Während des G20 kam es zu massiven Polizeiübergriffen auf Demonstrierende. Das wissen wir alle. Gewalt, Willkür und Rechtsbrüchen durch die Staatsgewalt sind wir dabei in der Situation oft ohnmächtig ausgeliefert. Wir können den Wunsch nachvollziehen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Dennoch wollen wir alle Demonstrierenden des G20 – und auch alle anderen in anderen Situationen – eindringlich davor warnen, diese jetzt, einfach so, bei der Polizei anzuzeigen. Das mag komisch klingen, hat aber gute Gründe:
Basierend auf jahrelangen Erfahrungen von Antirepressionsgruppen und Anwält*innen empfehlen wir, grundsätzlich erst mal keine Anzeigen gegen gewalttätige Polizeikräfte zu stellen. Dies aus dem einfachen Grund: Fast immer reagieren die Polizisten mit einer Gegenanzeige, meist wegen Widerstand oder anderer hanebüchener Vorwürfe, die andere Polizist*innen leicht „bezeugen“ können. Das bedeutet, in dem Moment, in dem ihr einen Polizisten anzeigt, wird dieser sofort auch euch anzeigen, um sich selbst vor eurer Anzeige „zu schützen“. Das ist die Logik des Polizeihandelns im sogenannten „Rechtsstaat Deutschland“. Wenn ein Polizist Gewalt anwenden „musste“, kann diese Gewaltanwendung ja vorher nur durch einen vorangegangenen Rechtsbruch von euch verursacht worden sein. Das klingt irre, aber damit kommt die Polizei vor deutschen Gerichten ständig durch. De Realität zeigt leider, dass Anzeigen und Klagen gegen Polizeikräfte so gut wie nie erfolgreich sind. Meist werden sie schon in den Vorermittlungen eingestellt. Die Ermittlungen gegen Polizeikräfte werden nämlich von ihren Kolleg*innen geführt. Die Gegenanzeige gegen euch wird allerdings gerne weiterverfolgt.
Wir empfehlen euch: solltet ihr Betroffene krasser Polizeigewalt sein, wendet euch an die Rechtshilfestrukturen vor Ort. Wir werden gemeinsam mit Anwält*innen die verschiedenen Möglichkeiten und ihre Chancen ausloten. Wenn wir gemeinsam überlegen, was wir tun können (und was nicht), sind wir stärker und euer Handeln ist kollektiv getragen. Gemeinsam können wir solidarische und erfolgreiche Formen des Umgangs finden, die tatsächlich Wege aus der Ohnmacht sind.
Wir möchten hierbei auch darauf hinweisen, dass dies in ähnlicher Form auch für Presseinterviews gilt. Das Bedürfnis, in der Öffentlichkeit gegen die Hetze und Lügen von Polizei, Justiz und Politik Position zu beziehen, ist ebenfalls nachvollziehbar. Indem ihr euch aber mit kritischen Positionen oder überhaupt in die Öffentlichkeit stellt, lauft ihr Gefahr, selbst ins Visier polizeilicher Ermittlungen zu geraten. Unüberlegte Äußerungen zu bestimmten Ereignissen sind schnell der Beleg, dass ihr zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort wart. „Alles, was Sie sagen, kann und wird gegen Sie verwendet werden.“ Um an O-Töne aus der „Szene“ zu kommen, geben sich Journalist*innen dabei oft betont verständnisvoll, in der Hoffnung, dadurch besonders reisserische Aussagen von Euch zu bekommen. Lasst Euch da nicht einlullen. Es gilt auch hier: überlegt Euch vorher, was ihr sagen wollt, besprecht das in euren politischen Strukturen und im Zweifel auch mit Rechtshilfestrukturen vor Ort.
Und die Moral von der Geschicht‘: Nicht verzagen, nicht verklagen – Ohnmacht gemeinsam auf die Straße tragen!