hilfe über andere Wege als sonst interessierten Menschen zukommen zu lassen. Nach den ersten Wochen des sich Sortierens wird es höchste Zeit auch wieder über Nachbarschaftshilfe hinaus politisch aktiv zu werden, es ist nötig wie selten zuvor.
Hanau ist eine Zäsur. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freund_innen der Ermordeten. Wir sind in Gedanken auch bei den Dutzenden Überlebenden des Anschlags, die sich retten konnten, schwer verletzt wurden, um Minuten die Situation verpasst haben und allen anderen Überlebenden. Wir sind fassungslos, wir sind unfassbar traurig und wütend.

Auch wenn uns mehr Fragen als Antworten für zukünftiges antifaschistisches und antirassistisches Wirken als solches einfallen, gilt es sich zu erlauben auch unangenehmer Frage zu stellen, um ein „einfach weiter so“ zu verhindern. Anstatt fixer Antworten kann aktuell vieles nur im Aufbruch sein und vielfach ausprobiert werden. Eine dieser Aufbrüche sehen auch wir im Slogan MigrAntifa ausgedrückt – wie auch immer dieses Konzept sich genau noch füllen wird.

Tätern wie in Hanau, Halle oder Celle haben in ihrem Wahn das Gefühl legitim zu handeln wenn sie Menschen ermorden, weil es Rassist*innen und sonstige Chauvinist*innen gibt, die den ideologischen Rahmen für solche Männer setzen. Diese finden sich auch aber nicht nur in der AfD, sie sitzen auch manchmal in einer Kneipe bei Wächtersbach und drücken rassistische Sprüche oder sie sind auch mal in der SPD aktiv, die wie in Berlin eine Kampagne gegen Shish-Bars führt und damit die Ziele für Rassisten markiert. Hier freuen wie uns über geglückte Aktionen gegen Verantwortliche des rassistischen Framings und des Rechtsrucks und dokumentieren diese auch.
Ein Heft wie unseres kann keinen Platz für eine umfassende Analyse aller Aspekte der gegenwärtigen Corona-Krise bieten. Aber zumindest wollen wir einer Zusendung und einem Text aus anarchistischer Perspektive Raum geben. Warnungen zur Nutzung der Corona-App und zur Auswertung von Mobilfunkdaten haben wir draußen gelassen in der Hoffnung das nun auch die letzte Leser*in dieses Blättchens beginnt ihre Handynutzung zu überdenken und jeweils neu eine bewusste Entscheidung trifft, ob und wann sie ihr Überwachungsinstrument tatsächlich mit sich herumschleppt!! Und weil wir schon dabei sind: Vermeidet unbedingt einen Corona-Test. Ihr schenkt dem Staat und seinen Verfolgungsbehörden damit eure DNA für alle Zeiten.

Die staatlichen Auflagen gegen die Pandemie sorgen dafür das ein Teil unserer gewohnten Auslegestellen geschlossen hat oder kaum frequentiert werden. Wir hoffen deshalb auf eure Unterstützung. Danke schon mal an alle, die in dieser Situation sich ein paar Swings mehr einstecken, ihren Freund*innen in den Briefkasten werfen, Gefangenen schicken, als Papierflieger in die abgesperrte Unterkünfte segeln lassen, wenn die Kneipen wieder öffnen ein paar Exemplare dort liegen lasse oder sich sonstwie an der Zirkulation dieses Blättchens beteiligen.
Ach ja, der Corona-Krise ist die Chronik zum Opfer gefallen. Nächstes mal wieder.
LeaveNoOneBehind & schreibt Gefangenen
Eure, Swing
Texte bis zum 20.6. in die Briefkästen


Nach den rassistischen Morden in Hanau

Initiative 19. Februar eröffnet im Mai eine antirassistische Anlaufstelle

Wir waren und sind von den Schüssen be- und getroffen. Es bleibt eine riesige Wunde aus Trauer und Trauma, mit der wir in unserer kleinen Stadt zu kämpfen haben. Einige von uns hatten in den letzten Monaten „MigrAntifa“ mit vorangetrieben und waren dazu viel in Sachsen und anderen Orten rassistischer Übergriffe unterwegs. Natürlich sind wir auch in Hanau selbst mit institutionellem Rassismus konfrontiert oder mit der AfD. Aber es hat sich vor dem 19.2. niemand von uns vorstellen können, dass es unsere so migrantisch geprägte Stadt in dieser Dimension treffen könnte. Ein Einschnitt in unserem sozialen und politischen Alltagsleben, mit dem wir noch lernen müssen, umzugehen.

Die Initiative 19. Februar Hanau ist eine Form, Handlungsmöglichkeiten gegen die Lähmung durch das Schreckliche zurückzugewinnen. Die Stimmen der Angehörigen und Freund*innen der Opfer sowie der Überlebenden hörbar zu machen. Mit ihnen zu versprechen: Nichts wird vergessen. Mit allen Mitteln zu versuchen, eine lückenlose Aufklärung zu fordern. Und schließlich die rassistische Hetze und das Klima zu bekämpfen, die eine solche Tat möglich gemacht haben. „MigrAntifa“ wird in Hanau mit der Initiative 19. Februar eine neue Anlaufstelle bekommen.

Der rassistische Terroranschlag am 19. Februar in Hanau reiht sich ein in die Zunahme rechter und rassistischer Gewalt der letzten Jahre und Monate. Die Morde stehen im Kontext eines gesellschaftlichen Rechtsrucks und zunehmender Hetze, die über die AfD auch weit in die bürgerlichen Parteien und in die Regierungspolitiken hineinreicht. Es war zunächst tröstlich zu erleben, dass bei der zentralen Trauerfeier am 6. März 2020 in Hanau selbst ein Bundespräsident den strukturellen Rassismus thematisiert. Ausdruck dafür, dass es gelungen ist, eine gewisse Diskursverschiebung zu erreichen. Allerdings nützen schöne Worte wenig, wenn es kein Handeln mit sich bringt. Die NSU-Akten werden nicht offengelegt, Rechtsextreme verfügen weiter über Waffenscheine und es gibt keine Anzeichen, dass bei der Bundeswehr, im Polizeiapparat oder auch bei Behörden und in Schulen eine ernstgemeinte Entnazifizierung in Angriff genommen würde.

Vor diesem Hintergrund benötigt es dauerhafte unabhängige Strukturen und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit, die insbesondere die Stimmen der von Rassismus Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und sie zur kollektiven Selbstorganisierung ermutigt. Dafür soll die neu eingerichtete Anlaufstelle eine Infrastruktur bieten. In Hanau sind insgesamt weit über 100 Menschen durch die Morde vom 19.2. traumatisiert worden und in dieser Situation erscheint die Möglichkeit direkten Austauschs besonders wichtig. Die Anlaufstelle in der Innenstadt – und nicht zufällig in direkter Nähe zum ersten der beiden Tatorte – bietet mit zwei Räumen und über 150 qm genug Platz und dieses Angebot wurde von vielen Betroffenen schon in den ersten Tagen der informellen Eröffnung stark genutzt. Anfang Mai ist die offizielle Eröffnung geplant.

In den letzten Wochen wurde in vielen Gesprächen die Idee der Kampagne „19! – Gegen das Vergessen“ entwickelt. Es gibt vielfältige Vorschläge, in den kommenden Monaten – und sobald möglich auch wieder im öffentlichen Raum – jeweils zum 19. eines Monats gemeinsam aktiv zu werden. Insofern zielt diese Kampagne einerseits auf die unmittelbare Ermutigung der Betroffenen, andererseits soll sie in Hanau und über die Region hinaus mit regelmäßigen Aktionen Aufklärung zu den Morden sowie konkretes präventives Handeln gegen den Rechtsextremismus einfordern.

Die Kampagne versteht sich als Teil bundesweiter Bemühungen, Netzwerke von Betroffenen rassistischer Gewalt zu verstärken und neue Strukturen der „MigrAntifa“ sowohl gegen rechtsextremen Terror wie auch gegen den Alltagsrassismus aufzubauen. Nur wenn es an vielen Orten gelingt, einen breiten und insbesondere auch von unterschiedlichen migrantischen Communities mitgetragenen Widerstand zu entwickeln, wird es möglich sein, die Durchsetzung von Forderungen wie Entnazifizierung der Behörden, Offenlegung der NSU-Akten oder auch Entwaffnung von Rassist*innen konkret in Gang zu bringen.

Initiative 19. Februar in Hanau

„Nach den rassistischen Morden in Hanau am 19. Februar 2020 haben wir uns auf Mahnwachen, Kundgebungen und Beerdigungen ein Versprechen gegeben: Dass die Namen der Opfer nicht vergessen werden. Dass wir uns nicht allein lassen. Dass es nicht bei folgenloser Betroffenheit bleibt. Die Kameras und Politiker*innen verlassen jetzt wieder die Stadt. Wir bleiben. Wir gründen eine Initiative, um der Solidarität und den Forderungen nach Aufklärung und politischen Konsequenzen einen dauerhaften Ort zu geben. Wir werden nicht zulassen, dass der 19. Februar 2020 unter den Teppich gekehrt wird – so wie die unzähligen rechten Morde zuvor. Und auch nicht, dass erneut Täter geschützt und ihre Gewalt verharmlost werden.

Es braucht jetzt direkte Unterstützung für Betroffene, Kontakte zu Rechtsberatung und erfahrenen Anwältinnen, psychologischen Beistand und Umzugshilfe, finanzielle Unterstützung und unabhängige Aufklärung. Und es geht um mehr: Jugendliche und Erwachsene in Hanau sprechen in den letzten Tagen viel darüber, welche Alltagserfahrungen sie mit Rassismus machen – in der Schule, in der Kita, auf der Arbeit, in der Bahn. Auch für diese Gespräche braucht es einen Raum und Vertrauen. Gegen das Vergessen, gegen das Verschweigen, gegen die Angst. Diesen Raum wollen wir schaffen, mit allen gemeinsam, die ihn brauchen, hier, vor Ort.

Wir schaffen einen Raum des Vertrauens. Wir wollen politische Solidarität und Sichtbarkeit. Wir stehen für die Gesellschaft der Vielen. Hanau ist unsere Stadt, unser Zuhause. So ist es und so wird es bleiben. Hier sind die Angehörigen, Familien und Freund*innen der Opfer und Verletzten. Sie müssen gehört werden. Die nächsten Wochen, Monate und Jahre werden wir uns gegenseitig Halt geben. Und dafür sorgen, dass Konsequenzen gezogen werden – und dass nichts vergessen wird.“
https://19feb-hanau.org

Stellungnahme der Initiative 19. Februar Hanau zur rechtsextremen Motivation sowie zur Informationsblockade bezüglich der rassistischen Morde in Hanau

Was wir wissen:

  • Tobias Rathjen, der Mörder von Hanau, hatte bei seiner Tat am 19. Februar 2019 eine Waffe der Marke Czeska dabei, die er sich 12 Tage vorher bei einem lokalen Waffenhändler ausgeliehen hatte.
  • Auf der Webseite des Täters war ein weißer Wolf mit blauen Augen abgebildet.
  • Rathjen war in den letzten Jahren u.a. in Wyoming in den USA und in mehreren europäischen Ländern unterwegs und hat – wie unlängst vom Spiegel gemeldet – zweimal an „Gefechtstrainings“ in der Slowakei teilgenommen.

Wir wissen noch nicht:

  • ob – und wenn ja, wen – Rathjen am 19.02.2020 mit der Czeska erschossen hat.
  • ob er sich als „einsamer Wolf“ im nazistischen Konzept des „führerlosen Widerstandes“ verortet oder zumindest darauf bezogen hat.
  • ob er allein in der Slowakei war und ob er wie auch immer geartete Kontakte zu Rechtsextremen in Europa und/oder den USA hatte.

Wir fragen uns:

  • Ist es ein Zufall, dass Rathjen eine Czeska – die Mordwaffe des NSU – ausgeliehen und womöglich auch eingesetzt hat?
  • Ist es ein Zufall, dass er ein Symbol für seine Webseite verwendet hat, das eine historische wie auch aktuelle Geschichte des Nazismus hat?
  • War Rathjen – jenseits seiner Slowakei-Besuche – nur auf Urlaubsreisen in den anderen europäischen Ländern und in Wyoming?

Und wir fragen uns natürlich: Warum geben die zuständigen Behörden seit nahezu sechs Wochen keinerlei Informationen zum aktuellen Ermittlungsstand heraus? Nichts zu ballistischen Untersuchungen, nichts zu Rathjens Webseite und nichts zu seinen Auslandsaufenthalten. Eine faktische Informationsblockade, während aus dem BKA angebliche Zwischenberichte in die Medien kommen, die die rassistische Motivation der Morde relativieren, um dann wieder dementiert zu werden.

Wir versprechen: wir werden nichts vergessen und gemeinsam mit Angehörigen und Freund*innen der Opfer auf einer lückenlosen Aufklärung der Morde und deren Hintergründe bestehen.

Initiative 19. Februar Hanau am 7. April 2020


Die Katastrophe nach der Katastrophe

Weiterleben in Hanau nach dem 19.2. und in Coronazeiten – Bericht aus dem JUZ Kesselstadt geklaut aus der Süddeutschen Zeitung.

Bei uns im Juz – so nennen wir unser Jugendzentrum – hat sich vor Jahren ein Ritual eingebürgert, das allen sehr wichtig ist: Zur Begrüßung geben wir uns die Hand. Auch die älteren Jungs, die nur zum Billard spielen kommen, gehen als erstes zu uns Sozialarbeitern für einen kurzen Handschlag und ein Schwätzchen. Wir sind ein großes Jugendzentrum, bieten Hilfe bei den Hausaufgaben an, haben einen Tischtennisraum, PC-Arbeitsplätze, eine Boxhalle im Keller, einen Garten mit Basketballfeld und eine Küche, in der fast jeden Abend eine Gruppe gemeinsam kocht. An normalen Tagen kommen etwa 80 Jugendliche zu uns. Das sind 80 Handschläge. Seit den Morden sind daraus Umarmungen geworden. So viel umarmt wie in den letzten Wochen haben wir uns noch nie.

Unser Juz liegt genau zwischen dem Kurt-Schumacher-Platz, wo sechs Menschen erschossen wurden, und dem Haus des Täters. Man läuft keine Minute dorthin. An dem Abend muss der Täter bei uns vorbeigefahren sein, als wir gerade das Juz abschlossen. Das war um kurz nach 22 Uhr. Fünf der sechs Opfer kennen wir persönlich, drei von ihnen waren regelmäßig bei uns. Der Ferhat sogar jeden Tag. Ein paar Minuten, bevor er starb, habe ich ihm im Juz noch ein Würstchen im Brot in die Hand gedrückt und ihn dann verabschiedet. Die Schüsse habe ich nicht gehört, aber als ich im Auto saß, auf dem Weg nach Hause, habe ich mich über die Polizeiautos auf dem Kurt-Schumacher-Platz gewundert und bin ausgestiegen. Die Opfer lagen noch auf dem Boden. Wenn sie die Gesichter kennen und das Blut sehen, dann gehen sie nicht unbeschadet aus so einer Situation raus.
Alle unsere Jugendlichen sind nun traumatisiert. Viele waren mit den Opfern befreundet oder verwandt. Einige haben die Anschläge miterlebt. Auf dem Kurt-Schumacher-Platz aber auch in der Innenstadt. Zufällig saßen ein paar unserer Jungs dort in der Shisha-Bar, in der auch geschossen wurde. Drei Jugendliche, die wir gut kennen, wurden verletzt. Die Verflechtungen sind so vielfältig.

Nach dem Anschlag habe ich an mir selbst Symptome eines Traumas beobachtet. Morgens konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, nachmittags war ich hyperaktiv. Vielen Jugendlichen ging es natürlich deutlich schlechter. Sie weinten, brachen zusammen. Wir sahen auch eine Zunahme von selbstverletzendem Verhalten: Manche haben so doll gegen Türen geschlagen, dass ihre Hände bluteten.

Wir waren dann jeden Tag im Juz, auch an den Wochenenden. Haben mit den Jugendlichen gemeinsam getrauert und sind immer wieder zu den Gedenkorten gegangen, haben Kerzen entzündet. Wir waren auch gemeinsam auf den Demonstrationen in der Innenstadt. Dieser Zusammenhalt war wichtig für uns alle. Auch für mich. Natürlich habe ich mit meinen Freunden über den Anschlag gesprochen, und natürlich waren die unendlich betroffen. Aber niemand kann die Situation so nachfühlen, wie die, die dabei waren.
Wir haben Hilfe organisiert, traumatherapeutische Beratung, die im Juz stattfand, in gewohnter Umgebung, auch das war sehr wichtig. Seit dem 13. März ist das alles vorbei. Unser Juz wurde geschlossen, wegen Corona. Das ist eine Katastrophe, die auf die eigentliche Katastrophe folgt. Weil das einzige, was hilft, sich gemeinsam zu trösten, sich gemeinsam zu stärken, nicht mehr möglich ist. Die Jugendlichen kamen ja aus gutem Grund zu uns. Viele wohnen in beengten Verhältnissen. Viele Eltern wissen nicht, wie sie mit ihren Kindern nun umgehen sollen. Die sollen nun allein mit ihrem Trauma klarkommen? Ich weiß nicht, wo das noch hinführt.

Als unser Juz am 13. März ohne Vorwarnung von der Stadt geschlossen wurde, habe ich gedacht: Das ist ein riesiger Fehler. Wir konnten unsere Jugendlichen nicht mal darauf vorbereiten und sind dann mit Flyern durch das Viertel gelaufen, auf denen die Nummern unserer Diensthandys standen. Ruft uns bitte an!, haben wir den Jugendlichen gesagt. Wir sind für euch da! Fast alle sind ja seit den Anschlägen traumatisiert.

Auf meinem Handy haben sich seitdem zehn, vielleicht fünfzehn Jugendliche gemeldet – und ausschließlich praktische Fragen gestellt. Einer wollte zum Bespiel wissen, wie man das Geld bekommt, das den Familien der Opfer als Entschädigung zusteht. Niemand hat angerufen, um zu sagen: Mir geht es emotional total schlecht. Sowas machen unsere Jugendlichen einfach nicht. Die Hemmschwelle ist am Telefon viel zu groß. Vermutlich, weil die Jugendlichen das Gefühl haben, uns zu belästigen. Ein Anruf hat ja immer eine Absicht, ein Ziel. Im Juz unterhalten wir uns dagegen eher zufällig, spontan. Wir schwätzen einfach miteinander.
Nach den Anschlägen gingen in unseren WhatsApp-Gruppen tausende Nachrichten hin und her. Es wurden Fotos vom Tatort, von den Leichen geteilt, worüber sich einige aufgeregt haben. Konflikte wie diese spitzen sich jetzt zu: Neulich ist der Vater von einem der Opfer gestorben, er war schwer krebskrank. In der WhatsApp-Gruppe wurden dann Beileidsbekundungen verschickt – bis sich einer, der die Anschläge knapp überlebt hat, furchtbar darüber ärgerte: Weil er mit dem Thema Tod einfach nicht konfrontiert werden will. Die Nerven liegen blank.
In diesen kurzen, persönlichen Gesprächen mit den Jugendlichen spüre ich eine große Not. Einige sind völlig durch den Wind. Die glauben, die Welt geht unter. Dass es Krieg geben wird. Dass die Amerikaner einmarschieren. Die bräuchten dringend therapeutische Betreuung, aber auch das ist ja nun schwierig. Unsere gruppentherapeutischen Gespräche im Juz wurden natürlich eingestellt.

Ich kann nachvollziehen, dass die Jugendlichen noch immer auf den Straßen unterwegs sind und sich treffen. Zuhause teilen sich viele ein Zimmer mit ihren Geschwistern. Ihre Eltern wissen oft nicht, wie sie mit dem Trauma ihrer Kinder umgehen sollen. Die Spannungen steigen, das hören wir.

Das einzige, was unseren Jugendlichen gerade hilft, ist: gemeinsam zu sein. Neulich haben einige unserer Jungs zum Beispiel Fußball gespielt. Der Bolzplatz war zwar mit Flatterband gesperrt, aber das war ihnen egal. Dann kam die Polizei und meinte: Ihr dürft hier nicht kicken! Die Situation eskalierte, bis unsere Jungs in Handschellen abgeführt wurden.

Einer von ihnen war mit zwei der Opfer sehr eng befreundet. Sie wohnten im selben Haus. Seit den Anschlägen geht es ihm schlecht. Nun, in Handschellen, hatte er das Gefühl: Ich werde gerade vom Opfer zum Täter gemacht.
Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass das Bundeskriminalamt bald einen Bericht zu den Anschlägen von Hanau veröffentlichen wird, in dem der Täter offenbar als verwirrter Verschwörungstheoretiker beschrieben wird, hat das viele unserer Jugendlichen sehr empört. Auch mich. Natürlich war das ein rassistischer Anschlag und natürlich gehört dazu ein rassistischer Täter. Vom Himmel fallen solche Morde ja nicht.
Vielleicht hat der BKA-Bericht trotzdem etwas Gutes, denn er schärft die Diskussion um die Schuld. Seit Corona findet diese ja kaum noch vernünftig statt, sowohl öffentlich, als auch unter den Jugendlichen. Einige, mit denen ich gesprochen habe, hatten auf einmal eine ganz andere Sicht auf die Morde. Die sagten zum Beispiel, die Arena Bar – einer der Tatorte – sei ein Ort der Sünde gewesen. Weil dort Alkohol getrunken und an Spielautomaten gezockt wird. Dieser Ort sei zurecht getroffen worden und quasi der eigentliche Täter. Über diese religiöse Wahrnehmung, die plötzlich in die Diskussion kam, haben wir uns große Sorgen gemacht.

Es kursierten ohnehin schon einige krude Theorien unter den Jugendlichen, das fing bereits am Tag nach den Anschlägen an: Etliche Augenzeugen meinten, der Täter sei nicht allein gewesen. Oder hätte ganz anders ausgesehen als Tobias R.. Die waren felsenfest davon überzeugt. Solche Ausfallerscheinungen sind typisch für ein Trauma. Man kann sich nicht mehr richtig erinnern. Daraus ist dann bei einigen hier im Viertel die Überzeugung entstanden: Das, was die Polizei und die Medien sagen, stimmt alles nicht. Der wahre Täter lebt noch. Es gab Eltern, die ihren Kindern verboten, auf die Straße zu gehen, weil sie Angst hatten, dass der Täter noch rumläuft und ihre Kinder erschießt.

In unserer WhatsApp-Gruppe wurden auch Fake-Videos geteilt. Zum Beispiel, dass gerade 500 Neonazis durch Hanau laufen. Viele glaubten das, es gab einen riesigen Shitstorm. Und als neulich wegen der Corona-Pandemie ein NATO-Manöver abgesagt und danach Fotos von amerikanischen Soldaten im Netz geteilt wurden, glaubten einige unserer Jugendlichen, die marschieren hier nun ein. Corona sei nur der Vorwand für einen Krieg.

Warum viele Jugendliche nun so anfällig für solche Verschwörungstheorien sind? Ich denke, sie suchen verzweifelt nach einem Schuldigen und finden einfach keinen. Im Falle der Anschläge ist der Täter tot und kann nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Das können viele nicht akzeptieren. Verstärkt wird dieses Problem durch die faktische Informationsblockade der Polizei. Weil die Betroffenen nichts über die Ermittlungsergebnisse wissen, entsteht ein Klima, in dem Spekulationen gedeihen.

Hinzu kommt, dass sich einige Jugendliche nun selbst kriminalisiert fühlen, während sie sehen, dass der Vater des Täters geschützt wird. Er wohnt noch immer in dem Haus neben unserem Juz. Nach den Anschlägen nahm ihn die Polizei mit. Ein paar Tage später kam er zurück und es liefen Polizisten durchs Viertel, die unsere Jugendlichen warnten: Sie sollten den Vater in Ruhe lassen. Die Polizisten erwähnten auch, dass sie gehört hätten, dass die Jugendlichen Zäune in der Nachbarschaft eingetreten hätten. Diese Art der Kommunikation war in meinen Augen sehr ungut, die Polizisten hatten kein Fingerspitzengefühl.

Zur gleichen Zeit sammelte das BKA die Handys von einigen unserer Jugendlichen ein und verlangte die Zugangsdaten. Sie müssten in jede Richtung ermitteln. Dieses Vorgehen erinnerte mich ein wenig an die Zeit, als der NSU Migranten mordete, während die Polizei gegen die Familien ermittelte und in den Medien über die »Döner-Morde« berichtet wurde.
Am vergangenen Wochenende wurden nun tatsächlich zwei Autos angezündet, die dem Vater des Täters gehören. Das zeigt natürlich, dass es Menschen im Viertel gibt, die ihn für mitschuldig halten.


Dokumentation von direkten Aktionen in Folge des Anschlags

Frankfurt am Main, 21. Februar 2020
Farbe gegen Haus von Erika Steinbach
Gestern Nacht vom 20. auf den 21.02. haben wir Erika Steinbach in der Adolfstraße 32 in Frankfurt Eckenheim einen Besuch abgestattet. Wir haben das Haus mit dem Schriftzug „FCK NZS“ verziert und mit Farbflaschen beworfen.

Anlass war der rassistische Anschlag in Hanau, bei dem ein Nazi 10 Menschen ermordet hat. Das Material auf seiner Homepage zeichnet ein geschlossen misogynes, rassistisches und antisemitisches Weltbild. Die Tat wird in der etablierten Politik und in einschlägigen Medienhäusern entpolitisiert und als die Tat eines verwirrten Einzeltäters dargestellt. Auch wenn er alleine handelte, so sind seine Einstellungen in der Gesellschaft weit verbreitet und treffen nicht nur im Internet auf Zustimmung. Frauen*feindlicher, rassistischer und antisemitischer Müll ist längst in der sogenannten Mitte der Gesellschaft verankert und wird nicht nur von der AfD gefördert.

Erika Steinbach hat sich nach dem Anschlag in Hanau erneut besonders durch einen Tweet hervorgetan, in dem sie versucht die These des verwirrten Einzeltäters zu bekräftigen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge in welchen diese Tat passiert ist zu verneinen. Schon nach dem Mord an Walter Lübcke sah sich Erika Steinbach genötigt über ein Opfer rechter Gewalt herzuziehen. Sie gehört seit Jahren zu einer festen Größe in der gesellschaftlichen und politischen Rechten. Erst im rechten Flügel der CDU und im sogenannten „Bund der Heimatvertrieben“ dann, mit erstarken der AfD, bei einer teils offen faschistischen Partei in der Funktion der Geschäftsführerin der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Wir sind der Meinung, dass ein solch menschenverachtendes und zynisches Statement nach dem Anschlag in Hanau einer direkten Antwort bedarf.

Die Verantworung der AfD für das gesellschaftliche Klima, in dem rechte Anschläge geschehen ist offensichtlich und wir wollen hier nur in kleinem Maß darauf eingehen. Hervorzuheben ist, dass die hessische AfD in den letzten Monaten eine Kampagne gegen Shisha-Bars als „Hot-Spots von Clankriminalität“ geführt und damit in den Kanon von Medien und Staatsanwälten eingestimmt der Shisha-Bars schon seit längerem als solche brandmarkt. Dies dürfte den Täter in der Auswahl seiner Ziele zumindest bestärkt haben.

Wir müssen Rassismus, Antisemitismus und Misogynie in der Gesellschaft mit allen Mitteln und entschlossen entgegentreten. Wir können uns dabei nicht auf den Staat, seine Organe und seine Vertreter*innen verlassen, das haben die Vorgänge rund um den NSU, die Verankerung faschistischen Gedankengutes im Staatsapparat (u.a. Hannibal, Nordkreuz, „NSU 2.0“) und das Aufgreifen rassistischer Themen durch alle Parteien des politischen Spektrums zum Zwecke des Machterhalts/-gewinns deutlich gemacht. Die Heuchelei von Bouffier und Kaminsky kotzt uns an! Bouffier hat in der Aufarbeitung des Mordes an Halit Yozgat alles dafür getan eine Aufklärung der Verwicklung von Staat und Nazis zu verhindern. Claus Kaminsky hat in Hanau durch seine rassistische Rhetorik gegenüber jungen Migrant*innen eine Kameraüberwachung in der gesamten Hanauer Innenstadt durchgesetzt.

Wir schließen uns dem Aufruf der Hanauer Genoss*innen an eine Vernetzung mit migrantischen Communities voranzutreiben und uns gemeinsam gegen den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft zu organisieren. Wir greifen den Vorschlag zur Diskussion der Leipziger Genoss*innen auf, wie der Schutz von potentiellen Betroffenen von rechter Gewalt aussehen kann und welche Schritte wir als deutsche Linke unternehmen müssen um unsere eigene Ohnmacht zu überwinden. Viel zu lange haben wir uns insgeheim auf den Staat und seine Organe im Umgang mit rechten Terroristen verlassen!
Deshalb: Alle am Samstag um 14 Uhr zur bundesweiten Demo in Hanau, für einen kämpferischen Antifaschismus und ein deutliches Zeichen gegen den Rechtsruck!
Nazis und Rassist*innen immer und überall angreifen, gemeinsame Kämpfe organisieren und die Bedingungen für konsequenten Schutz vor rechtem Terror schaffen!

26. Februar Leipzig
„In der Nacht vom 25. auf den 26.02. haben wir das Auto von Marius Beyer vor seiner Haustür am Jadebogen 40 in Leipzig Engelsdorf angezündet. Marius Beyer ist aktives AFD Mitglied und sitzt im Stadtrat. Sein Freundeskreis ist in der Neonaziszene verankert, so verbringt er regelmäßig Zeit mit jungen Nazis wie Benedikt Hittinger u.A.. Nach den rechten Mordanschlägen von Hanau kann es kein Weiter-So geben. Wir fordern alle Antifaschist*innen bundesweit auf, den Druck zu erhöhen. Hanau darf sich nicht wiederholen. Diejenigen, die die Verrohung des gesellschaftlichen Diskurs zu verantworten haben, müssen das nun selber zu spüren kriegen“

2. März Gablenz (Sachsen)
Das Auto des sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla ist ausgebrannt, der AfD-Bundeschef wurde leicht verletzt.

04. März Eppstein
Heiko Scholz (AFD) markiert
In einem Facebookeintrag vom 04.03.20 schreibt die AFD Hessen:
„In der Nacht vom 03.03 auf den 04.03.2020 wurde das Haus des AfD-Abgeordneten Heiko Scholz beschmiert. Mit dunkelbrauner Farbe wurde „Scholz AfD hat mitgeschossen“ auf die Fassade seines Hauses aufgetragen. Heiko Scholz wurde um 04:00 Uhr von der Polizei geweckt und auf den Schaden aufmerksam gemacht. Der Schaden wird auf 3000 bis 5000 Euro geschätzt“
Das ein paar couragierte Antifaschist_innen die Brandstifter_innen beim Namen nennen und sich die Mühe gemacht haben mal bei Heiko Scholz in Eppstein vorbei zu schauen, scheint für große Empörung zu sorgen.
Von „Einschüchterungsversuchen wie in der DDR“ und „Verbreiten von Angst“ ist die Rede. Wir finden: Richtig so!
Mehr unruhige Nächte und Angst für die Verantwortlichen des Rechtsrucks. Nachahmung erwünscht!
Den die Afd hat ganz sicher mitgeschossen!

9. März Stuttgart
„Als runder Abschluss des diesjährigen Frauenkampftags, haben wir das Haus von Ursula Rüdenauer in der Schwefelbaumstraße 14 (Stuttgart-Vaihingen) angegriffen. Damit ist sie Teil einer Partei welche gegen Geflüchtete hetzt, den Klimawandel leugnet und welche Frauen und ihre bereits erkämpften Errungenschaften angreift. Auch die Täter von Halle, Hanau und co. hatten neben rassistischem Hass und Antisemitismus noch ein weiteres Feindbild: Frauen und Feminismus.“

10. März Berlin
Auto von Nicolaus Fest (AfD) abgebrannt
„In der vergangenen Nacht wurden bei der Doppelhaushälfte von Gottfried Curio in der Knesesbeckstraße (Lichterfelde) die Scheiben eingeschlagen. Ein paar Farbflaschen landeten am und im Haus. Für die Nachbarschaft erkennbar wurde der Spruch „Hanau: Curio du Mörder!“ gesprüht. Curio ist innenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und hat bei seiner Rede im Bundestag in der letzten Woche die Opfer von Hanau verhöhnt.“

„In der Nacht vom 9. auf den 10. März wurde das Maestral, ein Treffpunkt der AfD, angegriffen und mehrere Scheiben entglast. Vor wenigen Wochen erschoss ein Rechtsterrorist 9 Menschen in mehreren Shishabars in Hanau. Die AfD hat als parlamentarischer Arm des Rechtsterrorismus mitgeschossen: Die Partei bildet mit ihrer Diskursverschiebung und Hetze das Fundament der Verbindung zwischen bürgerlicher Politik und dem, was Nazis wie der Attentäter von Hanau, dann auf der Straße umsetzen. Deswegen wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. März das Maestral, ein Treffpunkt der AfD, angegriffen und mehrere Scheiben entglast. Dort finden, neben regelmäßigen Stammtischen des AfD- Bezirksverband Reinickendorf, auch Veranstaltungen des faschistischen “Flügels” um Björn Höcke statt, sowie der Jungen Alternative, welche massive personelle Überschneidungen mit der faschistischen Identitären Bewegung und nationalistischen Burschenschaften haben.“

13. März Berlin
„Zu den Gemeinsamkeiten der beiden rechten Parteien AfD und NPD hat sich heute eine weitere dazugesellt: Beide müssen ihre Parteizentralen putzen, die AfD ihre Landesgeschäftsstelle in Berlin-Tiergarten* und die NPD ihren Landes- und Bundessitz in der Seelenbinderstraße in Köpenick. Unsere Art der Solidarität mit Menschen die nach Hanau Angst vor rassistischer Gewalt haben muss in diesem Moment der Angriff auf rechte Strukturen sein. Beide Parteien stehen für antimuslimischen Rassismus und völkische Ideologie. Die Folgen sind Bedrohungen und Morde gegen Migrant*innen. Rechter Terror war und ist in der Geschichte der BRD die Begleitmusik zu Flüchtlingsfeindlichen und rassistischen Diskursen.“

20. März Kassel
Sachbeschädigung am Auto von AfD Stadtverordnetem Sven Dreyer. „Unsere Aktionsgruppe zerstach die Reifen, zerschlug die Scheiben und hinterließ einen Gruß an Dreyer am Auto mit dem Kennzeichen KS DS 989. Das Andenken an die Menschen die dem rechten Terror zum Opfer gefallen sind wie zuletzt in Hanau lässt uns keine andere Wahl. Die AfD trägt mit der Hetze die sie betreibt eine Mitschuld an diesen Taten und muss sich über die Gegenreaktionen nicht wundern. Kämpft zusammen gegen die AfD!“

27. März Lage (Lippe)
„Im Gedenken an die Ermordeten von Hanau haben wir in der Nacht auf den 27.03.2020 das in Lage (Lippe) befindliche Büro des AFD Kreisverbandes Detmold entglast. In Zeiten pandemischer Krisen bleibt die Kleingruppe doch stets eine Option. Verkriecht euch nicht im Internet! Sucht Wege zu handeln, denn die Scheiße geht weiter!“

1. April Berlin
„So sitzen wir stumm vor den Bildschirmen, hasserfüllt bei den Bildern von der türkisch-griechischen Grenzsicherung und entsetzt über den Anschlag in Hanau. Wir richten als Reaktion den Fokus auf die greifbaren Feind*innen. Gebrannt hat daher in der Nacht auf den 01.04. das Auto einer Soldatin, mit Sitz für die AfD in der BVV Lichtenberg, Marianne Kleinert, David-Friedländer-Weg 72, Renault Laguna, grau, B-MK2589.“

6. April Berlin
„Wir haben in der Nacht vom 5. zum 6. April die Bibliothek des Konservatismus in der Fasanenstraße 4, 10623 Berlin mit Farbe und Hammer angegriffen. Die Bibliothek des Konservatismus ist einer der wichtigsten Treffpunkte und die Denkfabrik der Neuen Rechten in Berlin. Die Faschisierung unserer Gesellschaft wird immer sichtbarer: faschistische, bewaffnete Gruppen, die eng mit staatlichen Strukturen verstrickt sind, werden ständig aufgedeckt; in Hanau werden 10 Menschen von einem Faschist ermordet.“

6. April Berlin
„Es ist offensichtlich, dass die deutsche Gesellschaft nach einer weitgehenden Nicht-Reaktion zur Aufdeckung des NSU, pausenlosen Angriffen auf Lager für Asylsuchende und einigen spektakulären Ausrastern sogenannter „Einzeltäter“, auch nicht Willens und emotional bereit ist, auf die Morde von Hanau eine Antwort zu geben. Der AfD-Vorstand und Abgeordnete Frank Hansel wohnt in der Eisenacher Str. 3 in Schöneberg und fuhr einen Jaguar mit dem Kennzeichen B-FH 933. Diesen haben wir am frühen Morgen des 6. April 2020 an der Stelle angezündet, an der Georg v. Rauch 1971 bei einem Feuergefecht mit der Polizei getötet wurde.“

13. April Berlin
„Wir haben die Autos von Andreas Geithe, wohnhaft in Alt-Blankenburg 12a abgefackelt. Geithe ist aktives Mitglied der Berliner AfD und Bürgerdeputierter im Stadtteil Pankow. Er ist außerdem Vermieter des sogenannten Blankenburger Bürgerbüros in Alt-Blankenburg, eines der wenigen Berliner Stützpunkte der faschistischen Partei. Außerdem ist Geithe (zumindest ehemaliges) Mitglied der „Nationalistischen Front“, einer seit 1992 offiziell verbotene militant -faschistische Gruppierung. Wir hoffen, dass wir durch die Zerstörung seiner Autos sein Leben als Faschist etwas schwerer gemacht haben. Vor allem aber wollen wir damit ein antifaschistisches Zeichen setzen und den Opfern des rassistischen Anschlags in Hanau gedenken.“


Solidarität heißt Solidarität für Alle

Am 05. April 2020 versammelten sich zum bundesweiten Aktionstag der Seebrücke-Solidaritätsgruppen in Frankfurt am Main Menschen, um gegen die unhaltbaren Zustände in den Geflüchtetenlagern auf der Balkanroute zu demonstrieren. Unter dem Vorwand des Infektionsschutzes kam es zu Repression. Nachfolgend ein Bericht von der Seebrücke Frankfurt.

Am vergangenen Sonntag trafen wir uns einzeln, aber gemeinsam in Frankfurt/M auf der Straße, um an dem bundesweiten Seebrücke-Aktionstag teilzunehmen. Wir bildeten dabei am Ufer des Mains eine Menschenkette. Wir trugen Mundschutz, hielten Abstand von zwei bis drei Metern und berührten uns nicht. Dabei hatten wir Schilder und Transparente, Fahnen und Rettungswesten, um auf unsere Forderung nach sofortiger Evakuierung der griechischen Geflüchtetenlager aufmerksam zu machen. Dem Vorschlag folgten hunderte Aktivist*innen: Ein beeindruckendes Bild des Protestes und ein großer politischer Erfolg in der Stille, die durch den Corona-Shutdown eingetreten ist. Während ein Großteil der Beteiligten die Aktion selbstbestimmt verlassen konnte, eskalierte die Polizei gegen Ende völlig unnötig und grundlos durch brutale Ingewahrsamnahmen und Personalienfeststellungen.

Was war passiert? Bei diesem Wetter ist des Mainufer ein viel besuchter Ausflugsort. Unser Versuch nicht nur zu spazieren, nicht nur am Mainufer rumzustehen oder zu sitzen, nicht nur zu lesen, sich zu sonnen oder eine Zigarette zu rauchen, sondern dabei auch noch ein Schild mit einer Botschaft zu tragen, wurde zum Problem erklärt. Denn ein Schild verweist auf zwei Sachen: Auf koordiniertes, abgesprochenes Verhalten und auf eine gemeinsame Botschaft. Diese Tatsache macht mehrere Personen mit Schild juristisch zu einer Versammlung, die nach Auslegung der hiesigen Corona-Verordnung durch die Polizei derzeit in jedweder Form verboten ist.

Dass hier eine Versammlungsanmeldung vorlag und einfach ignoriert wurde, und dass die Rechtsgrundlage diese Interpretation der Frankfurter Polizei gar nicht hergibt, ist das eine. Mindestens genau so problematisch ist aber der Umstand, dass sich bei der Polizei (und nicht nur der hessischen) offensichtlich Eigendynamiken in einer vermeintlich rechtmäßigen Exekutierung einstellen. Durch das Verhalten der Polizei wurde unsere Aktion der Seebrücke neben dem Einsatz für die Rechte und den Schutz der Geflüchteten plötzlich zusätzlich zu einer Auseinandersetzung um Grundrechte.

Dass der überwiegende Teil der Bevölkerung weiterhin arbeitet, die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt werden, Menschen in langen Schlangen an Supermarktkassen anstehen oder in der Sonne im Park sitzen ist kein Problem, sondern Corona-Alltag. Dass all diese Menschen die Corona-Schutzvorschriften des Abstands, der Hygiene und so weiter mal mehr, mal weniger genau einhalten, ebenso. Wenn dann die Polizei (wohlgemerkt ohne Mundschutz) einen Protest von Aktivist*innen unterbinden will, der unter penibler Einhaltung des Abstands stattfindet, wirft das einige Fragen auf. Sie muss sich fragen lassen, worum es hier eigentlich geht, worin sich denn die Menschenkette am Main von denen vor den Supermärkten unterscheiden soll? Wenn dann aber die Polizist*innen Menschen brutal festhalten, mit Kabelbinder fesseln, auf den Boden drücken und sogar ein Presseausweis Journalist*innen nicht vor der gleichen Behandlung schützt, muss man konstatieren, dass der Polizei wohl Allmachtsphantasien zu Kopf gestiegen sind.

Die Situation der Geflüchteten ist erschütternd. Politiker*innen, Journalist*innen und Strukturen der Selbstorganisierung von Geflüchteten sind in Moria, berichten täglich von unhaltbaren und inhumanen Bedingungen aus den Lagern Griechenlands, von der griechisch-türkischen Grenze, aber auch vom Balkan. Sie sprechen davon, dass diese Bedingungen auch ohne Corona schon lebensgefährlich seien, dass das fließende Wasser abgestellt worden sei, dass es zu wenig Nahrungsmittel gäbe, dass Angst und Verunsicherung unter den eng beieinander lebenden Menschen stetig stiegen. Aber diese Nachrichten verhallen. Sie prallen förmlich ab. Es kommt zu keiner Rettung, zu keinen Asylverfahren und noch nicht einmal zu einer Verbesserung der dortigen Versorgung. Hier wird deutlich: Es ist ein Privileg, Abstand halten zu können. Es ist ein Privileg, Corona-Regeln einhalten zu können. Für die Forderung, die Lager zu evakuieren, gilt es deshalb keine Zeit zu verlieren. Ein Protest, um dies durchzusetzen, kann nicht bis zur „Nach- Corona-Zeit“ warten. Deswegen werden wir keine Ruhe geben, bis unsere Forderungen umgesetzt sind.

Wir waren am vergangenen Sonntag viele. Und trotz des unrühmlichen Verhaltens der Polizei sind wir alle mit Stärke und einer gewachsenen Vorstellung davon nach Hause gegangen, dass Protest in Zeiten von Corona nicht nur möglich ist, sondern auch fortgesetzt werden muss. Uns geht es dabei nicht ums Prinzip, sondern um Solidarität für alle.


Anti-Ra-Splitter

Corona und die Aktualität gleicher Rechte

Eine der ersten Forderungen antirassistischer und selbstorganisierter Bewegungen Geflüchteter waren ein sofortiger Abschiebestopp, eine Auflösung der Lager und gleiche Rechte und gleicher Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle. Es gab dazu viele gute Erklärungen, Texte und Statements. Dennoch verhallten sie an vielen Orten. Heute fällt es uns schwer, einen Überblick zu gewinnen, wie viele Erstaufnahmen und Gemeinschaftsunterkünfte unter Quarantäne stehen, und selbst an Orten, die nicht unter Quarantäne stehen und abgeriegelt sind, protestieren immer wieder die dort lebenden Geflüchteten gegen die unter den Bedingungen und Abstandsgeboten noch absurderen Regeln und Entrechtungen. An wie vielen Orten es dagegen Widerstand gibt, überschaut wohl gerade keine/r, und so kann diese Sammlung nur einen Eindruck geben von unterschiedlichen Aktivitäten, die sich in diesen Zeiten entwickelt haben. Es wäre mehr als wünschenswert eine Plattform zu haben, auf der ein Überblick hergestellt würde, was sich wo bewegt. Denn in Zeiten, in denen wir uns weniger treffen können, ist ein Austausch dringender, denn Corona zeigt uns vor allem eins: Die Aktualität der Forderung nach gleichen Rechten für alle!

Unerträglich und unfassbar bleibt, was das Alarm Phone Anfang April im zentralen Mittelmeer erlebt und detailliert und öffentlichkeitswirksam dokumentiert hat: das erklärte Ertrinkenlassen durch Küstenwachen in Italien und Malta, und dann sogar Angriffe auf Flüchtlingsboote durch die maltesische Küstenwache. Was wir bisher in dieser Brutalität nur in der Ägäis kannten und was dort seit März auch wieder zum Alltag geworden ist – gewaltsame Push-Backs der Boote, die in der Türkei gestartet sind – soll nun auch an den Boatpeople aus Libyen demonstriert werden. In Corona-Zeiten werden europäische Häfen zu „Unsafe Harbours“ erklärt und Geflüchtete aus Folterlagern unmittelbar dem Ertrinken preisgegeben.

Für das Recht zusammen zu sein

Seit dem 18.März 2020 werden auf dem Blog von infomobile.w2eu.net Geschichten von geflüchteten Familien dokumentiert, die getrennt in Griechenland und Deutschland leben müssen, weil deutsche Behörden die Familienzusammenführung verweigern. Viele Länder des europäischen Nordens, insbesondere Deutschland, versuchen wieder Menschen nach Griechenland abzuschieben – und das trotz der anhaltenden systemischen Menschenrechtsverletzungen, die permanent dokumentiert werden. Zugleich wurden die Möglichkeiten getrennter Familien zu ihren Liebsten in Deutschland nachzureisen gnadenlos eingeschränkt und immer neue Gründe gefunden, um Anträge auf Familienzusammenführung zu blockieren und abzulehnen. Seit teils mehreren Jahren sitzen daher tausende Familienangehörige in Griechenland fest, die teils seit Jahren getrennt leben von ihren Angehörigen, unseren Nachbarn und Freundinnen und von Kindern unserer Städte.

Aktuell bringt die Bedrohung der Covid-19-Pandemie nicht nur das öffentliche Leben zum Stillstand. Griechische Flüchtlingscamps, in denen hunderte vulnerable Personen dicht gedrängt zusammenleben müssen, ohne ausreichende Grundversorgung in allen Lebensbereichen, bergen ein besonders hohes Infektionsrisiko. Drei Camps auf dem griechischen Festland, Ritsona, Malakasa und Koutsoxero, sind inzwischen unter Quarantäne (Stand: 11.4.2020). Bis aus den hoffnungslos überfüllten „Hot Spots“ auf den griechischen Inseln die ersten Corona-Infizierten gemeldet werden ist aller Voraussicht nach nur eine Frage der Zeit.

Während im April und Mai rund 80.000 Erntehelfer*innen aus Rumänien mit Charterflugzeugen auf hiesige Spargel- und Erdbeerfelder eingeflogen werden, dürfen nach zähem Ringen 50 (!) unbegleitete Minderjährige aus den EU-initiierten Katastrophen-Hotspots in Griechenland nach Deutschland einreisen.

In all diesen Camps sitzen zugleich Menschen fest, die längst in Deutschland sein könnten. Es ist höchste Zeit für eine schnelle Lösung für alle getrennten Familien mit Angehörigen hier!

MigrAntifa-Kampagne zum 8. Mai – Entnazifizierung jetzt!

Es gibt (Stand 13.4.) noch keinen überregionalen Aufruf, doch mehrere Verabredungen aus unterschiedlichen Städten, nicht zuletzt motiviert durch die Morde in Hanau und dann wieder in Celle. Geplant ist ein dezentraler Aktionstag zum Tag der Befreiung, an dem wir die konkrete Entnazifizierung fordern: bei Militär und Polizei, aber auch bei Behörden oder in Schulen. Alle Nazis raus aus den Ämtern, dem institutionellen Rassismus den Kampf ansagen. Die NSU-Akten endlich offen legen, und von frommen Reden gegen Rechtsextremismus ins konkrete Handeln kommen. Absehbar werden kaum oder keine Demonstrationsformen im öffentlichen Raum möglich sein, aber auch im digitalen Raum lassen sich Täter markieren und die Hetze denunzieren.
Ansonsten wird es den nächsten zwei Wochen sicherlich erste Aufrufe für den 8. Mai geben.


CORONA-Splitter: zum Erleben und Umgang mit den Maßnahmen

Ein globales Ereignis mit tiefgreifenden Wirkungen auf das Soziale, das Politische und die Wirtschaft – unmittelbar erlebbar in everybodys Alltag. Das ist unsere Generation wahrlich nicht gewohnt. Und obwohl es für alle Neuland ist, tun sich auch viele Linke leicht, schnelle, klare und scheinbar widerspruchsfreie Antworten zu geben „was nun zu tun sei“. Wir tun uns da schwerer. Die vielschichtigen und massiven Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Pandemie lösen bei uns ambivalente Gefühle und Gedanken aus, denn es gibt viel zu viele Widersprüche in dieser Krise. Viele der staatlichen Maßnahmen begrüßen wir aus gesundheitspolitischer Perspektive, und dennoch nehmen wir den politischen Ausnahmezustand in seiner drohenden Gefahr extrem ernst und werden uns seiner Logik nicht unterwerfen. Und zudem wird, wie in jeder Krise, vieles plötzlich möglich, was bislang als absolut undenkbar galt. Im Negativen ebenso wie im Positiven.

Momentan dominieren die Sorgen der Mittelschicht, dessen symbolischer Ausdruck hier in der BRD die Hamsterkäufe von Toilettenpapier und Sagrotan war. Dabei ist klar, alle sind betroffen, aber nicht gleichermaßen gefährdet. Die größte Katastrophe droht in den Ländern des globalen Südens, in denen Gesundheitssysteme chronisch überlastet bis inexistent sind und die nicht intensivmedizinisch reagieren können. Die tatsächliche Katastrophe tritt ein, wenn das Virus die zahlreichen Camps und Lager erreicht, in denen zehntausende Migrant*innen eingesperrt und teils sich selbst überlassen werden. Bekanntermaßen auch unter der Verantwortung der EU vor den Toren Europas.

Angesichts dessen gehen uns die begrenzten Sorgen metropolitaner Linker manchmal schlicht auf die Nerven. Zudem auch hier im globalen Norden und konkret hier in Frankfurt das Virus und der Ausnahmezustand unterschiedliche soziale Gruppen unterschiedlich hart trifft und zunehmend treffen wird. Alleinerziehende deren finanzielle Existenz gefährdet ist und die gleichzeitig ihre Kinder nun 24 Stunden betreuen müssen und an den Rande ihrer psychischen Belastbarkeit kommen. Kinder die in Haushalten mit Tätern leben und nun massiver Gewalt und Vernachlässigung ausgesetzt sind ohne sich Hilfe holen zu können. Sie alle trifft diese Krise existenziell.

Insbesondere Gruppen, die seitens des Staates sowieso starken gruppenbezogenen Maßnahmen unterliegen, wie Geflüchtete, Gefangene, Drogenabhängige werden aktuell massiv isoliert, auf sich selbst zurückgeworfen und medizinisch sich selbst überlassen. Ihre sowieso schon beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten und öffentliche Repräsentanz wird massiv eingeschränkt und unterdrückt. So kommt es in vielen Ländern aktuell zu Knastrevolten, die allerdings kaum öffentliche Wahrnehmung erfahren. Ebensowenig wie die Bedingungen an den EU-Außengrenzen aktuell kaum Beachtung finden und Bullen, Militär und Küstenwache dazu animiert massenhaft mit Gewalt gegen Boote von Flüchtenden vorzugehen. Es wird schon jetzt sehr deutlich wer am Ende den Preis für diese Krise zu zahlen hat und wer von der nun andauernd von Politiker_innen in den Mund genommenen Solidarität profitieren wird. Die ausgerufene Solidarität von Söder, Steinmeier und Co ist verlogen und ganz sicher nicht die unsere.
Die Wirtschaftskrise wird sozialisiert werden und zu einem wirtschaftlichen und sozialen Abstiegsprozess ganzer Gruppen und Schichten führen, da wird uns im Nachhinein die aktuelle Sorge um ausreichend Klopapier und Mehl in der WG lächerlich erscheinen.

Die zeitweise Einschränkung des öffentlichen Lebens inklusive Einschränkung bzw. Außerkraftsetzung von Grundrechten erscheint angesichts der Corona-Krise in Teilen für viele Linke durchaus plausibel. Und andererseits verschließt die Logik des Ausnahmezustands dennoch linke und progressive Handlungsräume – sowohl ganz konkret in Form unserer Zentren als auch abstrakt in Form von nicht-möglichen Protestformen und der Schließung von Denkräumen. Vor allem die resolute und teils kafkaeske Durchsetzung der Staatsraison wie beispielsweise bei der Seebrückenaktion am 5.April zeigt, welche Tür ins Autoritäre sich geöffnet hat und wie über Generationen erkämpfte Rechte wie das Versammlungsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung auch hier gekippt werden können. Kollektive Gegenwehr, die immer auch eines direkten sozialen Austauschs bedarf, ist derzeit nur schwer vorstellbar.

Der staatliche Umgang basiert auf wissenschaftlichen Einschätzungen von wenigen Fachmenschen, und spätestens die Durchsetzung der Maßnahmen ist autoritär und nationalistisch geprägt: Die Schließung von Grenzen für Migrant*innen und ihre Konzentrierung in Lagern wird als Einschränkung zur Eindämmung des Virus verkauft, währenddessen zweihunderttausend Menschen mit deutschem Pass aus aller Welt eingeflogen werden. Die Grenzen werden geschlossen und grenzüberschreitende Arbeit, Beziehungen und Lebensweisen verhindert, aber 40.000 Saisonarbeiter*innen werden aus Osteuropa eingeflogen, um eine Missernte deutscher Agrarbetriebe zu verhindern. Deutscher Spargel vor Menschrenrechten. Es könnte absurder nicht sein. Zugleich fachen die wirtschaftlichen Maßnahmen der Europäischen Union – keine Euro-Bonds, dafür möglicherweie nationale und EU-Fonds, die die Solidarität zu Charity verkommen lassen, den Nationalismus überall an.

Mit der Krise öffnen sich aber auch Windows of Oppurtunities:

Die Ideologie des Neoliberalismus, der die letzten Jahrzehnte der Politik und Ökonomie dominiert hat, steht in der Kritik. Millionen erkennen, dass er den wirklichen Probleme der Menschen entgegensteht. Währenddessen alle Maßnahmen, die derzeit von Bundes- und Landesregierungen verkündet werden, das Ziel haben die Profitinteressen der Kapitalfraktionen – auf lange Sicht! – abzusichern.

Dem Leben und Überleben insbesondere als schwächer definierten Menschen wird nun auf der Ebene des Diskurses oberstes Primat eingeräumt, für das selbst eine massive Wirtschaftskrise in in Kauf genommen wird. Die Situation im Gesundheitssektor erzählt uns aber eine andere Geschichte: Im neoliberalen Wahn wurden unzählige Kliniken in viele Ländern kaputt gespart, Intensivbetten massenhaft abgebaut, Kliniken gar ganz geschlossen. Noch im vergangenen Jahr forderte die Bertelsmann-Stiftung in einer ihrer als „Studien“ verkauften Lobby-Forderungen, dass die Hälfte der noch vorhandenen Kliniken geschlossen werden sollte. Nun aber werden urplötzlich quasi über Nacht mal eben 3 Milliarden Euro in die Kliniken hineingepumpt. Also nachdem bestimmte Kapitalfraktionen sich im Abbau des Gesundheitssystems massiv bereichert haben, wird dies nun doppelt und dreifach von der Gesellschaft in Form von Steuern nachfinanziert. Ausbaden müssen es all die Ärzt*innen und Pflegekräfte, die trotz der Entlassungswellen der Vergangenheit ihren Job noch haben.
Dies ist eines der vielen Beispielen in denen gerade kognitiv wie lebensrealistisch Millionen von Menschen klar wird, welche Destruktivität im Neoliberalismus im Speziellen und im Kapitalismus im Allgemeinen innewohnt. Das jetzt das Leben von chronisch Kranken besonders gefährdet ist, ist auch auf diese langjährige Zerstörung des Gesundheitssystems zurückzuführen. Millionen ist klar wenn kleine Krankenhäuser geschlossen werden, wenn Ärzt*innen übermüdet und überlastet sind, sterben Menschen. Oder es wird offensichtlich, dass Pfleger*innen extrem wichtige, sogenannte systemrelevante Positionen einnehmen und sich trotzdem keine Wohnung auf dem überhitzten Wohnungsmarkt einer beliebigen Großstadt leisten können. Hier bietet sich für die Linke an, soziale Forderungen zu unterstützen und mit utopischen Überschuss anzureichern.

Es wäre Wert, die schon ältere Idee des bedingungslosem Grundeinkommen wieder aufzunehmen. Denn ein solches könnte ein erster großer Schritt hin zu einer insgesamt solidarischen Wirtschaftsweise sein. Anstatt Menschen in prekären Lebenslagen mit Krediten „zu helfen“, die diese auch nach der Krise niemals wieder zurückzahlen können, wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen eine gerechte und praktikable tatsächliche Hilfe für alle Menschen.
Eine andere ist unseres Erachtens die Ausrufung und Durchführung eines Mietstreiks, wie es in südeuropäischen Ländern teilweise praktiziert wird. Denn wer sich jetzt aufgrund von Verdienstausfalls die Miete nicht mehr leisten kann, wird in einigen Monaten die aufgeschobenen Mietschulden erst recht nicht tilgen können. Insbesondere die großen Wohnungseigentümer wie Deutsche Wohnen und Vonovia werden allerdings darauf drängen, um ihre bzw. die Gewinnerwartung ihrer Anteilshalter zu befriedigen. Konflikte, Zwangsräumungen und Verdrängungen sind vorprogrammiert für die es frames und Kampfformen braucht.

Um diese soziale Kämpfe zu führen, braucht es allerdings realen Kontakt zwischen Menschen, braucht es reale Präsenz auf der Straße – was uns durch die Maßnahmen erschwert wird. Daher müssen wir konkrete Antworten finden, wie wir trotz allen möglichen Ambivalenzen auf die staatlichen Maßnahmen reagieren: Wie gehen wir mit der faktischen und selbstbestimmten Schließung unserer Räume und Zentren um? Wie treffen wir uns in unseren Zusammenhängen – möglichst ohne dem Repressionsbehörden oder Google unsere Verbindungen offen zu legen und ohne dauerhaft Ausschluss zu produzieren? Wie gehen wir mit der faktischen Aussetzung politischen Ausdrucks im öffentlichen Raum um, die weit über den Infektionsschutz hinaus geht und faktisch legale Meinungsäußerungen im öffentlichen Raum unterdrückt? Die Aktion der Seebrücke kann hier als ein erster regionaler Versuch gewertet werden, der nachfolgende Versuche verlangt. Wie ist unser Verhältnis zu Direkten Aktionen gerade im Spannungsfeld zwischen Versammlungsverbot, Kontaktverbot und stark erhöhter Bullenkontrollen? Uns erscheint es derzeit sinnvoll, die vielen kleinen Solidaritätsinitiativen zu unterstützen und mit politischen Forderungen zu verknüpfen.

Wie wollen wir leben?

Die breite Anerkennung der gesellschaftlich wirklich wichtigen Arbeit kann Ausgangspunkt dafür sein, den Arbeitenden zuzuhören und zu begreifen, wie Care-Arbeit anders organisiert werden sollte: In den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in der Produktion und Verteilung von Nahrung, bei der Müllentsorgung und in allen Feldern, in denen Care-Arbeit geleistet wird. Es stellt sich für alle die Frage, was wirklich wichtig ist. Dabei machen Millionen von Menschen die Erfahrung, dass sie ihre Arbeitgeber nicht vermissen und ihnen die Entschleunigung seelisch gut tut, das prekäre Erwerbsarbeit katastrophale Perspektiven erzeugen kann, eine Verbindung und Verantwortung aller zu allen besteht, das eine Reduzierung des Konsums ihnen weniger weh tut als die Reduzierung sozialer Kontakte, das systemrelevante Arbeiter*innen sich keine Miete leisten können, das unerreichbare Klimaziele plötzlich erreichbar sein könnten, das der Ursprung des Virus in der desaströsen Fleischindustrie liegt… u.v.m. Grundlegend besteht in dieser historischen Situation die Chance, aufgrund konkreter Erfahrungen einen kulturellen Paradigmenwechsel zu vollziehen, der fundamental bricht mit der selbstgerechten und überausbeuterischen Ideologie des „Nach-mir-die-Sintflut“-Neoliberalismus. Es erscheint möglich, die bestehende prekäre Erwerbssicherung von Milliarden Menschen durch die zwanghafte Teilnahme an einer schädlichen, global vernetzten und auf unbegrenztes Wachstum ausgerichteten Wirtschaftsweise infrage zu stellen. Das massive ökonomische Ungleichgewicht und die Marginalisierung von großen Teilen der Menschheit gilt es aufzuheben, Erwerbssicherung und Arbeitsschutzrechte sowie kollektive Nutzungen von Ressourcen und soziale Rechte für alle Menschen global zu erkämpfen

Auf was sollten wir uns einstellen?

Nichtsdestotrotz müssen wir uns drauf einstellen, dass die Welt nach der Krise noch heftigere Verteilungskämpfe erleben wird, weil bestimmte Kapitalfraktionen gestärkter herausgehen werden, die soziale Schere sich noch deutlich zuspitzen wird. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es auch Theorien gibt, die sagen, dass die Corona-Krise die Möglichkeit bietet, die sowieso bestehende kapitalistische Wirtschaftskrise abzuwickeln. Diese Krise wird nicht das Ende des Kapitalismus sein, aber sie wird mit Sicherheit die Parameter der Ausbeutung von Menschen über Menschen und über die Ressourcen des Planeten verändern.

Zudem stecken wir aktuell noch mitten in der Krise, in der natürlich weiterhin verschiedene politische und ökonomische Kräfte um Hegemonie ringen und es noch lange lange nicht ausgemacht ist, wer sich durchsetzt. Auch wenn sich insbesondere rechte und rechtsradikale Kräfte angesichts der Macht des Faktischen des Virus wenig positionieren können und insbesondere in der BRD auf Tauchstation sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft diese Kräfte erst recht erstarken. Denn angesichts drohender Rezension werden sich die vom Abstieg betroffenen Kapitalfraktionen mit Sicherheit autoritären, faschistoiden und kriegsbereiten Krisenlösungsstrategien zuwenden , so wie es historisch in allen großen Wirtschaftskrisen geschehen ist.

Aufgrund dieser und weiterer Einschätzungen muss jetzt für eine Welt nach Corona gekämpft werden. Das Falsche ist jetzt als Linke abzuwarten und auf ein buisiness as usual nach der Krise zu hoffen. Die Welt nach Corona wird eine andere sein als vorher – und deren Weichen werden jetzt gesetzt. Deshalb heißt es klug bleiben, sich nicht dumm und verrückt machen zu lassen und vor allem nicht zu verstummen. Neben der Aufgabe sich und andere konkret zu schützen, sich im Zwischenmenschlichen solidarisch zu verhalten, so gilt dies auch gesamtgesellschaftlich zu tun. Und gesamtgesellschaftlich kann in einer globalen Pandemie logischerweise nur global gedacht werden.

Freundeskreis „Eine andere Welt ist offenbar möglich“, 15.4.2020


Das Virus überleben: Ein anarchistischer Leitfaden

Kapitalismus in der Krise – Aufkommender Totalitarismus – Strategien des Widerstands

Die Pandemie wird in den nächsten Wochen nicht vorübergehen. Selbst wenn es durch strenge Eindämmungsmaßnahmen gelingt, die Zahl der Infektionen auf das Niveau von vor einem Monat zu senken, könnte sich das Virus wieder exponentiell ausbreiten, sobald die Maßnahmen ausgesetzt werden. Die derzeitige Situation wird wahrscheinlich noch monatelang anhalten – plötzliche Ausgangssperren, uneinheitliche Quarantänen, zunehmend verzweifelte Bedingungen – , auch wenn sie sicherlich andere Formen annehmen werden, wenn die inneren Spannungen überkochen. Um uns auf diesen Moment vorzubereiten, sollten wir uns und einander vor der Bedrohung durch das Virus schützen, die Fragen nach dem Risiko und der Sicherheit, die die Pandemie mit sich bringt, durchdenken und uns mit den katastrophalen Folgen einer Gesellschaftsordnung auseinandersetzen, die von vornherein nicht auf die Erhaltung unseres Wohles ausgerichtet war.

Das Virus überleben

Langjährige anarchistische Organisations- und Sicherheitsformen haben viel zu bieten, wenn es darum geht, die Pandemie und die von ihr verursachte Panik zu überleben.

Eine Bezugsgruppe bilden

Die Aussicht auf Quarantäne sagt viel darüber aus, wie wir bereits davor gelebt haben. Diejenigen, die in eng verbundenen Familien oder fröhlichen Hausprojekten leben, sind in einer viel besseren Situation als diejenigen, die in zerbrochenen Ehen leben oder große leere Häuser ganz für sich allein haben. Das ist eine gute Erinnerung an das, was im Leben wirklich zählt. Trotz der Sicherheitsmodelle, die durch den bürgerlichen Traum vom vereinzeltem Reihenhaus und die US-Außenpolitik, die diesen widerspiegelt, repräsentiert werden, sind Zusammengehörigkeit und Fürsorge viel wichtiger als die Art von Sicherheit, die davon abhängt, sich von der ganzen Welt abzuschotten.
»Soziale Distanzierung« darf nicht völlige Isolation bedeuten. Wir werden nicht sicherer sein, wenn unsere Gesellschaft auf einen Haufen atomisierter Individuen reduziert wird. Das würde uns weder vor dem Virus noch vor dem Stress dieser Situation oder vor den autoritären Maßnahmen schützen, die Kapitalismus und Staat vorbereiten. So sehr die älteren Menschen durch das Virus gefährdet sind, so sehr sind ältere Menschen in dieser Gesellschaft bereits gefährlich isoliert; sie von jeglichem Kontakt mit anderen abzuschneiden wird ihre körperliche oder geistige Gesundheit nicht erhalten. Wir alle müssen in eng miteinander verbundene Gruppen eingebettet werden, um sowohl unsere Sicherheit als auch unsere kollektive Fähigkeit, das Leben zu genießen und zu handeln, zu maximieren.

Wähle eine Gruppe von Menschen, denen du vertraust – idealerweise Menschen, mit denen du das tägliche Leben teilst, die alle ähnliche Risikofaktoren und ein ähnliches Maß an Risikotoleranz aufweisen. Um den Virus zu überleben, ist das deine Bezugsgruppe, der Grundbaustein einer dezentralisierten anarchistischen Organisation. Du musst nicht unbedingt im selben Gebäude mit ihnen leben; wichtig ist, dass ihr die Risikofaktoren gemeinsam auf das Level reduzieren könnt, mit dem sich alle abfinden können. Wenn die Gruppe zu klein ist, wird sie isoliert sein – und das wird besonders dann ein Problem sein, wenn eine*r krank wird. Wenn die Gruppe zu groß ist, setzt sie sich zu stark einem unnötigen Infektionsrisiko aus.

Sprecht miteinander, bis ihr gemeinsame Vorstellungen davon habt, wie ihr mit dem Risiko einer Ansteckung umgehen wollt. Das kann alles sein, von der totalen physischen Isolation bis zur gegenseitigen Erinnerung an die Verwendung von Handdesinfektionsmitteln nach Berührung von Oberflächen in der Öffentlichkeit. Solange keine*r aus der Gruppe das Virus hat, könnt ihr euch immer noch umarmen, küssen, gemeinsam Essen zubereiten, dieselben Oberflächen berühren – solange ihr euch über den Grad des Risikos einig seid, den ihr gemeinsam zu tolerieren bereit seid und direkt darüber sprecht sobald ein neuer Risikofaktor auftaucht.
Das ist es, was wir unter Sicherheitskultur verstehen: die Praxis, eine Reihe gemeinsamer Vorstellungen zu erarbeiten, um Risiken zu minimieren. Wenn wir es mit polizeilicher Repression und der Überwachung des Staates zu tun haben, schützen wir uns durch den Austausch von Informationen auf einer Need-to-know-Basis. Wenn wir es mit einem Virus zu tun haben, schützen wir uns, indem wir die Faktoren kontrollieren, über die sich Ansteckungen ausbreiten können.
Es ist nie möglich, Risiken ganz zu vermeiden. Es geht darum, festzulegen, mit wie viel Risiko du dich wohlfühlst, und sich so zu verhalten, dass du, falls etwas schief geht, nichts bereuen wirst, da du weißt, dass du alle Vorkehrungen getroffen hast, die du für notwendig erachtet hast. Wenn du dein Leben mit einer Bezugsgruppe teilst, kannst du gesellig und vorsichtig sein.

Ein Netzwerk bilden

Selbstverständlich wird deine Bezugsgruppe allein nicht ausreichen, um alle deine Bedürfnisse zu befriedigen. Was ist, wenn du Ressourcen benötigst, auf die keine*r von euch sicher zugreifen kann? Was ist, wenn alle krank werden? Ihr müsst mit anderen Bezugsgruppen in einem Netzwerk gegenseitiger Hilfe verbunden sein, so dass, wenn eine Gruppe im Netzwerk überfordert ist, die anderen ihr zu Hilfe kommen können. Wenn ihr euch an einem solchen Netzwerk beteiligt, könnt ihr Ressourcen und Unterstützung zirkulieren lassen, ohne dass sich alle dem gleichen Risiko aussetzen müssen. Die Idee ist, dass Menschen aus verschiedenen Gruppen des Netzwerkes, wenn sie miteinander interagieren, viel strengere Sicherheitsmaßnahmen anwenden, um zusätzliche Risiken zu minimieren.

Der Ausdruck »gegenseitige Hilfe« wurde in letzter Zeit oft in den Raum geworfen, sogar von Politiker*innen. Im eigentlichen Sinne beschreibt die gegenseitige Hilfe nicht ein Programm, das einseitige Hilfe anbietet, wie es eine Wohltätigkeitsorganisation tut. Vielmehr ist es die dezentralisierte Praxis der gegenseitigen Hilfe, durch die die Teilnehmer*innen eines Netzwerks sicherstellen, dass jede*r das bekommt, was er/sie braucht, so dass jede*r Grund hat, in das Wohlergehen der anderen zu investieren. Es geht nicht um einen Austausch von Gegenleistungen, sondern um einen Austausch von Care und Ressourcen, der die Art von Redundanz und Widerstandsfähigkeit schafft, die eine Gemeinschaft in schwierigen Zeiten aufrechterhalten kann. Netzwerke der gegenseitigen Hilfe gedeihen am besten, wenn es möglich ist, über einen langen Zeitraum hinweg gegenseitiges Vertrauen mit anderen aufzubauen. Mensch muss nicht jede*n im Netzwerk kennen oder gar mögen, aber jede*r muss dem Netzwerk so viel geben, dass die Bemühungen zusammen ein Gefühl des Wohlergehens schaffen.

Der Rahmen der Reziprozität könnten dem Anschein nach zu einer sozialen Aufteilung führen, bei der sich Menschen aus ähnlichen sozialen Schichten mit ähnlichem Zugang zu Ressourcen gegenseitig anziehen, um die beste Rendite aus der Investition ihrer eigenen Ressourcen zu erzielen. Aber Gruppen mit unterschiedlichem Hintergrund können Zugang zu einem breiteren Spektrum verschiedener Arten von Ressourcen haben. In diesen Zeiten kann sich finanzieller Reichtum als weitaus weniger wertvoll erweisen als Erfahrung mit Klempnerarbeiten, die Fähigkeit, einen bestimmten Dialekt zu sprechen oder soziale Bindungen in einer Gemeinschaft, von der mensch nie gedacht hätte, dass mensch von ihr abhängig sein würde. Jede*r hat gute Gründe, seine/ihre Netzwerke gegenseitiger Hilfe so weit und breit wie möglich auszudehnen.

Der Grundgedanke dabei ist, dass es unsere Bindungen zu anderen sind, die uns Sicherheit geben, nicht unser Schutz vor ihnen oder unsere Macht über sie. Prepper, die sich darauf konzentriert haben, einen privaten Vorrat an Lebensmitteln, Ausrüstung und Waffen anzulegen, sind dabei, die Voraussetzungen für eine Apokalypse zu schaffen, bei der jede*r gegen jede*n kämpft. Wenn du deine ganze Energie in individuelle Lösungen steckst und alle um dich herum allein für das Überleben kämpfen lässt, besteht deine einzige Hoffnung darin, besser bewaffnet zu sein als die Konkurrenz. Und selbst wenn du das bist, wenn es keine*n mehr gibt auf den du deine Waffen richten kannst, werden sie das letzte Werkzeug sein, das dir zur Verfügung steht.

Wie wir mit dem Risiko umgehen

Das Auftreten einer neuen potenziell tödlichen Pandemie zwingt uns alle, darüber nachzudenken, wie wir mit Risiko umgehen. Was ist es wert, unser Leben zu riskieren?

Wenn wir darüber nachdenken, werden die meisten von uns zu dem Schluss kommen, dass es sich nicht lohnt, unser Leben zu riskieren, nur um weiterhin unsere Rolle im Kapitalismus zu spielen. Andererseits könnte es sich lohnen, unser Leben zu riskieren, um uns gegenseitig zu schützen, um füreinander zu sorgen, um unsere Freiheit und die Möglichkeit, in einer egalitären Gesellschaft zu leben, zu verteidigen. Der Versuch sämtliche Risiken zu vermeiden wird uns keine Sicherheit bringen. Wenn wir uns ausschließlich an uns selbst halten, während unsere Lieben krank werden, unsere Nachbar*innen sterben und der Polizeistaat uns jeden letzten Rest unserer Autonomie nimmt, werden wir nicht sicherer sein. Es gibt viele verschiedene Arten von Risiken. Wahrscheinlich wird die Zeit kommen, in der wir überdenken müssen, welche Risiken wir bereit sind, einzugehen, um in Würde zu leben.

Dies bringt uns zu der Frage, wie wir all die unnötigen Tragödien überleben können, die uns die Regierungen und die Weltwirtschaft im Zusammenhang mit der Pandemie aufdrängen werden – ganz zu schweigen von all den unnötigen Tragödien, die sie bereits geschaffen haben. Glücklicherweise können uns dieselben Strukturen, die es uns ermöglichen, das Virus gemeinsam zu überleben, auch dazu befähigen, ihnen die Stirn zu bieten.

Die Krise überleben

Um es klar zu sagen: Der Totalitarismus ist keine Bedrohung mehr, die in der Zukunft liegt. Die Maßnahmen, die auf der ganzen Welt durchgeführt werden, sind in jeder Hinsicht totalitär. Wir sehen einseitige Regierungserlasse, die totale Reiseverbote, 24-Stunden-Ausgangssperren, veritables Kriegsrecht und andere diktatorische Maßnahmen verhängen.

Das heißt nicht, dass wir keine Maßnahmen zum gegenseitigen Schutz vor der Verbreitung des Virus durchführen sollten. Es geht einfach darum, anzuerkennen, dass die Maßnahmen, die verschiedene Regierungen durchführen, auf autoritären Mitteln und einer autoritären Logik beruhen. Denkt mal darüber nach, wie viel mehr Ressourcen in das Militär, die Polizei, die Banken und den Aktienmarkt) fließen als in das öffentliche Gesundheitswesen und in Ressourcen, die den Menschen helfen sollen, diese Krise zu überleben. Es ist immer noch einfacher, wegen Herumlungerns verhaftet zu werden, als einen Test für das Virus zu bekommen.
So wie das Virus uns die Wahrheit darüber zeigt, wie wir bereits – in unseren Beziehungen und unserem Zuhause – lebten, so zeigt es uns auch, dass wir bereits in einer autoritären Gesellschaft lebten. Die Ankunft der Pandemie macht das nur noch formeller. Frankreich bringt 100.000 Polizist*innen auf die Straße, 20.000 mehr als zum Höhepunkt der Gilets-Jaunes-Proteste eingesetzt wurden. Refugees auf der Suche nach Asyl werden an den Grenzen zwischen den USA und Mexiko sowie zwischen Griechenland und der Türkei abgewiesen. In Italien und Spanien greifen Polizeibanden Jogger in leeren Straßen an.
In Deutschland hat die Polizei in Hamburg die Situation als erstes genutzt, um das Lampedusa Zelt, das seit mehreren Jahren stand, zu räumen. Trotz der Quarantäne droht die Polizei in Berlin weiterhin mit der Räumung des Syndikats. In Thüringen hat die Polizei in vollem Pandemie-Sturmtruppen-Outfit ein Flüchtlingszentrum überfallen und unter dem Vorwand sie hätten Quarantäneregelungen missachtet zahlreiche Geflüchtete in den Jugendarrest verschleppt.

Das Schlimmste ist, dass all dies mit der stillschweigenden (oder auch lauten) Zustimmung der Bevölkerung geschieht. Die Behörden können im Namen des Schutzes unserer Gesundheit praktisch alles tun – auch uns umbringen.
Mit der Verschärfung der Situation werden Polizei und Militär wahrscheinlich zunehmend tödliche Gewal anwenden. In vielen Teilen der Welt sind sie die letzten, die sich in großer Zahl frei versammeln können. Wenn die Polizei die einzige gesellschaftliche Einrichtung ist, die sich in Massen versammeln kann, gibt es kein anderes Wort als »Polizeistaat«, um die Form der Gesellschaft zu beschreiben, in der wir leben.

Es gibt seit Jahrzehnten Anzeichen dafür, dass sich die Dinge in diese Richtung entwickeln. Früher war der Kapitalismus darauf angewiesen, eine große Zahl von Arbeiter*innen für die Industriearbeit zur Verfügung zu halten – somit war es nicht möglich, das Leben so geringschätzig zu behandeln, wie es heute behandelt wird. Da die kapitalistische Globalisierung und Automatisierung die Abhängigkeit von den Arbeiter*innen verringert haben, hat sich das weltweite Proletariat beständig in den Dienstleistungssektor verlagert, wo sie Arbeit verrichtet, die für das Funktionieren der Wirtschaft nicht wesentlich ist und daher weniger abgesichert und schlecht bezahlt wird, während die Regierungen zunehmend von der militarisierten Polizeigewalt abhängig geworden sind, um Unruhe und Wut zu kontrollieren.
Wenn die Pandemie lange genug andauert, werden wir wahrscheinlich mehr Automatisierung erleben – selbstfahrende Autos stellen eine geringere Ansteckungsgefahr für die Bourgeoisie dar als Uber Fahrer*innen – und die freigestellten Arbeiter*innen werden zwischen den Repressionsindustrien (Polizei, Militär, private Sicherheitsdienste, private militärische Auftragnehmer) und den prekären Arbeiter*innen aufgeteilt, die gezwungen sind, große Risiken einzugehen, um ein paar Cents zu verdienen. Wir rasen einer Zukunft entgegen, in der eine digital vernetzte privilegierte Klasse virtuelle Arbeit in Isolation verrichtet, während ein massiver Polizeistaat sie vor einer entbehrlichen Unterklasse schützt, die die meisten Risiken auf sich nimmt.

Der Milliardär Jeff Bezos hat bei Amazon bereits 100.000 Arbeitsplätze geschaffen und erwartet, dass sein Unternehmen die lokalen Läden überall aus dem Geschäft drängen wird. Ebenso wird Bezos seinen Angestellten im Bereich Whole Foods keinen bezahlten Urlaub geben, obwohl sie im Dienstleistungssektor ständig Risiken eingehen – er gewährt ihnen aber bis April eine Lohnerhöhung von 2 Dollar. Kurz gesagt, er hält ihr Leben immer noch für wertlos, aber er gibt zu, dass ihr Tod besser bezahlt werden sollte.
In diesem Zusammenhang sind Revolten vorprogrammiert. Es ist wahrscheinlich, dass es einige soziale Reformen geben wird, die die Bevölkerung besänftigen sollen – zumindest vorübergehende, um die Auswirkungen der Pandemie zu mildern –, aber sie werden mit der ständig zunehmenden Gewalt eines Staates einhergehen, von dem alle glauben ihn zu brauchen, da er als Beschützer unserer Gesundheit missverstanden wird.

Tatsächlich ist der Staat selbst die größte Gefahr für uns, da er die drastisch ungleiche Verteilung der Ressourcen durchsetzt, die uns zwingt, uns mit solchen unausgewogenen Risikoverteilungen auseinanderzusetzen. Wenn wir überleben wollen, können wir nicht nur eine gerechtere Politik fordern – wir müssen auch die Macht des Staates delegitimieren und untergraben.

Strategien des Widerstandes

Zu diesem Zweck werden wir einige Widerstands-Strategien vorstellen, die bereits in Gang gekommen sind.

Mietstreiks

(…)
Unzählige Millionen, die von einem Gehaltsscheck zum nächsten leben, haben bereits ihre Arbeit und ihr Einkommen verloren und haben keine Möglichkeit, die Miete für April zu bezahlen. Der beste Weg, sie zu unterstützen, ist ein Streik, der es den Behörden unmöglich macht, alle, die nicht zahlen, ins Visier zu nehmen. Banken und Vermieter*innen sollten nicht in der Lage sein, weiterhin von Mieter*innen und Hypotheken zu profitieren, wenn es keine Möglichkeit gibt, Geld zu verdienen. Das ist einfach gesunder Menschenverstand.
Diese Idee ist bereits in vielen verschiedenen Formen im Umlauf. (…) Damit ein Mietstreik landesweit Erfolg hat, muss mindestens eine dieser Initiativen so stark an Dynamik gewinnen, dass eine große Zahl von Menschen sicher sein kann, dass sie nicht im Stich gelassen werden, wenn sie sich zur Teilnahme verpflichten. Doch anstatt darauf zu warten, dass eine einzige Massenorganisation einen massiven Streik von oben koordiniert, ist es am besten, wenn diese Bemühungen an der Basis beginnen. Zentralisierte Organisationen gehen oft schon zu Beginn eines Kampfes Kompromisse ein und untergraben die autonomen Bemühungen, die solchen Bewegungen Macht verleihen. Das Beste, was wir tun könnten, um aus dieser Erfahrung gestärkt hervorzugehen, wäre der Aufbau von Netzwerken, die sich unabhängig von Entscheidungen von oben verteidigen können.

Arbeits- und Transitstreiks

(…)
Wenn es jemals eine gute Zeit für das umkämpfte und prekäre Proletariat gab, um durch Streiks und Arbeitsniederlegungen Stärke zu zeigen, dann ist es jetzt. Ausnahmsweise wird ein Großteil der Bevölkerung Verständnis zeigen, da die Unterbrechung des »business as usual« auch die Gefahr einer Verbreitung des Virus verringern kann. Anstatt zu versuchen, die individuelle Situation einzelner Mitarbeiter*innen durch Lohnerhöhungen zu verbessern, ist es unserer Meinung nach am wichtigsten, Netzwerke aufzubauen, die das »business as usual« unterbrechen, das System als Ganzes stören und auf die revolutionäre Einführung alternativer Lebens- und Beziehungsformen hinweisen können. An diesem Punkt ist es leichter, sich die Abschaffung des Kapitalismus vorzustellen, als sich vorzustellen, dass er selbst unter diesen Umständen reformiert werden könnte, um allen unseren Bedürfnissen in gerechter und ausgewogener Weise zu dienen.

Gefängnis-Revolten

Revolten in brasilianischen und italienischen Gefängnissen haben bereits zu mehreren Ausbrüchen geführt, darunter auch zu Massenfluchten. Der Mut dieser Gefangenen sollte uns an all die Gruppen erinnern, die von der Öffentlichkeit ferngehalten werden und die bei Katastrophen wie dieser am meisten leiden werden.
Sie können uns auch inspirieren: Anstatt Befehle zu befolgen und im Verborgenen zu bleiben, während die ganze Welt in eine Matrix von Gefängniszellen verwandelt wird, können wir kollektiv handeln, um auszubrechen.


Offensive Solidarität statt Isolation! Vonovia angegriffen!

Vonovia ist deutschlandweit in Erscheinung getreten durch seine repressive Praxis gegenüber Mieter*innen, den massiven Aufkauf von Wohnraum und damit einhergehende Luxussanierung in Stadtvierteln die vor allem von Familien und Geringverdienenden bewohnt werden, Entmietung durch das Unterlassen von Reparaturleistungen bei Schimmel und Wasserschäden und überhöhte Nebenkostenabrechnungen als Folge der Vergabe von Hausmeistertätigkeiten und ähnlichem an eigene Subunternehmen. Die Liste liesse sich noch ergänzen und es gibt eine Vielzahl von Einzelfällen die hier nicht genannt werden können.

Gerade in Zeiten von Corona wo zahllose Menschen ihren Job verlieren oder in die Kurzarbeit gezwungen werden um die Profitrate möglichst nicht zu gefährden, wird die Wohnsituation für die ohnehin schon marginalisierten Gruppen und ärmeren Schichten noch prekärer. Vonovia hat zwar wie andere VermieterInnen versprochen die Miete zu stunden und es ist ein weitgehendes Räumungsverbot gesetzlich erlassen worden, doch sobald es von den Herrschenden wieder einigermassen vertreten werden kann und die Gefahr eines gesellschaftlichen Aufschreis gering erscheint, werden diese Schulden mit Zinsen eingetrieben werden. Nach der „Coronakrise“, wann das sein wird entscheiden die Herrschenden und wie für alle klar sein muss, wirtschaftliche Zwänge und nur an zweiter Stelle eine Abwesenheit des Virus, folgt für viele Menschen der ökonomische Kollaps. Dieser wird im Moment noch einigermaßen sozialstaatlich abgefedert aber, wie nicht nur an den Milliardenpaketen für die Wirtschaft absehbar ist, gehört das Eintreiben von Schulden und Entlassen von Arbeiter*innen als unvermeidliche Konsequenz dazu, um die Interessen des Kapitals durchzusetzen.

Deshalb ist es aus unserer Perspektive notwendig schon frühzeitig und vermittelbar in bereits bestehende Konflikte mit Vonovia einzugreifen und wo dies noch nicht der Fall ist möglicherweise Anschubhilfe zu leisten. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Kuhwaldsiedlung, welche eine migrantisch geprägte Arbeitersiedlung ist, die in den letzten Jahren fast vollständig von Vonovia aufgekauft wurde. Durch ihre gute Lage zwischen Messe/Europaviertel und Leonardo-da-Vinci-Allee ist sie für Vonovia ein interessantes Spekulationsobjekt und es ist davon auszugehen, dass die Kuhwaldsiedlung in Zukunft nach ähnlichen Vorstellungen umgestaltet werden wird.

Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden dort und in ähnlichen Stadtteilen in Frankfurt aktiv zu werden und Autos von Vonovia zu zerstören und mit der Parole „Mietstreik!“ zu versehen.

Wir halten es für notwendig auch in Zeiten von Kontaktverboten und anderen Maßnahmen die Perspektive nicht zu verlieren, dass die richtige Krise noch kommt und die Folgen für viele Leute existenziell sind. Solidarität mit den Prekarisierten und Marginalisierten ist jetzt vielleicht wichtiger denn je und wo Konflikte bestehen werden wir Teil dessen sein und wo sie noch nicht bestehen werden wir sie befeuern. Die staatlich verordnete Handlungsungfähigkeit ist für uns weder eine Option, noch eine Lösung gesellschaftlicher Probleme. Wie aus Papieren des Bundesinnenministeriums und des IWF hervorgeht haben die Herrschenden durchaus Angst vor sozialen Unruhen aufgrund der ökonomischen Krise, deshalb begreifen wir die Maßnahmen des Staates auch als Ausdruck einer präventiven Aufstandsbekämpfung. Verantwortung übernehmen und blinder Gehorsam schliessen sich für uns gegenseitig aus! Benutzt den eigenen Verstand, bleibt aktiv, schützt euch und andere!


Dokumentation

Polizei bekommt Gegenwehr

In Griesheim scheinen ein paar junge Männer die Schnauze von den Gängelungen, durch die nun mit noch mehr Befugnissen ausgestatte Polizei, voll gehabt zu haben.
Als die Bullen am 11.04.20 in Griesheim eine Gruppe junger Männer auflösen wollte setzen diese sich laute den Bullen mit Steinen und einer Hantelscheibe zur Wehr.
Erst ging wohl die Scheibe eines Streifenwagens zu Bruch und dann wurde die angeforderte Verstärkung angeblich mit „Steinen, Dachlatten und Eisenstangen“ attackiert
Ärgerlich das bei einer anschließenden Großfahndung sechs Verdächtige gefasst wurden.
Am darauffolgenden Tag erhöhten die Bullen ihre Präsenz in Griesheim und schalten sich dabei selber aus, als ein mit BFE vollbesetzter Wagen verunfallte und umkippte.
Hantelscheiben gegen Bullen! Chapeau!

Auto von Marko Mitrovic zertrümmert

Frankfurt am Main, März 2020
Trigger/ Inhalts Warnung: „Pick-Up-Artists“ und sexualisierte Gewalt
Wir haben am gestrigen Abend den silbernen Smart mit dem Kennzeichen FMM 3990 vom Pick-Up-Arschloch (PUA, den sexistischen Begriff „Pick-Up-Artist“ werden wir hier nicht reproduzieren) Marko Mitrovic aka Marco Polo, der in der Saalburgstraße 13 in Frankfurt wohnt, mit Freude zerstört. Die Reifen haben wir zerstochen, die Scheiben zerschlagen und die Karosserie bearbeitet. Marco Polo ist einer der bekanntesten PUAs in Deutschland. Er übt sich nicht nur selbst in den manipulativen Taktiken an Frauen*, sondern unterrichtet Männer deutschlandweit in systematischem grenzüberschreitenden Verhalten. Er ist also ein hauptberuflicher PUA, denn er verdient sein Geld mit der Verbreitung dieser sexistischen Praktiken.

Marko Polo/Mitrovic ist Teil einer Szene von Männern, in der Frauen* eine klare Rolle zugewiesen bekommen: als Objekt und Austragungsort der heterosexistischen, männlichen Sexualität. Die Pick-Up-Arschlöcher nennen den Weg zu ihrem Ziel (Handynummer*, Sex oder eine Beziehung) ein „Game“.
Die betroffenen Frauen* bekommen jeglichen Subjektstatus abgesprochen, indem mit ihnen unwissentlich und unfreiwillig „gespielt“, ihr Aussehen in Zahlen beurteilt und ungeachtet der Persönlichkeiten und Interessen der Personen, die gleichen Taktiken auf sie angewendet werden. Das darf natürlich nicht auffliegen, weshalb Mitrovic z.B. empfiehlt, dass Frauen*, die in Therapie sind, gemieden werden sollten, denn sie könnte ja merken „warum sie dich nicht will“ 2.

Die von Mitrovic und anderen „Gurus“ gepredigten „Verführungstechniken“ sind neurologische Methoden wie Manipulation, Erniedrigung, Demütigung, Hypnose und Konditionierung. Sie sind nichts anderes als systematische Grenzüberschreitungen und psychische, physische und sexualisierte Gewalt. Es gibt PUAs die ihr gewaltvolles und dominantes Verhalten offen zugeben – und dann gibt es Marko Metrovic.

Marko Metrovic probiert sich in der Öffentlichkeit und innerhalb der Pick-Up-Pisser Szene als Antisexist zu inszenieren und mit seinem Unternehmen „Flirt Empire“ die Techniken der PUA als Weg zur wahren Liebe – buchstäblich – zu verkaufen.
Nach dem Skandal um den Vergewaltiger und PUA Julien Blanc, der sexualisierte Gewalt (wie unkonsensuales Würgen oder Kopf in den Schritt drücken) als Teil seiner Flirttechnik propagiert, sagte Marco Polo in einem Interview, die PUA Szene „habe nichts falsch gemacht“ 1 und PUAs seien in Wahrheit „frauenfreundlich“2. Mit ein paar widersprüchlichen, halbherzigen Aussagen sorgte er dafür, dass er fröhlich weiter seine frauenverachtenden Seminare veranstalten kann, die dadurch sogar noch einen vermeintlich antisexistischen Anstrich bekamen. Dass dies ein reiner publicity stunt ist, sollte allen klar sein.
Denn er behauptet gleichzeitig die „Kunst der Verführung ist es jemanden dazu zu bringen etwas zu tun, was er eigentlich nicht tun wollte“2. Indem er selbst verbreitet, dass „das erste Nein respektvoll“2 (!) umgangen werden kann, dass Frauen* manchmal nur „aus Höflichkeit“2 Ja sagen und dass er aktiv versucht es der betroffenen Person so schwer wie möglich zu machen Nein zu sagen2, beweist er, dass hinter seinem verschleierten Sexismus wieder nur die Verletzung der (körperlichen) Selbstbestimmung von Frauen* und die Aufrechterhaltung der männlichen Herrschaft steht.
Marko Polo ist nicht nur ein PUA sondern auch ein Unternehmen. Er gibt Coachings und Seminare (die Teilnahme kostet schon mal 500-1000 €) und verkauft Ratgeber, die die Manipulation und Sexualisierung von Frauen als ein Projekt der männlichen Persönlichkeitsentwicklung verkaufen. Er bewirbt sie damit, dass er angeblich schon mit über 300 Frauen geschlafen habe, was wohl bei seiner Anhängerschaft zieht. Die Kommerzialisierung dieser systematischen Grenzüberschreitung der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen* durch Sexisten wie Marko Metrovic, ist ein widerwertiger Auswuchs des kapitalistischen Patriarchats. Sie führt zu vermehrten Belästigungen im öffentlichen Raum und nicht zuletzt zur Normalisierung von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen.

Wir haben Metrovic als Ziel unserer feministischen Aktion gewählt, um aufzuzeigen, dass die Pick Up Pisser Szene, ihr sogenanntes „Game“ und all ihre Anhänger und Unternehmer auch ohne offensichtliche gewaltverherrlichende Aussagen und (angezeigte) Vergewaltigungen von Grund auf sexistisch und gewaltvoll sind!
Wir werden diese Gewalt nicht weiter hinnehmen! Es ist an der Zeit, dass sexistische Täter, die aus einer tief patriarchalen Ideologie handeln, endlich auch militant angegangen werden – Entlarvt sie, Markiert sie, Greift sie an! Outet Metrovic und andere wo sie wohnen, studieren und ihre Scheiße abziehen.
Wir holen uns die Selbstbestimmung zurück, die uns der sexistische Staat und der Kapitalismus niemals geben wird und sorgen für unseren Selbstschutz indem wir #feministischkämpfen!
Grüße an die Liebig 34 und alle kämpfenden FLINT*s da draußen.

Inspiriert wurden wir vom Aufruf zum 8. März zu finden auf feministischkaempfen.blackblogs.org