Never Trust a Cop-Tweet

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus zwei Texten zu den Ereignissen in Leipzig an Silvester und der Medienstrategien der Bullen. Na, nu? Leipzig ist weit weg für ein regionales Infoblatt. Ja, schon. Allerdings haben die (Medien)Ereignisse bundesweite Bedeutung in der Debatte über linke Militanz. Zum anderen sind die dargelegten Vorgehensweisen der Bullen und die nachfolgenden Dynamiken in der Presseöffentlichkeit von grundlegender Bedeutung. Oder um es anders zu sagen: Rödelheim und Connewitz waren Silvester sehr nahe beisammen. In beiden Fällen schwadronierten die Presseabteilungen der lokalen Polizeidirektionen von gewalttätigen Ereignissen und Angriffen auf Einsatzkräfte. Beide Male waren die realen Vorgänge in der Silvesternacht unfassbar weit entfernt vom gezeichneten Bild der behördlichen Angstmacher. Und dennoch fand in beiden Fällen die polizeiliche Darstellung ungefiltert den Weg in die offiziellen Presseberichte und in die Empörungsmaschinerie der sogenannten sozialen Medien.

Wir sind uns auch nicht einig darüber, warum Redaktionen bürgerlicher Medien aller Art sich immer wieder durch die absurden Berichte der polizeilichen Wiederholungstäter vorführen lassen. Aber wir sind uns sicher, dass diese Entwicklungen sich weiter festigen werden und somit auch bald hier vor Ort wieder wilde Blüten treiben werden. Insofern: Wenn die nächste Bullensau durchs Dorf getrieben wird, die dargestellte Handlungen euch vielleicht schockieren und euch zweifeln lassen am Gewissen und der Motivation von Genoss*innen, wenn der Angriff auf unser aller Werte fabuliert wird, die Reihen sich schließen sollen und von Unmenschen gesprochen wird, dann glaubt den professionellen Lügenbolden nicht! Sondern atmet lieber mal durch und sprecht das Thema lieber ganz analog an beim nächsten Treffen eurer Politgruppe, dem AZ-Plenum oder wo auch immer ihr noch in der echten Welt Genoss*innen trefft. Und am Besten beteiligt ihr euch auch nicht an der Empörungsmaschinerie in den digitalen Medien. Denn eine Hetzkampagne ist kein Diskurs in dem Argumente zielführend wären oder linksradikale Positionen zwingend vertrete sein müssten. Lieber mal die digitale Schnauze halten, Handy beiseitelegen und keine Gerüchte und Spekulationen streuen. Statt 140 unterkomplexen Twitter-Zeichen, diskutiert doch lieber in euren Zusammenhängen und vielleicht schreibt ihr auch einen kleinen Analysetext, wie einen der Folgenden aus denen wir zitiert haben:

„Gedanken zu den Ereignissen an Silvester in Connewitz

Am Silvesternachmittag war Connewitz von Bullen belagert, die die Anwohner*innen drangsalierten und sich wie eine Besatzungsmacht inszenierten. Zum Jahreswechsel gab es am Connewitzer Kreuz schließlich Auseinandersetzungen mit Bullen. Diese Auseinandersetzungen sind Ausgangspunkt einer beispiellosen Hetzkampagne der Leipziger Polizei gegen einen politisch unliebsamen Stadtteil.

Leipziger Märchenstunde(n)

Wie sich im Zuge der Recherche engagierter Journalist*innen herausstellt, handelt es sich bei der vermeintlich lebensgefährlichen Verletzung des Bullen am Kreuz, die der polizeilichen Pressemitteilung eine „Notoperation“ zur Folge hatte, keineswegs um eine gravierende Verletzung. Nicht einmal mehr von einer „Notoperation“ ist im Nachgang die Rede. Mittlerweile räumen dies selbst die Bullen ein und rudern dementsprechend zurück. Dennoch ist das Kind längst in den Brunnen gefallen. Die Nachrichten über einen lebensgefährlich verletzten Bullen geistern seit Tagen durch die Medien. (…)

The same procedure as every year(?)

Die Leipziger Bullen haben neben der Lüge der vermeintlichen Notoperation weitere Fakenews in Umlauf gebracht und damit bewusst das mediale und politische Klima beeinflusst.
Ein brennender, als Polizeifahrzeug gestalteter Einkaufswagen wurde auf eine Kreuzung geschoben und kam dort zum Erliegen. Bullen waren zu diesem Zeitpunkt nicht in der Nähe des Einkaufwagens. Es gab keinen Hinterhalt, in den die Cops gelockt wurden. Nach einem Angriff auf Bullen in der Selneckerstraße rannten zwei Bullen im Jagdfieber und einer davon ohne Helm mindestens einer Person hinterher, um diese festzunehmen. Ein kleines Stück dahinter folgte ein dritter Bulle. Den beiden Cops gelang es eine Person kurzzeitig festzunehmen, dies führte zu spontanem solidarischen Handeln Umstehender und durch direkte körperliche Angriffe auf die drei Cops konnte die Person befreit werden. Die Bullen haben ihren Festnahmeversuch voreilig und ohne Rücksicht auf ihren Selbstschutz gestartet. Der wegen Körperverletzung im Amt vorbestrafte BFE-Truppenführer Golze wird wahrscheinlich so schnell nicht wieder ohne Helm Zugriffsversuche starten. Die von Ronny Golze geäußerte Kritik in einer Polizeiübung: „Die Annäherung war noch zu langsam“, kann man in diesem Fall auch getrost zurückweisen.

Lügenbullen!

Die Bullen sind nicht erst seit Kurzem ein eigener politischer Akteur geworden, der die Deutungshoheit über politische Ereignisse und Auseinandersetzungen, teilweise mit Lügen und Übertreibungen, zu erlangen versucht. Sie generieren eigene Wahrheiten und schaffen ein Klima, das Politiker*innen aller Parteien zu einem Distanzierungsmarathon gegenüber vermeintlich linker Gewalt zwingt, auch wenn sich im Nachhinein das meiste als gelogen herausstellt. Die Bullen arbeiten damit ganz bewusst mit an einer Verschiebung der Diskurse nach Rechts, liefern Wasser auf die Mühlen derer, die seit jeher mit ihren autoritären Polizeistaatssehnsüchten glänzen und fördern letztlich damit auch Gewalt von Rechts. Und während sich Bullen, Medien (dem Narrativ der Bullen unkritisch folgend) und Politiker*innen aller Parteien gegenseitig mit catchy Schlagworten wie „linker Terrorismus“ und „Mordversuch“ und absurden RAF-Vergleichen überbieten, um maximale Aufmerksamkeit zu generieren, sind immer noch Menschen, die am Kreuz festgenommen wurden, eingesperrt, lag oder liegt ein Mensch in Folge der Polizeigewalt an Silvester im Krankenhaus…
Wer mit Worten wie „Terrorismus“ und „Mord“ um sich wirft, relativiert den Tod jener, die nicht nur im vergangenen Jahr rechten Tätern zum Opfer fielen und stellt alle, die am Silvesterabend gegen die Brutalität, Schikanen und Anwesenheit der Sächsischen Nazibullen intervenierten, mit diesen tatsächlichen rechten Terroristen auf eine Stufe.“ Text von Gepetto am 3.1.2020

„Zur Medienstrategie von Bullen, Justiz und Politik

Wir begrüßen das Vorgehen der Menschen am (Connewitzer) Kreuz und wollen es nicht herunterspielen oder kleinreden; aber es war, bei allem Gelingen, auch nicht dieses krasse „mehr als bisher“, welches Bullen, Politik und Medien nun daraus gemacht haben. Es war mehr als in anderen Jahren am Kreuz passierte und ein bisschen weniger, als zu anderen Gelegenheiten in Leipzig möglich war.
Warum aber nun dieses Riesentheater? Ist es wirklich, weil dort Genoss*innen versuchten, einen Bullen zu ermorden? Weil die angegriffenen Bullen so schwer verletzt wurden, wie noch nie? Weil der Angriff über jedes vorhersehbare Maß hinausging? So zumindest soll es den Menschen glauben gemacht werden und dies richtet sich nicht auf eine irgendwie angepeilte Strafverfolgung oder ähnliches, sondern dass richtet sich vor allem darauf, das Entstehen einer linksradikalen Bewegung zu verhindern und deren Akteur*innen frühzeitig auseinanderzujagen und zu spalten. (…)

Das Ziel hinter der Hetze

Viel schlimmer aber als das Geschilderte ist etwas anderes. Dieses lässt sich durchschauen, wie es ja dann auch die Recherchen vom Kreuzer (für alle Auswärtigen: eine Leipziger Stadtzeitung) und von der taz ergaben. Schlimmer ist: Es geht bei der verzerrten Darstellung der Ereignisse am Kreuz nicht wirklich um die Ereignisse am Kreuz, sondern es geht darum, die militante autonome und anarchistische Bewegung zu diskreditieren und gesellschaftlich zu isolieren. Dass Ziel ist nicht, dass die Leute am Ende der Darstellung der Polizei glauben, hinsichtlich der Frage, was am Kreuz nun wirklich passiert ist. Es geht darum, dass die Akteur*innen, ob sie es nun getan haben oder nicht getan haben, Menschenfeinde sind. Dass es sich bei denen, die Steine warfen und Raketen auf die Bullen schossen, um eine Gefahr für die Gesellschaft handelt. Dass diese handeln ohne Sinn und Verstand, dass ihre Ziele niederträchtig und menschenverachtend sind, dass ihr Handeln geboren wird aus Hass und der Freude an wahlloser Gewalt und dergleichen. Am Ende muss jemand, egal ob aus den Medien, den Repressionsbehörden oder der Politik sagen können: Diese Menschen sind uns ungleich und fremd, sie gehören zum Schutz der Allgemeinheit eingesperrt oder Schlimmeres; ihnen Gewalt anzutun ist kein Verbrechen, ebenso denen, deren Freund*innen sie sind. Diese Menschen sind nichts als eine Bedrohung, sie zerstören den Frieden, sie machen aus der guten Gesellschaft eine schlechte Gesellschaft, sie treten die Ziele der gemäßigten Linken mit Füßen und ziehen sie in den Dreck, sie wenden sich gegen Unschuldige und tun diesen Gewalt an, zerstören ihr Eigentum, sie kennen keine Grenzen mehr und keine Verhältnismäßigkeit.

Und das war, wie fast immer, wenn die Bullerei eine solche Absicht verfolgt und dabei von Medien und Politik unterstützt wird, oder diese die gleiche Absicht verfolgen, ein Erfolg. Dieses ist ihnen gelungen, denn wenn sich auch nicht alle einig sind, was am Kreuz passierte, so sind sich doch alle einig, von rechts bis links, dass es ein schweres Vergehen war, dass überhaupt jemand kam und die Bullerei mit Steinen bewarf. Und dass das so bleibt, dass ist das wahre Ziel hinter all dieser Hetze. […]

Nun haben sich die Autonomen (im Gegensatz zu ihren Ekelkindern, den Postautonomen) in den letzten Jahren weg von den Teilbereichskämpfen hingewandt zu Kämpfen gegen die Staatsmacht im Allgemeinen und in dieser Hinsicht ist von Leipzig wohl auch ein gewisser Esprit ausgegangen in den vergangenen Jahren. Der Angriff auf Polizeistationen, auf Gerichte und Ämter, … jedenfalls ist keine Besonderheit mehr und richtet sich gegen den Staat als Akteur. In diesem Kontext stehen ja auch die Angriffe am Kreuz, auch wenn die faktischen Schikanen der Bullen über die letzte Zeit hinweg dem Ganzen eine gewisse zusätzliche Würze gegeben haben dürften. Es ist für die Anhänger*innen des gegenwärtigen Staates eine ziemliche Schreckensvorstellung, dass so etwas in Teilen der Gesellschaft begrüßt wird. […]

Und da macht der Staat in seinem Sinne alles richtig, wenn er es schafft, die Autonomen zu isolieren und denjenigen, die von einer besseren Gesellschaft träumen, einzubläuen: „Du kannst zwar von einer besseren Gesellschaft träumen, aber gegen diesen Staat darfst du nichts unternehmen.“ Und so sind ja die meisten Leute, die von einer besseren Gesellschaft träumen, schon in genau diese Lage geraten, dass sie sich im erlaubten Maße für ihre Sache einsetzen, aber gegen den Staat, den sie hassen, nichts Grundsätzliches unternehmen können, oder anders gesagt, grundsätzlich nichts unternehmen können. Und damit dies möglichst für immer so bleibt, muss eben der Keil zwischen die Autonomen und die Gesellschaft getrieben werden und immer und vor allem da, wo es Anzeichen davon gibt, dass diese Trennung, aufgrund derer alle beherrschbar bleiben, beginnt sich aufzulösen, weil die Menschen, die da geteilt wurden, beginnen, sich zu erkennen und eben zu sehen, dass ihre Interessen gar nicht verschieden sind, sondern gleich oder zumindest sehr ähnlich, ähnlicher jedenfalls als das Interesse, es so zu machen, wie der Staat es verlangt. Und weil das in Connewitz so ist, also dass sich genau so etwas schon lange entwickelt, wird Connewitz bei allen Freund*innen der falschen Ordnung so gehasst. Und genau deswegen bekommt die Bullerei gleich Unterstützung aus der Politik selbst auf Bundesebene, um einen kleinen Krawall wieder einmal zum Bürgerkrieg hochzupushen. Dass es den Bullen und den Politiker*innen um etwas geht, sehen wir auch daran, dass sie sich richtig ins Zeug legen, um den Keil zwischen die Leute zu treiben. Sie sagen: Diese Leute, das sind Mörder. Und schlimmer geht es ja kaum. Es wäre noch drastischer, wenn es Vergewaltiger oder Massenmörder wären, aber das ist in Anbetracht der Situation einfach absurd. Und da ist mit Mörder schon die höchste Karte ausgespielt, ohne das ein einziger Bulle tatsächlich auch nur in die Nähe von Lebensgefahr gekommen ist und ernste Gefahr für Leib und Leben nachweislich häufiger von der Bullerei ausgeht als von irgendwelchen Autonomen.

Was ist zu tun?

Die letzte Frage, mit der wir uns in diesem Zusammenhang beschäftigen wollen, ist die Frage: Was ist zu tun, angesichts des Geschilderten, zumindest wenn jemand etwas von dem bisher Geschriebenen teilt. Aber wir denken: Es gibt in dieser Hinsicht überhaupt nichts zu tun. Die Bullerei, die Medien und die Politik werden das jedes Mal aufs Neue versuchen. Sie werden uns jedes Mal aufs Neue als die ganz Schlimmen und Bösen und Dummen hinstellen. Und eine ganze Reihe von Leuten wird weiterhin sagen: Mit diesen Schmuddelkindern wollen wir nichts zu tun haben. Hiergegen können wir nichts machen, denn der Erfolg der Hetze gegen uns, der liegt ja nicht daran, dass die Hetze gut gemacht ist, er liegt daran, dass die Hetze auf Menschen trifft, die verunsichert und eingeschüchtert sind und insgesamt etwas die Übersicht verloren haben, gleichzeitig aber glauben, dass sie eine sehr gute Übersicht hätten und dass sie genau wissen, was wie zu machen ist und dergleichen. Auf uns Schmuddelkinder hören sie sowieso nicht, über uns ärgern sie sich nur. Aber gleichzeitig gibt es auch immer mehr Leute, die erkennen, dass es eigentlich nicht so schlecht ist, mit den Schmuddelkindern zu verkehren und die verstehen, dass es gut ist, ein paar Schmuddelkinder zu kennen und hin und wieder etwas Zeit mit ihnen zu verbringen, weil sie erkannt haben, dass die Schmuddelkinder gar nicht so schlimm sind, wie ihnen vorher gesagt wurde.
Davon aber können wir sie nicht überzeugen, davon müssen sie sich schon selbst überzeugen. Was wir tun können, ist ihnen möglichst regelmäßig Gelegenheit dazu zu geben.“

Text von Schmuddelkindern am 5.1.2020

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