Extremismus-Theorien auf dem Unicampus

Leseprobe aus: Kein Tag ohne. Selbstverwaltung, Widerstand und Widersprüche im Haus Mainusch

von Leonida Dada, Peter Snackosaurus, Myra Bitter und Theo D. Zeh (Hg.), Ventil-Verlag, 2018

2016; Wahlkampf der politischen Hochschulgruppen der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Überall auf dem Campus sieht mensch Wahlplakate. Unter ihnen befinden sich auch solche der Gruppe RCDS (Ring Christlich Demokratischer Studenten).
Sie werben für den Erhalt studentischer Kultur – speziell von Studentenverbindungen – für den Bau eines Supermarktes auf dem Unicampus und für den Kampf gegen Extremismus. Letzterer sei besonders auf dem Uni Campus Mainz ein Problem, findet Felix Leidecker, damals Kreisvorsitzender der Jungen Union Mainz.
,,Präsident Krausch muss endlich handeln’’ – so der Titel einer Pressemitteilung der Jungen Union nach der Hochschulgruppenmesse. In dieser ist die Rede von ,,neuerlichen Exzesse[n] der linksautonomen Szene im Zuge der offiziellen Hochschulgruppen-Messe“. Zitiert wird Felix Leidecker, der von ,,verfassungsfeindlich[en], linksextremistisch[en] Vereinigung[en]’’ spricht, die sich längst an der Universität manifestiert und institutionalisiert haben.

Auch ist die Junge Union von personellen Überschneidungen zwischen dem Haus Mainusch, einer angeblichen Hausbesetzerszene und Rädelsführern bei gewalttätigen Demonstrationen informiert und erwähnt im Nebensatz, dass es an der Uni Mainz ,,massive Sachbeschädigungen durch Schmierereien und bewusste Zerstörungen” gebe. Deshalb sei es inakzeptabel, dass das Haus Mainusch als Autonomes Zentrum von der Uni geduldet werde.

Was war geschehen? Am Ende der Hochschulgruppenmesse machten einige Menschen, die am gemeinsamen Infostand der heutigen Linken Liste und des Haus Mainusch saßen, einen Scherz. Sie vermummten sich und machten ein Foto. Es zeigt ein paar maskierte Menschen an einem Infotisch.

Konnten die Vermummten hinter dem Infotisch wirklich die ganze Messe über so dagesessen haben und Erstsemestern wichtige Informationen zu den Hochschulgruppen durch die Hassi vermitteln? Selbstverständlich nicht. Das ist ja auch der Witz an dem Foto.
Die Pressemitteilung der JU kommt ohne konkrete Angaben oder Tatbestände aus. Einzige Basis dieser Zuschreibungen ist das oben erwähnte Foto.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, zum Beispiel: „eure aktion auf der messe war euer todesurteil. ihr seid nun auf der abschussliste.“

Die Ereignisse nach der Hochschulgruppenmesse sind ein Teil der Konstruktion des Haus Mainusch als Schurke, dem schleierhafte Schandtaten nachgewiesen werden können. Als Nachweis reicht allein das Schurken-Dasein des Schurken-Hauses.
Behauptet werden kann dies durch jegliche Gruppierung, die sich selbst in die goldene Mitte der Gesellschaft rücken kann – zum Beispiel eine Gruppierung mit einer parteiförmigen Organisationsstruktur, denn diese ist ja demokratisch getestet. Die Inhalte, welche diese Gruppierung vertritt, rücken daher in den Hintergrund. Wer hat denn eigentlich geprüft ob die Anprangerungen und Beschuldigungen der Jungen Union gegen das Haus Mainusch nicht selbst gegen den demokratischen Ethos des Pluralismus verstoßen? Im Gegensatz zum Schurken-Dasein des Haus Mainusch wird diese Frage nie Gegenstand einer öffentlich geführten Auseinandersetzung werden. Auch das ist dem Extremismus-Konzept geschuldet. Es verschiebt den Fokus öffentlicher Debatten hin zu der Frage, ob es legitim ist oder nicht, den selbst-konstruierten Schurken auszugrenzen; und weg von den politischen Inhalten, die Teil gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sind: welche Formen von Wiederstand können wann angewandt werden? Wann ist es legitim und wann ist es notwendig, sich gegen ungerechte politische Entscheidungen aufzulehnen? Was ist gerecht und wann ist die Durchsetzung mächtiger Interessen illegitim? Diese Fragen zu beantworten ist wohl die Aufgabe einer lebendigen “Demokratie”. Leider werden diese Fragen selten in öffentlichen und kontroversen Diskussionen erörtert.

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