Hambacher Forst: Ein richtig guter Kampf!

Zum Bewegungshoch im Sommer und Herbst 2018

Braunkohle wird im rheinischen Revier schon lange abgebaut. Etliches an Landschaft und Dörfern wurde dafür über Jahrzehnte hinweg weggebaggert. Meistens geschah dies ohne viel oder breit wahrnehmbaren Widerstand der Betroffenen. In den 1990er Jahren gab es etwas Widerstand in Zusammenhang mit der Erweiterung der Tagebaue Garzweiler. (Es gibt Garzweiler 1 und 2 und den Hambacher Tagebau).

Bis vor ein paar Jahren schien es in der Tat so, als würde RWE mit Rückendeckung der jeweiligen NRW-Landesregierung die Braunkohle in der Region bis zum Letzten ausbeuten und sie in den angeschlossenen Kohlekraftwerken verstromen können. Bis sich offensichtlich ein paar Handvoll Aktivist*innen dazu entschlossen, den Forst mit Baumhäusern zu besetzen und ihn so vor der Rodung für die Erweiterung des Hambacher Tagebaus zu schützen. Das war 2012, die unglaubliche Ausdauer und Zähigkeit der Menschen, die gegen die Rodung kämpften, hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir 6 Jahre später, im Sommer und Herbst eine Massenbewegung am Start hatten.
Die Besetzung des zum Teil 10.000 Jahre alten Waldes war über Jahre Anziehungspunkt für unterschiedlichste Menschen weltweit, die gegen den Klimawandel, gegen Umweltzerstörung, das Patriarchat, den Kapitalismus, kurz – alles was die Erde allzu oft zu einem traurigen und öden Ort macht, kämpfen. Durch ihre Hartnäckigkeit, ihre Konsequenz und ihren Mut gelang es den Besetzter*innen offensichtlich, Teile der örtlichen Bevölkerung zu überzeugen und sich im Kampf gegen RWE mit ihnen zu verbinden. Über Jahre gab es Waldspaziergänge, an denen sich eine bunte Mischung von Menschen beteiligte.

Alles, was eine durchschlagende Bewegung braucht

Auf der anderen Seite wurde die Waldbesetzung durch eine Fülle von militanten Aktionen und Sabotageakten begleitet. Unzählige Male wurde die Oberleitung der Hambachbahn, die die abgebaute Braunkohle zur Verstromung in die Kraftwerke transportiert, kurzgeschlossen. Mannigfach wurden die RWE-Secus attackiert, immer wieder wurden die Pumpstationen, mit denen RWE das Grundwasser aus dem Boden pumpt, damit der Tagebau nicht absäuft, unbrauchbar gemacht.
Im Jahr 2016 kam es mit dem Fällen eines Strommastes zu einer der grandiosesten Aktionen der letzten Jahre bundesweit. Da sie in den bürgerlichen Medien nicht auf ein angemessenes Echo gestoßen ist, ist ihre durchschlagende Wirkung vielleicht sogar in interessierten Kreisen noch nicht überall bekannt. Offensichtlich wurde nahe des Hambacher Tagebaus ein entscheidender Kabelstrang abgefackelt, die gesamte Grube stand still! Leider schaffte es RWE kurz bevor sie die Kraftwerke hätten abschalten müssen, ihren Laden wieder ins Laufen zu bringen. Zu den teils spektakulären Sabotageaktionen kommen noch diverse Ankettaktionen von Aktivist*innen hinzu, die das reibungslose Rollen der Kohlebahn erheblich störten. Ähnliches geschieht immer mal wieder bei den gigantischen Kohlebaggern.

Auch das Aktionsformat „Ende Gelände“ schlug bereits vor 2018 im rheinischen Braunkohle Revier auf. Nämlich mit spektakulären Grubenbesetzungen mit ca. 2000 Leuten. In weißen Overalls wurden u.a. die gigantischen Kohlebagger im Tagebau Garzweiler besetzt. Allein das Betreten der Abbaugrube sorgt dafür, dass der Betrieb stillsteht. Also, die Bewegungsdynamik im Rheinland hatte schon vor 2018 alle Zutaten, die eine durchschlagende Bewegung braucht: Unterschiedlichste Akteur*innen, die mit sehr unterschiedlichen Mitteln an einem Ziel arbeiten und sich verhältnismäßig wenig in die Quere kommen. Betont werden muss noch einmal, dass die Waldbesetzung sicherlich das Zentrum der Bewegung darstellte, ohne die der Bewegung der Kristallisationspunkt gefehlt hätte. Diese Besetzung war von Anfang an bunt-scheckig anarcho geprägt. Das zeigt auch, dass es zum Erreichen von Massenwirksamkeit nicht unbedingt zielführend ist, gemäßigt aufzutreten, um vermeintlich weniger radikale Menschen nicht abzuschrecken. Wichtig erscheint viel mehr das authentische, hartnäckige und konsequente Vorgehen.

Dass es im September und Oktober 2018 zu einer Art „Showdown“ im Hambacher Forst kam, liegt zum Einen daran, dass in den letzten Jahren trotz Waldbesetzung immer größere Teile das Waldes durch RWE zerstört wurden und nun tatsächlich kaum noch etwas vom Wald übrig ist. Es ging also auch um ein letztes Aufbäumen. Zum anderen spitzt sich die Auseinandersetzung um den Klimawandel weltweit zu. Die immer offensichtlicheren Folgen der weltweiten Erwärmung stoßen auf ein rücksichtsloses „weiter so!“ aller führenden kapitalistischen Länder. In den USA gehört seit Trump die Leugnung des Klimawandels zum Regierungsprogramm. In Europa herrscht zwar eine andere Rhetorik vor, der aber keine ernsthaften Taten folgen. In Deutschland werden die sehr bescheidenen Klimaziele von Paris nicht eingehalten. All das traf auf ein extrem heißes und trockenes Jahr 2018 und plötzlich wurde überall und ständig über das Klima gesprochen. Die der Systemkritik unverdächtigen Wissenschaftler*innen des Fraunhofer Instituts veröffentlichten eine Studie, in der sie zu dem Schluss kamen, dass Deutschland seine Klimaziele schaffen könnte, wenn es sofort alle Braunkohlekraftwerke abschalten würde. Dies sei laut der Wissenschaftler*innen auch ohne den RWE behaupteten Energiekollaps möglich. All das führte dazu, dass zumindest kurzweilig große Teile der Bevölkerung alarmiert waren.

Schwarz-Gelb hilft freundlich mit

Die NRW-Landesregierung aus CDU und FDP setzte den pro-Tagebau/pro-RWE Kurs ihrer rot/grünen Vorgängerregierung natürlich nahtlos fort, nur dass sie – getrieben von ihren law-and-order Versprechen – das geschickte Vorgehen ihrer Vorgänger*innen nicht hinbekommen hat. Innenminister Reul zeigt sich nicht in der Lage, Kompromisse zu machen. Dieser Kurs blieb alles andere als folgenlos. Es kam zu einer breiten Solidarisierung. Weltweit wird der Hambacher Forst Thema und auch in der Region steigt die Solidarität mit den Besetzer*innen. Diese halten durch, doch der Preis ist hoch. Die Bullen betreiben Tag und Nacht Psychoterror, um die Leute zu zermürben. In diesem Kontext muss auch der tödliche Unfall von Steffen Meyn gesehen werden. Der solidarische Journalist stürzte aus 15 Metern ab und starb. Sechs Jahre lang war der Wald besetzt, sechs Jahre lang gab es keine schweren Unfälle. Als Ende September die Räumung der Baumhäuser beginnt, explodiert die Bewegung noch einmal. Auf die Waldspaziergänge, an denen bis dahin maximal ein paar hundert Menschen teilnahmen, kommen jetzt Tausende und es ist klar, dass die angekündigte Großdemo gigantisch werden wird.

Räumungsbeginn

Die Räumung war für die Bullen jeden Tag ein zähes Ringen, bei der sie tausende Beamt*innen einsetzten. Diese hatten nicht viel zu lachen und es wurde mit jedem Tag klarer, dass die Landesregierung mit ihrem law-and-order Kurs auf voller Linie scheitern würde. Zwar konnten die Bullen die sich im völligen Belagerungszustand befindende Besetzung Stück für Stück räumen, aber die Sympathien waren klar auf der Seite der Besetzter*innen. Immer deutlicher wurde auch die Ablehnung der Braunkohle in der Bevölkerung. Um die 75% sind mittlerweile für den Ausstieg aus der Braunkohle. Und die Bewegung weitete sich aus. Parallel zu den Baumhausräumungen fanden bundesweit Anschläge gegen RWE und Tochterunternehmen statt. Außerdem wurden Firmen, die eng mit RWE zusammenarbeiten, attackiert. Hervorzuheben ist hier die Firma Boels, die diverses schwere Gerät verleiht. Nachdem sie Opfer mehrerer Anschläge wurde, u.a. brannte Boels eine riesige Lagerhalle ab, zog Boels sich aus dem Geschäft mit RWE zurück. Eine andere Verleihfirma, Gerke, hatte dies bereits nach dem Tod von Steffen Meyn getan.

Die letzte Rettung: das Gericht

Kurz vor der Großdemo am Hambacher Forst am 6.Oktober war die Landesregierung in einer verzwickten Lage. Ohne einen massiven Gesichtsverlust und politische Zugeständnisse wäre kein Eindämmen der Bewegung mehr möglich gewesen. Sehr wahrscheinlich wäre es am 6.10. zum massenhaften Strömen in Wald und Grube gekommen. Es ist denkbar, dass die Waldbesetzung sich erneuert hätte. Doch das Münsteraner Verwaltungsgericht verhinderte dies, indem es die Entscheidung über eine Rechtmäßigkeit der Rodung von RWE vertagte und es bis zu einer Entscheidung untersagte, den Rest des Hambacher Forsts zu roden. So wurde der 6.10. eine Party mit 50.000 Leuten, die sich klar gegen Braunkohle positionierten. Die Dynamik verlor die Bewegung jedoch in diesem Moment, auch wenn sie längst noch nicht völlig abgeflaut ist. Aber bei einer negativen Gerichtsentscheidung wäre es sicherlich sehr spannend gewesen, was alles möglich geworden wäre. Die Bullen hätten sich nur zurückziehen können oder viele viele Menschen schwer verletzten müssen, wenn es wirklich zu einem tausendfachen Sturm auf Wald und Grube gekommen wäre. So heulte RWE zwar ein bisschen rum, Innenminister Reul zog aber erleichtert seine Truppen ab. Der BUND feierte die Gerichtsentscheidung als großen Sieg, was genau betrachtet aber nicht richtig ist. Das Gericht schob die Entscheidung lediglich auf. Allerdings ist es klar, dass es ohne die Bewegung der Wochen davor wahrscheinlich nicht zu so einer Entscheidung des Gerichts gekommen wäre.

Wie es weiter ging

Ende Oktober kam es noch einmal zu einem Höhepunkt der Bewegung um den Hambacher Forst. Unter dem Motto „Change system, not climate“ besetzten Tausende mit der Aktion „Ende Gelände“ die Hambach Bahn. Unterdessen kommt es in den verlassenen Ortschaften, die RWE in den nächsten Jahren wegbaggern will, zu Besetzungen von leerstehenden Häusern.
Aber auch die Gegenseite läuft sich inzwischen warm. 20-30.000 RWE und IG BCE Gewerkschaftler*innen demonstrierten für die Braunkohle und es gab einen Schweigemarsch von 500 Leuten, der sich gegen die Besetzungen richtete. Dennoch bleibt das die klar unterlegene Position in der Auseinandersetzung.

Fazit

Mit welchem Tempo sich die Bewegung um den Hambacher Forst radikalisiert hat, ist sehr beeindruckend. Ein Beispiel ist die massenhafte Beteiligung am Barrikadenbau bei den wöchentlichen Waldspaziergängen von Menschen, die so etwas mutmaßlich noch nie gemacht haben. Die Bewegungsdynamik wurde aber durch die Entscheidung des Gerichts wieder zurück gestutzt. Mittlerweile werden auch militanz-kritische Stimmen lauter, die in der Hochphase der Bewegung kaum zu hören waren. Dennoch haben wir im Herbst eine breite und vielfältige Bewegung erlebt, wie wir sie in Deutschland vergleichbar nur um Gorleben und den Castortransporten kennen. Dass die Bewegung nicht aufhört, zeigen die Besetzungsaktionen in den zum Abriss freigegebenen Orten und die erfolgreiche Massenaktion von „Ende Gelände“.
In der jetzigen Situation hat niemand, inklusive der Landesregierung, mehr einen Zweifel daran, dass im rheinischen Revier früher mit der Braunkohle Schluss ist. Das ist ganz klar ein Erfolg der Bewegung. Diese Stimmung ist sicherlich nicht in Stein gehauen, sondern es wird von den Kräfteverhältnissen der nächsten Jahre abhängen, wie schnell sich ein Ausstieg aus der Braunkohle real vollzieht. RWE geht sicherlich als Looserin aus der Auseinandersetzung. Der RWE-Aktienkurs sackte extrem ab. Allein das ist ein hundertfacher Millionenschaden. Dazu kommen die Verluste, dass der Wald nicht abgeholzt werden kann.

Zum Schluss

Aus Kämpfen dieser Art lässt sich viel mitnehmen: Die Erfahrung, dass uns gemäßigtes Auftreten häufig nicht weiterbringt, sondern es vielmehr um Authentizität und Konsequenz geht, Erfahrungen mit Militanz, auch wenn es bislang nicht zu Massenmilitanz im Sinne von hundert oder gar tausenden Beteiligten gekommen ist. Nicht zuletzt hinterlassen die Wochen im Rheinland das gute Gefühl, die Landesregierung und einen sehr mächtigen und sehr fiesen Großkonzern richtig ins Schwitzen gebracht zu haben! Zu fragen ist, warum (die wahrnehmbare) bundesweite Beteiligung militanter, autonomer Strukturen relativ gering ausfiel und ob sich das ändern ließe.

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