Pünktlich vor dem G 20 Gipfel in Hamburg und unter dem Vorwand der Reaktion auf die Proteste gegen die EZB-Eröffnung in Frankfurt 2015 wurden am 30.05.2017 die sog. Widerstandsparagraphen (§§ 113 ff. StGB) verschärft. In Verfahren und Urteilen im Nachgang des Gipfels zeigte sich schnell, dass die Reform insbesondere der Repression gegen linke und linksradikale Aktivist*innen dienen soll. Die Verschärfungen machen sich nicht nur bei Großveranstaltungen, sondern auch im Alltag von Aktivist*innen und Antirepressionsstrukturen immer deutlicher bemerkbar, weshalb wir sie an dieser Stelle vorstellen.
Ursprünglich sollten die §§ 113 ff. StGB eine Privilegierung gegenüber der Nötigung (§ 240 StGB) darstellen. Das heißt, dass in der speziellen Situation der Konfrontation von Bürger*innen mit der Staatsgewalt, vor allem mit Cops, eine niedrigere Strafandrohung als sonst gelten sollte, um der für Bürger*innen besonders stressigen und regelmäßig hektischen Situation Rechnung zu tragen. Diese Privilegierung wurde nun in ihr Gegenteil verkehrt.
Während in der ersten Reform von 2011 die Widerstandsparagraphen an den Strafrahmen der Nötigung angeglichen wurden, wurde nun in der aktuellen Verschärfung das Erfordernis einer Vollstreckungshandlung gestrichen und sowohl das Mindest- als auch das Maximalstrafmaß erhöht. Nun übertrifft die Strafandrohung sowohl diejenige der Nötigung (§ 240 StGB) als auch die der einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB), obwohl die Widerstandsparagraphen ursprünglich, als sie noch mit niedrigerem Strafmaß ausgestattet waren, gerade diese Straftatbestände für die Konfrontationssituation mit Cops verdrängen und abschwächen sollten. Hinzu kommt, dass seit der Reform jede Diensthandlung geschützt wird, sodass faktisch ein Personenschutzrecht insbesondere für Cops geschaffen wurde, welches auch Handlungen kriminalisiert und mit Haftstrafen versieht, die im Verhältnis unter Bürger*innen straflos wären.
Für die Verschärfung ist zentral, dass der „Tätliche Angriff“ nun in § 114 Abs. 1 StGB verschoben und mit einer Mindeststrafe von drei Monaten belegt wurde. Weil ohne Erheblichkeitsschwelle jegliche körperliche Einwirkung als „tätlicher Angriff“ zählt, reicht bereits einfaches Bullenschubsen oder sich gegen die Laufrichtung zu stemmen aus. Wird er aus einer Gruppe heraus begangen oder eine Waffe bzw. ein gefährliches Werkzeug mitgeführt (nun auch ohne Verwendungsabsicht), erhöht sich das Mindeststrafmaß auf sechs Monate (§ 113 Abs. 2 StGB). Auf Demonstrationen würde es also bspw. bereits ausreichen, an einem Transpi zu zerren, während Cops es an sich reißen wollen, um mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten bedroht zu sein.
Nach dem G-20 Gipfel dienten insbesondere die Widerstandsparagraphen dazu, bspw. für Steinwürfe auf uniformierte Cops Haftstrafen zu verhängen, die deutlich über eine Dauer von zwei Jahren hinausgingen. Auch im aktivistischen Alltag machen sie sich quasi als Standardvorwurf bemerkbar, sind dank Deutungshoheit auf Seiten der Cops flexibel einsetzbar und mit absurd hoher Strafandrohung ausgestattet. Hinzu kommt, dass Cops von Richter*innen in den meisten Fällen ein hoher Glaubwürdigkeitsvorschuss gewährt wird, obwohl sie in den Verfahren gleichzeitig als „Geschädigte“ auftreten. Strafrecht und Justiz unterstützen so die absurde in der Selbst- und immer mehr auch in der Fremdwahrnehmung der Polizei bestehende Opferrolle. Das Auftreten der Polizei als politische Akteurin mit eigener reaktionärer Agenda wird durch die weiter verstärkte Deutungshoheit unterstützt und gleichzeitig politischer Protest durch die Kriminalisierung von sonst straffreien Handlungen, die auf nahezu jeder Demo unvermeidbar sind, grundlegend angegriffen und delegitimiert.
Trotz aller Verschärfungen bleibt linke Politik alternativlos. Wir haben keine Wahl als die zunehmende Repression zu skandalisieren und zu versuchen, sie zu kippen. Solange müssen wir unter ihr weiter machen – Lasst euch nicht unterkriegen oder einschüchtern. Seid widerständig, bereitet Demos gut vor und nach, passt aufeinander auf und lasst euch nicht erwischen!
Die Moral von der Geschicht‘: Bullenschubsen, lasst das nicht!
Mai 2019
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