Wer kämpft, kann gewinnen

Der lange Streik bei Zumtobel in Usingen

Unter diesem Titel ist von Michael Erhardt und Martin Weiss (beide IG Metall Frankfurt) in der Zeitschrift ‚Sozialismus‘ eine Auswertung des Streiks bei der Firma Zumtobel in Usingen erschienen. Nachdem wir in der Swing Nr. 199 vom Streik berichtet hatten, erschien es uns sinnvoll, vom Ausgang zu berichten. Da uns keine Berichte von Beschäftigten bei Zumtobel vorliegen, dokumentieren wir hier in Auszügen den Artikel aus der ‚Sozialismus‘. Die Auswertung spiegelt natürlich die offizielle Sicht der IG Metall wider. Wir halten eine Beschäftigung damit für wichtig, weil in Usingen eine der härtesten Streikauseinandersetzungen der letzten Jahre im Rhein-Main-Gebiet stattgefunden hat und viele mutmachende Erfahrungen gemacht wurden. Ob es sich beim Streik um einen „Erfolg“ handelt, wie in der Überschrift hervorgehoben, überlassen wir eurer Bewertung:

Ausgangslage

In Usingen bei Frankfurt a.M. wurden bei der Firma Zumtobel mit rund 160 Beschäftigten Leuchten für Krankenhäuser, Büros und Kaufhäuser (…) hergestellt. (…) Seit 2014 verdichteten sich die Anzeichen für eine Gefährdung des Standortes und der Beschäftigung. Das Unternehmen setzte angesichts erheblicher Strukturveränderungen in der Lichtbranche durch Technologiewechsel und zunehmende Konkurrenz aus Asien auf größere Werke und begann europaweit die kleinen Werke zu schließen. Der Organisationsgrad (der IG Metall) stieg auf über 90 %. (…). Anfang 2016 wurde der Standort zum Verkauf gestellt. Trotz sehr seriöser Interessenten führte der Vorstand des in Österreich ansässigen Unternehmens Ende April einen Schließungsbeschluss zum 31. August 2016 bei. (…) In den folgenden vier Monaten wurde ein Fortführungs- und ein Übernahmekonzept mit einem Investor aus der Lichtbranche verhandelt, das alle Arbeitsplätze und die Tarifbindung am Standort erhalten hätte. (…) Völlig überraschend entschied der Zumtobel-Vorstand Ende August, dass der Standort trotz unterschriftsreifer Verträge geschlossen werden sollte. Die Auseinandersetzung im einen Sozialtarifvertrag dauerte dann bis Ende Oktober.

Ziele

Ziel des Unternehmens in den sich anschließenden Verhandlungen war, die Schließung möglichst geräuschlos, schnell und billig über die Bühne zu bringen. Die IG Metall hatte schon früh angekündigt, im Schließungsfall einen teuren Sozialtarifvertrag zu fordern. (…) Die Kolleg*innen wollten maximale Abfindungen und eine gut ausgestattete Transfergesellschaft. Aufgrund der Schwierigkeit von vielen, wieder eine gute Arbeit in der Region zu finden, ging es auch um eine möglichst späte Schließung. Jenseits der materiellen Ziele war es für die Kolleg*innen von großer Bedeutung, mit einem aufrechten Gang aus dem Unternehmen zu gehen. Das drückt sich auch im Ergebnis der Urabstimmung zum Streik mit einer Zustimmung von 99,2 % aus.

Erfolgsfaktoren

Wirtschaftlicher Druck: Aufgrund der langen Vorgeschichte konnte sich das Unternehmen auf den Streik einstellen. Zudem ist Zumtobel kein Zulieferer mit Fernwirkung in den Lieferketten, sondern ein Endgerätehersteller, sodass der wirtschaftliche Druck begrenzt blieb. Trotzdem gab es deutliche Indizien, dass die wirtschaftliche Wirkung größer war als ursprünglich angenommen. Dies war beispielsweise (…) bei den Versuchen des Managements (zu spüren), die Produktion bei einer kurzzeitigen Unterbrechung des Streiks wieder in Gang zu bringen. Die Halb- und Fertigprodukte wurden mit Unterstützung eines starken Polizeieinsatzes trotz einer Blockade abtransportiert, als die Streikenden am Unternehmenssitz in Österreich demonstrierten. (…)

Öffentlichkeitsarbeit: Die heiße Phase der Auseinandersetzung dauerte fast zwei Monate. In dieser Zeit gab es eine Vielzahl von kleineren und größeren Aktionen. Bewährt haben sich mehrere ganztägige Betriebsversammlungen zur Vorbereitung des Streiks. Nach vier Streikwochen fand ein viertägige Betriebsversammlung statt. Der Versuch des Unternehmens, dies gerichtlich zu untersagen, scheiterte. Für die Information der Öffentlichkeit waren zunächst Demonstrationen in der Stadt Usingen und die Information der Bürgerinnen und Bürger in der Region wesentlich. Sehr gelungen war der Flashmob an der Deutschen Börse in Frankfurt, auch weil Zumtobel ein börsennotiertes Unternehmen ist. (…)

Solidarität: Für Auseinandersetzungen, die so lange dauern, ist die Solidarität für die Streikenden und deren Moral das Schlüsselelement. (…) Die Besuche von anderen Belegschaften, anderen Gewerkschaften und ortsansässigen Vereinen, die auf einer Wand der Solidarität dokumentiert wurden, stärkten den Streikenden den Rücken. Mit Besuchen bei Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen, bei der Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und anlässlich der Großdemonstration gegen TTIP und Co. erfuhren die Streikenden massive Solidarität und Zustimmung. (…)

Kultur: In der Auseinandersetzung war spürbar, welch tragende Rolle Kultur für die Kampfmoral der Streikenden hat. Dies begann mit der Optik mit Transparenten, die kleine Kunstwerke waren, setzte sich fort mit Musik und einem bewegenden Familienfest (…). Von zentraler Bedeutung war das selbstorganisierte Streik-Café (…).

Ergebnis und Bewertung

Am Ende der Auseinandersetzung stehen Abfindungen und eine zwölfmonatige Transfergesellschaft für alle Beschäftigten sowie ein durchschnittliches Qualifizierungsbudget in Höhe von 5.000 Euro pro Beschäftigtem. (…) Das materielle Ergebnis ist damit deutlich teurer als vom Unternehmen zunächst kalkuliert. (…) Neben dem materiellen Erfolg war das Gefühl der Streikenden maßgeblich, gemeinsam alles getan zu haben, was möglich war. Das Ergebnis wurde in der zweiten Urabstimmung mit 96,4 % angenommen.
Auch wenn sich das Unternehmen lange auf einen möglichen Streik einstellen konnte und keine Fernwirkungen zu erwarten waren, ist spürbarer wirtschaftlicher Druck entstanden. Der hohe gewerkschaftliche Organisierungsgrad war eine wichtige Bedingung für den Zusammenhalt der Belegschaft. (…)

Solidarität und Kultur tragen Streiks schon immer. Gerade in langen Auseinandersetzungen besteht die Chance, unglaubliche Fantasie und Eigeninitiative der Streikenden zu entwickeln. Die Leute nehmen ihr Schicksal in die Hand. Dieses Bewusstsein und die Erfahrung, dass Widerstand lohnend ist und Spaß macht, hat zur Folge, dass die Streikenden die Welt mit anderen Augen sehen. Diese Erfahrung kann ihnen niemand mehr nehmen. Für alle Streikenden war es eine neue Erfahrung, mit der ganzen Härte des real existierenden Kapitalismus konfrontiert zu werden. Sie haben den Kampf gemeinsam aufgenommen und erfolgreich durchgestanden. Unsere Kraft heißt Solidarität.
(Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Sozialismus 1/2017)