Was passiert wenn Neonazis Raum bekommen? Sie nutzen ihn!
Bei der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt versuchten extrem Rechte den ihnen gebotenen Raum zu dominieren. Der Fotograf „Protestfotografie FFM“ twitterte während des Samstags: „Ich werde hier beleidigt, bedroht und bedrängt. Vom Bedrohungslevel fühlt sich die Book_Fair [Buchmesse] an wie ein rechter Aufmarsch“. Der Einschätzung lässt sich durchaus folgen.
Deutlich wurde auch, wie gering in der Rechten derzeit interne Grabenkämpfe eine Rolle spielen und wie wenig das Abgrenzungsbedürfnis von AfD und Co gegenüber der militanten Rechten ist.
Bereits während der Fachbesucher*innentage wurden die Stände der Amadeu Antonio Stiftung und der Bildungsstätte Anne Frank von Personen oder Sympathisanten des nahe gelegen Standes vom Antaios-Verlag eingeschüchtert und bedroht. Bei Veranstaltungen versuchten eben diese, auch den Raum für sich zu beanspruchen oder zu stören.
Der Samstagnachmittag war der Höhepunkt von Auseinandersetzungen mit Nazis auf der Frankfurter Buchmesse. Nachdem neben weiteren rechten Verlagen dieses Jahr auch der Antaios-Verlag auf der Buchmesse stand, gab es die gesamte Woche über vielfältige Proteste. Neben dankenswerter Weise abgeräumten Ständen bei Manuscriptum und Antaios und kleineren Demos von Mitarbeiter*innen des Börsenvereins hatten schon zuvor Verlage, Schriftsteller*innen und Wissenschaftler*innen in einem offenen Brief die Buchmesse aufgefordert, Rassist*innen keine Bühne auf der Buchmesse zu bieten.
War die Zahl der Zuhörer*innen am Gespräch über das Buch „Finis Germania“ des Antaios-Verlages in der Halle 4.2. „Forum und „Wissenschaft“ am Freitag noch übersichtlich, glich der Verlagsstand am Samstag einem who-is-who der extrem Rechten Gruppen und Parteien. So plauderte bereits am Nachmittag Björn Höcke (AfD) mit Kubitschek (bekanntester Intellektueller der Neuen Rechten), während die Identitären von Kontrakultur Halle sich als Security aufspielten bzw. vermutlich mit dieser Aufgabe betraut waren. Zunächst etwas abseits stand eine Gruppe um Maximilian Reich (JN BaWü, Antikapitalistisches Kollektiv) und Patrick Schröder (FSN-TV), bis letzterer freundschaftlich von Martin Sellner (IB Österreich) begrüßt wurde. Patrick Schröder ist Betreiber des extrem rechten Medienportals FSN-TV, fungierte als Anmelder diverser Neonaziaufmärsche sowie Mitorganisator von Rechtsrockevents in Themar. Er erlangte in den Medien einen gewissen Bekanntheitsgrad als „Nazi-Hipster“. Für Außenstehende wirkte es wie ein großes „Familientreffen“: Da grüßten sich Identitäre, Mitglieder der Jungen Alternative und militante Neonazis. Von der Jungen Alternative Frankfurt war zum Beispiel der Hooligan (Brigade Nassau) Phillip Hegglin (Facebook: Ratibor Nguyen) anwesend. Es wurde offensichtlich, was Antifaschist*innen schon lange klar ist: man kennt sich und in der Euphorie der aktuellen Stimmung rückt die Rechte zusammen, schließlich gibt es nicht nur einen gemeinsamen Nenner.
Der Protest gegen die Veranstaltung mit den Neurechten Martin Semlitsch aka Lichtmesz sowie Caroline Sommerfeld-Lethen konnte von den Rechten unterbunden und werden, Demo-Plakate wurden zerrissen und mit Sprechchören gewannen die Rechten bald die Oberhand zurück. AntiFas wurden von vorn von der Polizei abgeschirmt, von hinten wurden sie von einer Gruppe um den Schatzmeister der Jungen Alternative (JA) Hessen Manuel Wurm und Justin Salka (JA RLP) angegangen. Die Besucher*innen vor der Bühne skandierten dazu „Jeder hasst die Antifa“.
Erst die letzte Veranstaltung, eine Buchvorstellung mit den Identitären Martin Sellner und Mario Müller, konnte aufgrund der massiven Gegenproteste nicht mehr stattfinden. Als die beiden auf die Bühne stiegen, hallte es durch den Raum „Halt die Fresse“. Versuche, dies zu übertönen, blieben zunächst erfolglos. Vereinzelt kam es vor der Bühne zu Handgreiflichkeiten, in dessen Verlauf mehrere Antifaschist*innen von der Polizei festgesetzt wurden.
IBler Martin Sellner und Mario Müller zählten beide zur Besatzung des IB-Schiffs C-Star. Müller war darüber hinaus früher aktives Mitglied bei der NPD-Jugendorganisation JN und sympathisiert offen mit der ukrainischer Neonazi-Miliz „Asow“.
Nach dem Tumult versucht der Direktor der Buchmesse die Veranstaltung für beendet zu erklären. Hier wurde nochmal deutlich, wer an diesem Abend das Heft in der Hand hatte: Kubitschek ließ den Direktor der Buchmesse nicht zu Wort kommen und drückte einfach das Megaphon zur Seite.
Im Anschluss an die nicht stattgefundene Lesung von Sellner ließen es sich Patrick Schröder und der NS-Rapper Michal Zeise aka Mic Revolt nicht nehmen, sich demonstrativ an den verlassenen Stand der Amadeu-Antonio Stiftung zu setzen und feixend Erinnerungsfotos zu schießen.
Mit dem Fokus auf den Stand des Antaios-Verlages blieben andere Stände der extremen Rechten wie zum Beispiel der Stand der „Jungen Freiheit“ beinahe unberührt. Allgemein wird die Bedeutung der Buchmesse für die Rechte durch Frankfurter Antifaschist*innen völlig unterschätzt. Eine Situation, in der extreme Rechte aller Couleur einen ganz Saal dominieren und Antifaschist*innen sich bedroht fühlen, hat es in Frankfurt lange nicht gegeben. Götz Kubitschek feierte die Buchmesse in einem Interview als einen wahnsinnigen Erfolg für die intellektuelle Rechte und den ersten Schritt „Normalität herzustellen“ und einen rechten intellektuellen Diskurs in der Gesellschaft zu verankern.
Perspektiven
In dem zurzeit stattfindenden Rechtsruck ist es nur folgerichtig, dass eine weitere Landnahme durch die Rechte stattfindet, eben auch auf der Frankfurter Buchmesse. Die Bedeutung solcher Orte ist immens, die Bundestagsmandate der AfD werden in den nächsten Jahren nie geahnte Möglichkeiten für eine intellektuelle Rechte erzeugen. Von gut bezahlten Jobs über Wissenschaftsförderung und Unterstützung genehmer Bildungsträger.
Und die gesellschaftliche Resonanz ist schockierend. So wird in der öffentlichen Wahrnehmung aus dem Schaffen eines rechten hegemonialen Raums (wenn auch nur für ein paar Stunden) ein „Tumult zwischen Linken und Rechten“. Eine Pressesprecherin der Frankfurter Buchmesse lässt sich in einem Interview gar dazu hinreißen zu behaupten, die Antifa hätte provoziert. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit bekommen Kubitschek und Co öffentlichen Raum zum Agieren.
Dabei geht diese Einschätzung vollständig am eigentlichen Problem vorbei. Nazis, mit ihren Auftritten auf der Messe nun als Verfechter von Dialogbereitschaft geadelt, geht es nicht um Gesprächsbereitschaft, sondern allein um rechte Propaganda. Mit Höcke, Sellner, Kubitschek und Kositza debattieren wir aber nicht, sie sind kein politisches Gegenüber. Die „Neue Rechte“, für die sie stehen, ist nichts anderes als eine sich noch den rechtlichen Bedingungen beugende neue Version der Nazi-Ideologie.
Die Verunglimpfung antifaschistischer Positionen als Reduktion auf „Antifa“ ist gleich Krawall und schwarzer Block kommt längst nicht mehr nur von rechts. Zuletzt hat der DGB Bayern zunächst einen Antifa-Kongress aus ihren Räumen ausgeladen. Erst als die Veranstalter*innen darauf verwiesen, ausschließlich friedlich gegen Faschismus zu kämpfen, wurde die Raumzusage wieder erteilt.
Der nächste Event prominenter Rechter in Frankfurt kommt bestimmt und dann heißt es für Antifaschist*innen, wachsam zu sein, sich zu organisieren und klare Kante zu zeigen. Ob die Deppen nun einen Parteiausweis der AfD, der NPD haben oder mit dem bescheuerten gelben Lambda durch die Gegend laufen – unser Widerstand sollte vehement sein. Denn dass wir gegen rechts allein auf friedlichem Wege keinen Blumentopf gewinnen werden, sollte klar sein.