Als am Freitag, den 13.11. der Frankfurter Oberbürgermeister ein Bild auf seinem twitter-Account veröffentlicht, auf dem er mit Bundespolizisten in militärischer Ästhetik posiert, weiß Mensch nicht, ob lachen oder weinen. Der Frankfurter OB, der im letzten Jahr in der Öffentlichkeit selten eine gute Figur gemacht hat, inszeniert sich seit Beginn der Pandemie als „harter Hund“.
Da werden Jugendliche auf der Zeil, die sich gegen Polizeikontrollen zur Wehr setzen, zu „Asozialen“. Da wird medienwirksam ein Brief an den Innenminister geschrieben und um mehr Polizei gebeten, um die staatlichen Corona-Maßnahmen in der Frankfurter Innenstadt durchzusetzen. In der Presse wird vom „Ende der Party“ gefaselt. Gezeichnet wird das Bild der bösen feiernden (migrantischen) Jugendlichen, welche sich nicht um die Gesundheit anderer scheren würden. Fast absurd lächerlich ist die Berufung von Peter Postleb aus dem Ruhestand (ehemaliger Leiter Stabsstelle Sauberes Frankfurt) am Magistrat vorbei. Peter Feldmann inszeniert sich als „Saubermann“, um das bürgerliche Frankfurt zufrieden zu stellen, welches sich im ersten Lockdown über den vollgemüllten Opernplatz beklagte.
Das alles ließe sich als Frankfurter Provinzposse abtun. Ein Oberbürgermeister mit Geltungssucht im Vorwahlkampfgetöse (im nächsten Jahr stehen Kommunalwahlen an). Doch das ist sicherlich nur eine Seite der Medaille. Herr Feldmann ist ein gutes Beispiel für die autoritären Phantasien einer bürgerlichen Mitte. Und wie in jeder Krise verschärfen sich auch in der Corona-Krise die Gegensätze. Werden die Verlierer*innen erneut zu Verlierer*innen, werden die Gewinner*innen zu erneuten Gewinner*innen, wird die Krise genutzt, um Freiheitsrechte grundsätzlich abzubauen und um gegen die prekarisierte Klasse vorzugehen.
In Stuttgart wurde ein 18jähriger zu zweieinhalb Jahren (2,5 !) Haft verurteilt, weil er bei den Stuttgarter „Krawallen“ auf der Königsstraße eine Bullenkarre entglast haben soll. Ein unglaubliches, aber nicht unerwartetes Urteil nach der Hetze gegen migrantisierte und prekarisierte Jugendliche. Ein Urteil, bei dem einem nichts anderes übrigbleibt, als von Klassenjustiz zu sprechen.
Nun ließe sich als weltstädtische Frankfurter*in leicht mit dem Finger auf die Spießerstadt Stuttgart und das biedere BaWü zeigen. Das weltoffene Frankfurt gibt sich ja gerne liberal und der Ton ist doch (abgesehen von unserem grade freidrehenden OB) oft ein anderer. Doch auch in Frankfurt griff der Staat nach den „Opernplatzkrawallen“ zu allen Mitteln und veröffentlichte Fahndungsfotos der an den Auseinandersetzungen Beteiligten. Ein wahnsinnig hartes Mittel, angesichts der Tatsache das es keinerlei Verletzte gab. Was die Veröffentlichung solch eines Fotos für den weiteren Lebensweg eines Jugendlichen bedeutet, lässt sich nur erahnen.
Gerade in der Frankfurter Innenstadt wird sehr deutlich, gegen wen die Ordnungsmacht vorgeht, um die staatlichen Maßnahmen durchzusetzen. Das von der Presse gezeichnete Bild des randalierenden migrantischen Jugendlichen in Frankfurt und Stuttgart führte in der Innenstadt zu einer noch stärkeren Anwendung von Racial Profiling. Der erneute Teil-Lockdown führt zu einer leerer werdenden Innenstadt, bei gleichzeitig erhöhter Polizeipräsenz. Die vermehrten Kontrollen und Maßnahmen der Ordnungsbehörden treffen nun noch mehr diejenigen, die schon im Normalfall unter ihnen zu leiden haben. Legitimiert unter der Prämisse des Gesundheitsschutzes.
Die eigene Gesundheit lässt sich gut schützen für die, die ins Home-Office können. Die in intakten sozialen Verhältnissen leben und denen genügend Wohnraum zur Verfügung steht. Die nicht in überfüllten S-Bahnen zur prekären Arbeitsstelle fahren müssen. Für einen 17jährigen Jugendlichen, der sich sein Zimmer mit zwei Geschwistern teilen muss, ist es keine Option, zuhause zu bleiben. Orte, an denen Jugendliche zusammenkommen können, gibt es de facto nicht mehr. So treibt es viele in die relativ leere Innenstadt, wo sie auf einen repressiven Polizeiapparat treffen, dessen Aufgabe darin zu bestehen scheint, den Jugendlichen zu zeigen, was sie dieser Gesellschaft wert sind und wo ihr „Platz“ ist. Nämlich ganz unten. Dass die Wut gegenüber der Polizei steigt, ist verständlich. Groß der mediale Aufschrei, wenn es dann einmal zu Gegenwehr kommt und die Polizei ihre Maßnahmen nicht durchsetzen kann.
Unerträglich das Elend im Bahnhofsviertel. Ohne Tourist*innen, Yuppies und Bänker*innen wird selbiges umso sichtbarer. Wohnungslose, Drogenabhängige und Prostituierte können sich nicht in ihre Wohnungen zurückziehen. Für sie bleibt nur die Straße. In einer Atmosphäre die extrem angespannt ist und mit der ständigen Angst, von den Ordnungsbehörden gegängelt zu werden.
Wenn sich also ein OB Feldmann zum „Gesundheitsschützer“ aufspielt und die Ordnungsbehörden behaupten, die Corona-Maßnahmen vehement durchzusetzen, so ist dies in erster Linie eine Kampfansage an die prekarisierte Klasse. Denn Gesundheitsschutz für alle würde bedeuten, beispielsweise Sammelunterkünfte zu schließen und den Geflüchteten Wohnungen anzubieten; Obdachlose in den leeren Hotels unterzubringen; Prostituierte finanziell zu unterstützen, damit sie nicht gezwungen sind, in der Illegalität zu arbeiten und sich damit zu gefährden. Gesundheitsschutz für alle würde bedeuten, die Wohnraumfrage radikal neu zu stellen und Immobilienbesitzer zu enteignen und Wohnraum zu vergesellschaften. Gesundheitsschutz für alle würde bedeuten, zum Subjekt der eigenen Gesundheit zu werden und nicht zum Objekt staatlicher Notstandsmaßnahmen.
Aktuell sind wir als radikale Linke damit beschäftigt, der rechten Corona-Bewegung die Räume klein zu halten, was zur teils absurden Situationen führt, wenn wir staatliche Auflagen wie Mund-Nase-Schutz gegen den Widerstand staatlicher Akteure wie Bullen einfordern.
Dabei müsste es darum gehen, in dieser Krise den Gesundheitsschutz für alle mit aller radikalen Konsequenz zu fordern, anstatt die Notstandsmaßnahmen zu unterstützen, die sich an den Bedürfnissen und Interessen der herrschenden Klasse ausrichtet. Es geht darum, die kapitalistische und herrschaftliche Logik der Maßnahmen aufzuzeigen und die Frage nach emanzipativen Auswegen aus dieser Krise aufzuwerfen. Darum, sich mit den Schwächsten dieser Gesellschaft solidarisch zu erklären und mit ihnen zu kämpfen. Dafür, dass nicht am Ende die Schwächsten der Gesellschaft den höchsten Preis in dieser Krise zahlen.
Let the rich pay for covid19!
Einige Frankfurter Linksradikale
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