Mega-Logistik versus Klima und gutes Leben für Alle

Was ein Acker in Nordhessen mit hyperflexibler Arbeit und einem südhessischen Immobilienentwickler zu tun hat

Im nordhessischen Neu-Eichenberg spitzt sich der Konflikt um eine 81 Hektar große Ackerfläche zu. Anfang Mai haben AktivistInnen den Acker besetzt und ein Protestcamp errichtet. Auf der Fläche will die Dietz AG eines der größten Logistikgebiete Deutschlands errichten. Noch ist das Gelände im Besitz der landeseigenen „Hessischen Landesgesellschaft mbH“, der Landtag hat der Abgabe allerdings bereits zugestimmt. Nun müsste nur noch das Gemeindeparlament dem Verkauf an die Dietz AG zustimmen, aber der Widerstand vor Ort gegen das Projekt wächst. Im Dezember demonstrierten 900 Menschen bei strömenden Regen gegen das Vorhaben und bildeten eine Menschenkette auf dem Acker, wo einmal die Hallen stehen sollen. Die Gemeindeverwaltung hat 452 schriftliche Einwendungen gegen das Projekt im Rahmen des Beteiligungsverfahrens erhalten, die jetzt noch umfassend begutachtet werden müssen.

Versiegelung wertvoller Fläche

Eine Bebauung der Fläche würde einen der fruchtbarsten Acker der Region versiegeln und zerstören. Lössböden sind gerade in Zeiten des Klimawandels wertvoll, weil sie auch in Dürrezeiten ertragreich sind. Die Bodenstruktur würde selbst nach einem Rückbau der Hallen Jahrzehnte benötigen, bis sie sich erholt hätte. Die Ernährung der Bevölkerung durch heimische Nahrungsmittel wird durch die stetige Versiegelung und Bebauung landwirtschaftlicher Flächen verunmöglicht. Deutschland gehört bereits zu den sechs der zehn größten „Land importierenden Staaten“ – ein Durchschnittseuropäer benötigt pro Jahr bis zu 14.000 qm fruchtbare Erde, um sein Ernährungsniveau aus der Landwirtschaft zu befriedigen. Dagegen stünden bei weltweit gleicher Verteilung auf die Weltbevölkerung bezogen lediglich 2.000 qm zur Verfügung. Dementsprechend müssen europäische Staaten Nahrung und somit Landverbrauch importieren. Derzeit verschwinden in Deutschland ca. 120 Hektar fruchtbare Bodenfläche – pro Tag! Und damit gleichzeitig der Lebensraum für Pflanzen, Insekten, Vögel und mehr.

Warenzirkulation als Treiber kapitalistischer Lebensverhältnisse

Der Immobilienentwickler Dietz AG aus dem südhessischen Bensheim, der die Fläche in Neu-Eichenberg erwerben möchte, plant sechs riesige Blechhallen zu errichten. Diese sollen dann an Online- und Versandhändler vermietet werden. Mit der Beschleunigung und dem Wachstum der Warenzirkulation ist der Bedarf an großen Verteil- und Lagerflächen erheblich gestiegen. „Logistik“ ist ins Zentrum kapitalistischen Wirtschaftens aufgestiegen und durchzieht und prägt kapitalistische Arbeits-, Lebens- und Konsumverhältnisse. Mit dem Aufstieg des Online-Shoppings und veränderten Einkaufs- und Konsumgewohnheiten ist ein enormer Preis- und Geschwindigkeitswettbewerb zwischen verschiedenen Unternehmen (wie Amazon und anderen) entstanden. Im Alltag nehmen wir dies nur auf der sogenannten „letzten Meile“ wahr, wenn die Straße mal wieder voller Transporter ist. Die großen Distributionszentren sind allerdings das Rückgrat der gesamten Lieferkette. Wie immer, wenn es um umstrittene Projekte geht, ziehen die BefürworterInnen den Joker „Arbeitsplätze“ – so auch in Neu-Eichenberg. Neben den erhofften Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuer sollen bis zu 2.000 Arbeitsplätze entstehen. Um welche Art von Arbeitsplätzen es sich handelt, ist für die BefürworterInnen zweitrangig: in der Logistik finden sich hauptsächlich flexibilisierte Niedriglohnarbeitsplätze. Angefangen bei der Vielzahl an befristeten Stellen und sogenannten Leiharbeitsverhältnissen bis hin zu den hyperausgebeuteten Liefer- und LastwagenfahrerInnen.
Konflikte um Logistikstandorte gibt es vielerorts – in Wölfersheim (Wetterau) will der Lebensmittelkonzern REWE einen riesigen Standort auf landwirtschaftlichen Flächen errichten, die Dietz AG plant derzeit Logistikparks unter anderem in Lich und Philippsburg. Viele weitere Projekte hat die Dietz AG bereits umgesetzt, z.B. in Biblis oder Schifferstadt.

Die Logistikbranche boomt – profitieren will die Dietz AG

Mit dem Vorhaben in Neu-Eichenberg will die Firma offensichtlich zu den Großen der Branche aufschließen. Die Dietz AG ist laut Eigenaussage ein Full-Service-Konzern rund ums Bauen und die Immobilienentwicklung mit heute 83 Beteiligungsunternehmen. Das Unternehmen betreibt die Entwicklung von Bauprojekten zur Wertschöpfung, Wertsicherung und Wertsteigerung im Dienste ihrer Aktionäre. Somit ist sie Profiteurin der Entwicklung im Immobilien- und Logistikbereich. Auch wenn die Firma aus Bensheim den wenigsten bekannt sein dürfte – die Gebäude, die sie errichtet und vermietet hat, kennen viele. Zum Gebäudebestand gehören unter anderem der Büroturm „Parktower“ in Frankfurt (Bockenheimer Anlage 44), das Verwaltungsgebäude der Stadt Offenbach in der Berliner Straße 60 oder der Hanauer Technologiepark, in den sich Siemens, Aurubis und Evonik eingemietet haben. Auch an der Baustelle des Berlin-Brandenburger Flughafens besitzt die Firma ein Gebäude, dass sie an die Steigenberger Hotelgruppe vermietet hat. Das Projektvolumen der Dietz AG beträgt seit 2002 2,1 Mrd. Euro, den Wert ihrer Besitztümer beziffert sie auf 1,72 Mrd. Euro. Den älteren LeserInnen dürfte der Aufsichtsratsvorsitzende der Dietz AG noch bekannt sein – es handelt sich um den ehemaligen Landespolitiker der SPD Lothar Klemm aus Hanau.

Boden als Handelsobjekt

Notgedrungen gibt es in den letzten Jahren wieder eine Auseinandersetzung rund um Grundeigentum, Bodenwert und Bodenspekulation. Die drastische Steigerung der Grundstückpreise prägt in fast allen Großstädten das Stadtentwicklungsgeschehen der letzten Jahre. In der wohnungspolitischen Debatte werden die extrem hohen Bodenpreise als Kostentreiber für Bauprojekte angesehen, die in entsprechend hohen Mietpreisen münden. Es sind allerdings nicht die steigenden Grundstückpreise, die die Mieten in die Höhe treiben; umgekehrt: Es sind die gestiegenen Ertragserwartungen aus der Miete, die sich in den Bodenpreisen spiegeln. Eine Folge dieser Entwicklung ist in Städten Wohnungsbau mit teuren Mietwohnungen. Auf dem Land gibt es eine ähnliche Entwicklung: steigende Ertragserwartungen aus landwirtschaftlichen Flächen (durch industrielle Landwirtschaft, Logistikflächen usw.) erhöht die Konkurrenz um eben diese (Stichwort Landgrabbing, ein Akteur ist die Dietz AG) und führt dazu, dass Ackerflächen für kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr erschwinglich sind. Daher muss eine zentrale Forderung sein, Grund und Boden aus dem Warenkatalog kapitalistischer Verwertung zu streichen und in Gemeineigentum zu überführen – um damit der Grundstücksspekulation in Stadt und Land ein Ende zu bereiten. Um landwirtschaftlich und ökologisch wertvolle Böden und Flächen zu erhalten, müssen wir aber auch die Auseinandersetzung um kapitalistische Arbeits-, Lebens- und Konsumverhältnisse weiter vorantreiben. Unter anderem dadurch, dass Äcker besetzt und Investoren verschreckt werden. Der Acker bleibt!

Infos: http://www.ackerbleibt.org

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