Am 15. März 2018 fand in Frankfurt am Main ein Aktionstag zum Internationalen Tag gegen Polizeigewalt statt. Der internationale Gedenktag wurde in Deutschland nach Berlin nun zum ersten Mal in Frankfurt am Main begangen und soll sich langfristig in Deutschland etablieren.
Kreativer Aktionstag in der Frankfurter Innenstadt
Vermeintlich verdachtsunabhängige Polizeikontrollen, Platzverweise und öffentliche Demütigung, immer wieder brutale Behandlung durch Polizei und Sicherheitsdienste prägen den Alltag von Schwarzen Menschen, Menschen of Color, Migrant*innen, Roma, armen und wohnungslosen Menschen, Sexarbeiter*innen und transgender Personen. Diese Normalität sichtbar zu machen, war das Anliegen des Aktionstages #15MRZ. Es ging darum, die Opfer zu betrauern, die strukturelle Dimension rassistischer Polizeigewalt sichtbar zu machen und die Betroffenen zu stärken.
Ein Bündnis lokaler Initiativen und überregionaler Kampagnen hatte am 15. März aufgerufen, den internationalen Tag gegen Polizeigewalt in der Frankfurter Innenstadt zu begehen. An der Hauptwache, einem Hot-Spot alltäglicher Polizeikontrollen und dem Willy Brandt Platz gab es Redebeiträge, eine Performance sowie eine Gedenkveranstaltung. Ein Infostand bot Interessierten die Gelegenheit, sich zu informieren und mit Aktivist*innen ins Gespräch zu kommen. Im Bahnhofsviertel entstand auf der Kreuzung Niddastr.-Ottostraße für ein paar Stunden ein Ort der Begegnungen. Videoinstallationen, Redebeiträge von Betroffenen und lokalen Initiativen schufen eine Atmosphäre der Solidarität, die mit Musik und Essen für alle die täglichen Polizeikontrollen in den Hintergrund drängten. Der aktivistische Wandertag fand seinen Abschluss bei einer Podiumsdiskussion im Bockenheimer Café KoZ. Dort wurden kollektive Handlungsmöglichkeiten und Alternativen jenseits der Polizei diskutiert.
Wichtig waren die vielen Begegnungen mit Menschen, die von ihren eigenen Polizeierfahrungen erzählten, sich über die schwierige Rechtslage informierten oder ihre Sympathie bekundeten. Kritik empörter Passant*innen zeigte aber auch, wie tabuisiert eine offene Diskussion der Staatsgewalt nach wie vor ist.
Rassistische Polizeikontrollen prägen einen alltäglichen Ausnahmezustand
„Racial Profiling“, erklärt Sissy Rothe von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) in einer bewegenden Gedenkrede auf dem Willy-Brandt-Platz „wird gerne ‚nur’ als eine Kontrolle und Routine abgetan, und wir sehen, wie wir – Schwarze Menschen und People of Color – schnell und gerne kriminalisiert werden. Die Hautfarbe allein reicht aus für einen Stopp durch die Polizei und deren Frage nach Ausweisen, Papieren, Aufenthaltsrecht, Daseinsrecht. Kein Verdacht auf eine konkrete Straftat, alleine unsere Erscheinung genügt um Verdacht auszulösen. Selbst auf Rechtsprechungen, wie zuletzt vom Verwaltungsgerichtshof in Baden-Baden im Februar 2018 reagiert der Polizeiapparat nicht. Die Notwendigkeit von Maßnahmen, um eigene Vorurteile zu erkennen, um diese auch in den Strukturen zu beleuchten und abzubauen, wird geleugnet. Stattdessen argumentieren sie mit Statistiken. Statistiken die sie selbst schaffen, durch das Kontrollverhalten.”
Warum Frankfurt am Main den internationalen Tag gegen Polizeigewalt braucht
Im Laufe des Tages zeichnet sich ein besorgniserregendes Bild der Gewalt routinemäßiger Polizeiarbeit im Umgang mit marginalisierten Gruppen. Deutlich wird mit welcher Regelmäßigkeit Situationen eskalieren und Kontrollen in Beschimpfungen und körperliche Übergriffe münden. Eine Sprecherin von Doña Carmen beschreibt wie das neue „Prostituierten-Schutzgesetz” faktisch der Demütigung und polizeilichen Gängelei, letztlich der kontinuierlichen Kriminalisierung Vorschub leistet. Die Wohnungen von Sexarbeiter*innen etwa dürfen mittlerweile ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl betreten werden.
„Auch geflüchtete Menschen erleben in ihrem Alltag systematische Gewalt, sei es durch ständige Kontrollen, Durchsuchungen oder während der traumatischen Durchsetzung von Abschiebe-Anordnungen“, berichtet eine Vertreterin des Hessischen Flüchtlingsrates.
Gegen Polizeigewalt & staatliche Repression!
Ein Grußwort des Bündnis „NSU-Komplex auflösen” verdeutlicht den systematischen Rassismus in der Polizeiarbeit, der das jahrzehntelange Morden der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU mit ermöglichte. Die Angehörigen der NSU Opfer wurden jahrelang von der Polizei schikaniert, überwacht und belogen. Die „Bombe nach der Bombe” nennt eine Überlebende des Anschlags in der Kölner Keupstraße die Begegnungen mit dem deutschen Polizeiapparat, der die Opfer über Jahre wie Täter behandelte. Auch Opfer tödlicher Polizeigewalt werden von den Behörden im Nachhinein verleumdet und entmenschlicht. Die Geschichte von Oury Jalloh zeigt, wie die Zusammenhänge vertuscht werden, die Aufklärung durch die Polizei sabotiert und von der Justiz verschleppt wurde. „Auch nach Jahren sind die Täter nicht gefasst und die Todesumstände bleiben ungeklärt“, skandalisiert ein Vertreter der Initiative im Gedenken an Oury Jalloh. Deswegen hat sich nun eine internationale, unabhängige Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod von Oury Jalloh konstituiert.
Strukturelle Dimension rassistischer Polizeigewalt
Racial Profiling ist nicht einfach der Ausdruck einer rassistischen Einstellung einzelner Polizeibeamter. Es handelt sich vielmehr um eine institutionelle Form des Rassismus, die durch die Gesetzgebung und die sogenannten verdachts- und unabhängigen Kontrollen begründet wird. „Es geht hier um strukturelle Menschenrechtsverletzungen mit erheblichen physischen und auch psychischen Folgen“, so June Jordanus von der Beratungs- und Dokumentationsstelle Copwatch Frankfurt, die auch auf den UN-Bericht im Rahmen der Dekade Menschen afrikanischer Herkunft verweist.
Manuel von der Roten Hilfe Frankfurt erklärt die Schwierigkeiten, gerichtlich gegen polizeiliche Übergriffe vorzugehen: „Es kommt nicht darauf an was Recht und Unrecht in einer Situation ist oder was die Polizei darf oder nicht. Die Polizei macht das, was sie kann, was sie will und womit sie durchkommt.”
Erinnern, Sichtbarmachen und Alternativen diskutieren
„Laye Condé, Oury Jalloh, Dominique Koumadio, N’deye Mariame Sarr und Christy Schwundeck sind nur einige der Menschen, die durch rassistische Polizeipraxen ums Leben gekommen sind. Christy Schwundek wurde in einem Jobcenter im Frankfurter Gallus am 19. Mai 2011 von einer Polizistin erschossen.“, betont June Jordanus von Copwatch Frankfurt. Der Aktionstag erinnerte beständig an die Opfer von Polizeigewalt und gedachte auf dem Willy-Brandt-Platz der Namen der Opfer, die in Deutschland, Frankreich, den USA und Brasilien ihr Leben verloren.
„So lange dem Leben einiger nur wenig Wert beigemessen wird, so lange einige unfreier sind als andere, so lange ist die gesamte Gesellschaft unfrei.” erklärt Sissy Rothe von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland.
„Erst gestern wurde in Rio de Janiero die Schwarze queere sozialistische Stadträtin Mareille Franco brutal ermordet, die sich gegen Polizeigewalt engagierte. Das verdeutlicht die internationale Relevanz des Kampfes gegen die Polizeigewalt noch einmal auf schmerzliche Weise.” erklärte ein Vertreter der Initiative Bahnhofsviertel Solidarisch.
Aamir Ageeb († 1999) und Christy Schwundek († 2011) wurden beide von Polizist*innen in Frankfurt am Main getötet.
Gesellschaftliche Probleme wie Armut, Gentrifizierung, Kriminalisierung, Flucht und Migration werden von der Polizei und den Ordnungsstrukturen oft nur verwaltet und verdrängt, statt zu ihrer Lösung beizutragen. Welche Formen von Zusammenleben und Konfliktlösungen jenseits von Polizei und Sicherheitsfirmen denkbar wären wurde zum Abschluss auf der Podiumsdiskussion verhandelt. Die Notwendigkeit gelebter Praxis und solidarischen Miteinanders betonte auch das Kafä-Kollektiv, dass den Tag über als Awareness-Team Betroffene unterstütze: „There’s no justice – there’s just us.”