20 Schlaglichter auf die Ereignisse in Hamburg

Im Folgenden findet ihr einige subjektive Eindrücke und Einschätzungen von den Ereignissen rund um den G20-Gipfel in Hamburg. Das ganze ist eine fragmentarische Zusammenstellung aus Gesprächen und Diskussionen und hat keinen Anspruch auf eine umfassende Analyse. Wir stellen die Dinge so dar, wie wir sie erlebt und wahrgenommen haben.

1. Hamburg hat Laune gemacht
Alle, die da waren, hatten was zu erzählen. Die Meisten brachten eine prächtige Laune mit. Das Erlebte vor Ort, die Solidarität, die Unterstützung durch unterschiedlichste Menschen, die Selbstermächtigung – all das wird in unseren Herzen und Köpfen bleiben.

2. Hamburg war anders als erwartet
Eine Situation aus der Ferne beurteilen oder sie vor Ort zu erleben, sind zwei verschiedene Dinge – so war‘s auch in Hamburg. Wie immer vor Großmobilisierungen gab es zwar Grenzkontrollen und Meldeauflagen, einzelne Razzien in Hamburg oder Rostock. Die Medienberichte im Vorfeld des G20-Gipfels ließen uns eine Stadt im Ausnahmezustand erwarten – mit Vorkontrollen an Bahnhöfen, Autobahnabfahrten und in den Straßen der Stadt. Doch davon konnte kaum die Rede sein. Die Horrorszenarien einer allgegenwärtigen Staatsmacht waren – abgesehen von den erwartbaren Kontrollen beim Sonderzug und an den Camps – nicht eingetreten.

3. Ganz Hamburg hatte kein Bock auf G20
Wir könnten dutzende Sprüche aufzählen, die in etwa lauteten wie „G20 Bier holen“ oder „G20 Menschen retten“ – beliebt war auch „Nein, wir haben kein Verständnis“ oder ganz einfach „No G20“ – ganze Straßenzüge, Balkone oder Schaufenster waren mit Plakaten, Transparenten und Postern gegen G20 geschmückt und prägten so die Stimmung in der Stadt. Dass Bürgermeister Scholz und Konsorten beschwichtigende Reden vor dem Gipfel geschwungen haben, hing auch mit der Stimmung innerhalb der Hamburger Bevölkerung zusammen – in Umfragen sollen sich bis zu 75 % der befragten HamburgerInnen gegen den Gipfel ausgesprochen haben. Diese Stimmung war in vielen Teilen Hamburgs zu sehen und zu spüren. Das ganze wurde noch zusätzlich angeheizt durch den permanenten Hubschrauberlärm, der schon Wochen vor dem Gipfel den EinwohnerInnen den Schlaf und die Nerven raubte.

4. Der Staat vs. Hamburg
Die Wut auf den Gipfel wurde am Donnerstag noch potenziert, als der Verkehr am Anreisetag der GipfelteilnehmerInnen in großen Teilen der Stadt vollständig zum Erliegen gebracht wurde (nicht von uns). Im Fernsehen konnte man wütende ArbeiterInnen und BewohnerInnen der Stadt sehen, die mit ihren Autos nicht mehr vom Fleck kamen – ein weiterer, nicht zu unterschätzender Imageschaden für Scholz und Co.

5. Pennen is‘ nich
Die Priorität der Repressionsorgane lag eindeutig auf dem Stören und Zerschlagen von Strukturen. Vor allem hatten es die Bullen und Andy Grote, Innenminister der Stadt, auf die Verhinderung der Camps abgesehen. Die Rechnung lautete: keine Camps, keine GipfelgegnerInnen. Dass die Rechnung nicht aufging, ist den engagierten Campstrukturen, Kirchengemeinden und einer Vielzahl an solidarischen HamburgerInnen zu verdanken, die ihre Türen und Grundstücke für Schlafsuchende öffneten.

6. Scholz beruhigt und wiegelt auf
Hamburgs Bürgermeister Scholz hatte im Vorfeld versucht, besorgte BürgerInnen zu beschwichtigen – er verglich den Gipfel mit dem jährlich stattfindenden Hafengeburtstag und behauptete, dass es Leute geben werde, die sich am 9. Juli wundern würden, dass der Gipfel schon vorbei ist. Andy Grote kündigte ein „Festival der Demokratie“ an und hetzte gleichzeitig gegen den G20-Protest („8.000 anreisende GewalttäterInnen“). Die vollkommen schizophrenen Aussagen der Hamburger Politiker fielen diesen später noch auf die Füße. Natürlich sollte die Stimmungsmache andererseits aber auch alle Maßnehmen gegen die Strukturen der G20-Proteste legitimieren. Wir behaupten: dies ist ihnen nicht gelungen, weil die Ablehnung des Gipfels zu breit in Hamburgs Bevölkerung verankert war.

7. Hamburg war schön
Schon Dienstagabend zeigte sich, dass sich die Leute nichts gefallen lassen wollten. Zwar schafften es die Bullen, das Rumcornern am neuen Pferdemarkt aufzulösen, aber damit steigerten sie die Empörung über die repressive Haltung der Stadt nur noch. Dass am Mittwochabend geschätzte 25.000 Menschen auf die Straße gingen, um G20 wegzubassen, ist auch mit dieser Empörung zu erklären. Außerdem war Hamburg schön, weil: in weiten Teilen der Schanze und der angrenzenden Stadtteile waren unzählige Parkplätze frei und fast alle Schaufenster mit Brettern vernagelt. Das gleiche Bild auch in der Innenstadt. Dem Konsumterror wurde für ein paar Tage ein Riegel vorgeschoben und für FußgängerInnen und FahrradfahrerInnen eröffneten sich völlig neue Räume.

8. Dudde vs. Welcome to Hell
Hamburgs Polizeichef und Gesamteinsatzleiter Dudde war von vorneherein auf die stumpfe Zerschlagung der Welcome to Hell-Demo am Donnerstagabend aus. Sämtliche Anzeichen konnten nur so verstanden werden. Ob der Auftaktort für die Demo strategisch klug gewählt war, darf bestritten werden. Bei der Zerschlagung der Demonstration riskierten die Bullen bewusst Schwerverletzte wenn nicht sogar Tote. Die geschätzten 12.000 TeilnehmerInnen waren im Verhältnis zur Hetze und zur Androhung von Gewalt, die im Vorfeld stattgefunden hatte, überraschend viel. Auch hier zeigte sich: die Leute ließen sich keine Angst machen.

9. Hamburg im Ausnahmezustand
Bereits in der Nacht zu Freitag kam es ausgehend von der Zerschlagung der Welcome to Hell-Demo zu Ausschreitungen und Angriffen auf die Bullen in ganz St. Pauli und dem Schanzenviertel. Schon zu diesem Zeitpunkt begann den Bullen die Situation aus der Kontrolle zu entgleiten. Die Welcome to Hell-Demo fand sich schließlich doch noch zusammen und zog spontan und unkontrolliert durch St. Pauli. Der Freitagmorgen zeigte dann: viele dezentrale Aktionen führen zur Überforderung der Polizeitaktik. Die Bilder der brennenden Elbchaussee und der folgenden Attacken gegen Bullen, Banken und Geschäften rund um den Altonaer Bahnhof haben wir alle gesehen. Die Bilder des Morgens empfanden wohl nicht nur wir als ein freudiges Startsignal für den Tag.

10. Einsatz der Bundeswehr
Noch während des Freitagvormittags verbreiteten Hamburger Medien Bilder von Truppenpanzern der Bundeswehr, die durch Hamburgs Straßen fuhren. Mitten auf St. Pauli fuhr ein Bundeswehr-Krankentransporter durch die Straßen und musste von G20-GegnerInnen weggeschickt werden. Ob die Bilder gewollt waren oder nicht, die Unterstützung durch die Bundeswehr ging weiter als bei den letzten Gipfeln und leistete einer Normalisierung von Einsätzen der Armee im Inneren weiteren Vorschub.

11. Aktionsfeld Hafen
SkeptikerInnen waren bereits im Vorfeld der Meinung, dass Aktionen im Hafen aufgrund der riesigen Fläche und des gut überschaubaren Verkehrsnetzes schwer umzusetzen sind. Die Aktion „Shut down the logistics of capital“ schaffte es am Freitag aber laut Medienberichten schon alleine auf Grund der Ankündigung der Aktion, Verzögerungen in der Transportkette zu verursachen. Die Demonstration alleine wird wohl kaum die Ursache gewesen sein, auch wenn sie und der begleitende Bulleneinsatz lange Staus auf dem umliegenden Autobahnen verursacht hatten. Praktisch vielleicht wenig erfolgreich, inhaltlich dafür aber umso mehr auf der Höhe der Zeit.

12. Block G20 Aktionen rund um die Alster
Weniger medial präsent als die morgentliche Randale waren die Blockadeversuche rund um die Alster. Die verschiedenen Finger von Block G20 schafften es, mehrere Anfahrtsrouten der Staatschefs und ihrer Delegationen von den Hotels zur Messehalle zeitweilig zu blockieren. Dadurch wurden z.B. Teile der mexikanischen und chinesischen Delegation aufgehalten. Auch in der Innenstadt rund um die Alster und in der Nähe des Rathauses blockierten Menschen Straßen durch Sitzblockaden. Die Demonstrationsfreie „blaue Zone“ war somit Makulatur. Die Bullen waren im gesamten Innenstadtbereich extrem nervös und angespannt, was auch Otto-Normabürger/in zu spüren bekam.

13. Gesamtgemengelage Chaos
Diese Gesamtgemengelage führte dazu, dass die Reserve der Bundespolizei und weitere Polizeieinheiten aus den Bundesländern angefordert werden mussten. Die Situation war den Bullen – bereits am frühen Freitagmorgen – weitestgehend entglitten. Dabei wären den ganzen Tag über und auch abends weitere zielgerichtete Aktionen möglich gewesen.

14. Zweite Welle zur „Elphi“
Nachdem die Staatschefs die Messe erreicht hatten, beruhigte sich die Situation in der Stadt etwas. Volksfestartige Stimmung konnte rund um den Millerntorplatz erleben, wer sich am Freitagnachmittag mit tausenden anderen auf den Weg in Richtung Elbphilharmonie machte. Zur Erinnerung: in der Elbphilharmonie sollte abends ein Konzert für die Gipfelgäste gegeben werden. Ein Finger lief auf direktem Weg in Richtung Elbphilharmonie, wurde aber an den Landungsbrücken von Wasserwerfern aufgehalten. Ein anderer Finger bewegte sich durch den Park am Bismarck-Denkmal in das dortige Viertel, wiederum ein anderer erstmal durch die Gegend rund um die Reeperbahn. Einige schaffte es in Sichtweite der Elbphilharmonie und konnten die Ankunft der Staatschefs Parolen rufend begleiten, während es an den Landungsbrücken und davon ausgehend im gesamten Stadtteil St. Pauli zu Angriffen auf die Bullen und Geschäfte kam. Von dort verlagerte sich das Geschehen im Laufe des Abends dann ins Schanzenviertel. Die Bullen wurden dabei immer wieder in die Defensive gedrängt und konnten sich teilweise nur noch mit Selbstschutz beschäftigen.

15. Abends in der Schanze
Zur Situation Freitagabend im Schanzenviertel ist eigentlich alles gesagt worden. Im Fernsehen liefen im Livestream Bilder aus dem Viertel, vor allem von der Situation an der Einmündung zum Neuen Pferdemarkt und dem berühmt-berüchtigten Baugerüst. Schlagzeilen wie „Chaoten verwüsten das Schanzenviertel“ bestimmten das Bild. Die Diktion suggeriert, dass das Viertel wahllos zerstört worden wäre – dem war natürlich nicht so. Das Viertel wurde über Stunden frei von Bullen gehalten, die mehrfach zurückgetrieben werden konnten. Die Abwesenheit der Staatsmacht wurde währenddessen dazu genutzt, mehrere Geschäfte (alles Ketten) teilweise vollständig zu plündern und zu zerstören. In einem Viertel, das eine massive Verdrängung und Gentrifizierung erlebt hat, in einer Stadt, die die meisten Millionäre Deutschlands ertragen muss und andererseits Ausgrenzung am laufenden Band praktiziert – was sollte daran falsch sein? Zu diskutieren ist die Frage, wie wir mit Aktionen umgehen, die Menschenleben gefährden (z.B. das gelegte Feuer im Rewe, über dem Menschen wohnen) und wie wir diese in zukünftigen Aktionen ausschließen können. In diesem Zusammenhang sollte auch über die Wahl der Ziele diskutiert werden – es ist schließlich nicht o.k., Kleinwagen abzufackeln.

16. Außer Kontrolle
Das trifft die Ereignisse am Freitagabend nicht ganz, aber klar zu stellen ist: die Bullen hatten zu Recht Angst, dass sich die Angriffe und Sachbeschädigungen auf weitere Teile der Stadt ausweiten würden, sollten sie versuchen, das Schanzenviertel am frühen Abend zu stürmen. Erst nach Beendigung des Einsatzes rund um die Elbphilharmonie hatten sie genügend Kräfte zusammen, um der Lage in der Schanze am frühen Samstagmorgen Herr zu werden.

17. Letztes Mittel oder Show of Force – der SEK-Einsatz am Schulterblatt
Der Einsatz des SEK am Schulterblatt gegen die Menschen auf dem Baugerüst ist bisher noch viel zu wenig skandalisiert worden. Wann war das letzte Mal, dass Spezialkräfte mit Sturmgewehren gegen Protestierende vorgehen? Dass beim Einsatz auch Gummigeschosse verwendet wurden, die angeblich nur auf die Dachrinnen des Hause geschossen wurden, scheint da nur noch eine Randnotiz zu sein.

18. Stunde der Putzwütigen
Der Kontrollverlust der Bullen bedeutete die Beschädigung der symbolischen Ordnung der Herrschenden. Der Staat war nicht mehr Herr der Lage. Um diese Ordnung auch wieder bildlich herzustellen, fuhren die Boulevardblätter umgehend Hetzkampagnen gegen Beteiligte oder vermeintlich Beteiligte, gegen Zentren wie die Rote Flora ebenso wie gegen die AnmelderInnen der Welcome to Hell-Demonstration. Das Ausmaß der Hetze sollte uns nicht überraschen. Gerade die Ablehnung des Gipfels durch weite Teile der Hamburger Bevölkerung, die Beteiligung unterschiedlichster Menschen aus dem Viertel und aus allen Teilen der Stadt an den Krawallen machte es notwendig, jegliche Sympathie oder Verständnis für die Aktionen im Keim zu ersticken.

19. Still loving Rote Flora
Versteht sich ja von selbst. Falls die Flora geräumt werden soll, sind wir wieder dabei. Und selbstverständlich vergessen wir nicht die Gefangen der Gipfeltage.

20. Hamburg brennt für unsere Herzen
Die Ereignisse in Hamburg haben uns inspiriert. Jetzt kommt‘s darauf an, die Erfahrungen und den Optimismus mit in unsere Kämpfe hier zu nehmen.

Crawall@ Columna & Friends


Nazis bei G20 in Hamburg? Nazis im BlackBloc?

Nachdem die ersten Tage des Hetzens der Medien vorbei war fragten sich so manche JournalistInnen wer den da eigentlich Freitagabend in der Schanze unterwegs war. Da kam die Behauptung eines freien Journalisten aus Baden-Württemberg, er hätte am Freitagabend im BlackBloc insgesamt siebzig Nazis aus verschiedenen Bundesländern identifiziert, gerade recht.
Mehrere Medien griffen die Behauptungen auf und verbreiteten sie relativ ungefiltert. Bis heute gibt es für die Behauptung des freien Journalisten absolut keinen Beleg, mit hoher Wahrscheinlichkeit ist seine Geschichte erfunden um Aufmerksamkeit zu generieren.
Über die Tage des G20 waren verschiede linke JournalistInnen unterwegs die sich bestens in der deutschen Naziszene auskennen, von ihnen wurden die Behauptungen des freien Journalisten nicht bestätigt, die von ihnen geforderten Belege blieben aus.
Im Vorfeld des G20 wurde von diversen Neonazi Gruppierungen gegen selbigen mobilisiert. Unter anderem durch das „Antikapitalistische Kollektiv“ um Max Reich. Der Aktivismus der Nationalen AntikapitalistInnen beschränkte sich dann jedoch drauf während des Gipfels in Südhessen und in Rostock Transparenteaufzuhängen und im Vorfeld des G20 in Hamburg ein paar Aufkleber zu kleben. In der Gesamtheit des G20 Protestes also völlig irrelevant. Bei ihrer Aktion in Südhessen ließen sich die Idioten übrigens auch noch von der Polizei catchen…

Welcome To Hell Demo und rechte MedienaktvistInnen

Donnerstagabend mischten sich getarnt als Journalisten mehrere Rechte mehrere unter die Demonstration. Während der Welcome to hell Demonstration wurde die Gruppe rechter MedienaktivistInnen (Luke Rudkowsky, Lauren Southern, Max Bachmann, Tim Pool siehe Foto) geoutet und in der Folge aus der Demo befördert. Als erste Person aufgefallen war die US-Amerikanerin Lauren Southern durch das Tragen eines Identitäre Bewegung-Shirts. Lauren Southern war zusammen mit Martin Sellners Bruder Thomas, dem ebenfalls österreichischen „Identitären“ Patrick Lenart und Lorenzo Fiato (IB-Italien) an Bord des Bootes, das in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai in Catania die „Aquarius“ der Nichtregierungsorganisation SOS Mediterrannée an der Ausfahrt hinderte.

Ihr Freund Luke Rudkowsky fiel unter anderem schon 2014/2015 im Umfeld der Berliner Querfront um Lars Mährholz und Ken Jebsen bei der „Mahnwache für den Frieden“ auf. Auf seinem Blog interviewt er u.a. Robert Timm unter der Überschrift “I Abandoned Antifa For The Identitarian Movement”.

Angriff in der Hafenstraße

Aus dem Hogesa-Spektrum gab es in der Nacht von Freitag auf Samstag Mobilisierungsversuche. Unter dem Motto „Unsere Heimat wieder unter Kontrolle bringen“ wollten die Nazis von Hannover aus am Samstag nach Hamburg fahren. Jedoch setzte die Polizei am Samstag in Hannover die 25 alkoholisierten Neonazis am dortigen Bahnhof fest.
Am Samstagabend zogen dennoch einige Neonazis durch St.Pauli und konnten einen kurzen Angriff in der Hafenstraße starten. Danach wurden sie von AntifaschistInnen in die Flucht geschlagen.