Vorwort

Irre Zeiten.

Trump ist endlich abgetreten und wir denken, dass dies die Bedingungen für progressive Bewegungen in der Welt verbessert. Wo aber Linke die Wahl der Figuren Joe Biden und Kamela Harris feiern, ist das für uns Ausdruck einer Versöhnung mit den globalen Ausbeutungsverhältnissen. Denn ein US-Präsident war, ist und bleibt oberster Vollstrecker des größten imperialistischen Akteurs in der Welt.

Täglich tauchen Nachrichten zur Verstrickung von Geheimdiensten mit extrem rechten Strukturen und organisierter Kriminalität auf. Über die Ereignisse in Österreich, wo der Verfassungsschutz die Flucht des Hautverdächtigen des milliardenschweren Wirecard-Betrugs nach Russland organisiert, ließe sich ein schlechter Krimi schreiben. In D-Land ist es nur noch ein Klamauk in der Randspalte, dass die Klage der AfD gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz durch die Kanzlei erhoben wird, in der der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes angestellt ist. Weiterhin auftauchende Berichte über Waffenfunde bei Nazis, Bullen und Nazibullen schaffen es dagegen nicht mal mehr in den Empörungskorridor. Und ertrunkene Migrant*innen, illegale Push-Backs und mörderische Bedingungen in den Lagern an der EU-Außengrenze schon lange nicht mehr. Den Schlag auf Schlag erfolgenden Verschärfungen, die die Bedingungen für eine totalitäre Überwachung schaffen, tritt nicht mal mehr die Linke entgegen – die flächendeckende ED-Behandlung aller Menschen durch den neuen Personalausweis, Geheimdienstmittel für die Bullen, die Erfassung aller KfZ auf den Straßen, alles wird ohnmächtig hingenommen.

Ebenfalls gewöhnt haben wir uns scheinbar an die Bewegung der selbsternannten Querdenker. Fast täglich kommt es im Rhein-Main-Gebiet irgendwo zu einer Aktion, wo sie ihre antisemitischen Verschwörungserzählungen in die Öffentlichkeit tragen. Wir vermissen strategische Debatten in der Antifa, in welchen Kontexten wir ihnen entgegentreten wollen und wann und wo wir sie ignorieren sollten, um Kräfte für wichtigeres zu sparen.

Strategische linke Debatten zu Corona haben dagegen Fahrt aufgenommen durch die Zero-Covid-Initiative. Ohne die Standpunkte und Vorschläge der Initiative teilen zu wollen, begrüßen wir sie, weil sie dort Impulse hinträgt, wo linke Debatten bisher marginalisiert oder eindimensional geblieben sind.
Dass durch Corona ausgelöste Dynamiken oft komplex und widersprüchlich sind, zeigen die Corona-Riots in den Niederlanden. Ursprünglich von rechten Corona-Leugnern gestartet, wurden sie vor allem von Jugendlichen der marginalisierten Bevölkerungsgruppen aufgegriffen und haben sich zu landesweiten Unruhen ausgeweitet. Zur Niederschlagung der abendlichen Krawalle bietet der niederländische Staat einen Hilfsdienst für Freiwillige an, an dem sich natürlich vor allem Faschist*innen beteiligen. Wer uns beweisen kann, dass er/sie so eine Dynamik vorher so hat kommen sehen, bekommt von uns ein Binding geschenkt. Ehrenwort.
Wir denken, es ist in diesen wirren Zeiten wichtig, nicht selbst wirr zu werden. Sondern zu versuchen, Dynamiken auch in ihrer Widersprüchlichkeit einzuschätzen und sich bei einer Positionierung stets daran auszurichten, dass wir Verhältnisse herstellen wollen, an denen kein Mensch nirgendwo ein geknechtetes Wesen mehr sein soll. Ganz in diesem Sinne sind die vielen Zuschriften, die für diese Ausgabe reingekommen sind. Vielen Dank auch an dich und an die anderen fleißigen Verteiler*innen der Swing während der Pandemie.

Post bitte bis zum 30. März in unsere Briefkästen, Eure Swing

Solidarität mit dem geräumten Squat AT Rog in Ljubljana und mit den Anarchist*innen in Russland

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