Frankreich: Widerstand gegen das atomare Endlager in Bure!

Bure liegt etwa 300 Kilometer vom Rhein-Main-Gebiet und knapp 100 Kilometer von der deutsch-französischen Grenze entfernt und gehört zum Département Meuse. Die strukturschwache Gegend um das Dorf mit seinen 85 Einwohner*innen ist sehr dünn besiedelt. Im Wald von Mandres-en-Bois bei Bure will die ANDRA, die Nationale Agentur zur Entsorgung von radioaktiven Atommüll, das französische Endlager für hoch radioaktiven Müll namens CIGÉO errichten. Jahrelang wurde das Endlagerprojekt als „Forschungsbergwerk“ getarnt und die Bevölkerung mit dem Versprechen beruhigt, es ginge nur um Forschung und diese bedeute keine Festlegung auf den Standort. Nachdem ein erstes Gesetzesvorhaben zur rechtlichen Absicherung des Projektes vor dem französischen Verfassungsgericht scheiterte, hat der französische Senat am 17. Mai 2016 den ersten Bauabschnitt per Gesetz beschieden. 40 Kilometer Stollen sollen nun zu Forschungszwecken gegraben und kurz darauf der erste Atommüll eingelagert werden. Künftig sollen 130 Jahre lang zwei Atomtransporte in der Woche Bure erreichen.

Widerstand gegen das Endlagerprojekt

Die Gegend um Bure hat keine große politische Widerstandstradition und es ist der ANDRA gelungen, durch schwindelerregende Subventionen und Landkauf einige Anwohner*innen auf ihre Seite zu ziehen. Trotzdem gibt es seit vielen Jahren Protest gegen das Projekt. Atomkraftgegner*innen haben vor über 10 Jahren ein Widerstandshaus in Bure ins Leben gerufen, um einen Ort der Gegeninformation und des Austausches zu schaffen. Spätestens nach der im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für das Großprojekt vorgeschriebenen öffentlichen Debatte von 2013, die aufgrund von Protesten ausschließlich im Internet stattfand, und nach dem Tausch des Waldes von Mandres-en-Barrois vor einem Jahr sind auch Einwohner*innen in der Gegend erwacht und bereit, gegen das Projekt zu kämpfen. Der Bürgermeister von Mandres-en-Barrois hatte im Juli 2015 in einer Sondersitzung des Gemeinderats den Tausch des Kommunalwaldes mit der ANDRA beschlossen (die Abstimmung fand um 6 Uhr morgens unter dem Schutz von Securitys statt), obwohl eine Befragung der Bevölkerung zwei Jahre zuvor ergeben hatte, dass die Menschen ihren Wald nicht der ANDRA überlassen wollen. Diese Ereignisse haben schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht und sind möglicherweise die Erklärung dafür, dass der Widerstand gegen das atomare Endlager nun ausgerechnet mit einer Auseinandersetzung um den Wald von Mandres-en-Barrois an Bedeutung gewinnt – weit über Bure hinaus. Seit der Entscheidung des Gemeinderats im Sommer 2015 versuchen die Einwohner*innen den Wald mit öffentlichen Debatten, Einsprüchen und Klagen vor dem Verwaltungsgericht zurück zu erobern.

Waldbesetzungen gegen den atomaren Kahlschlag

Auch die überregionale Mobilisierung nimmt an Fahrt auf, 2015 fand ein antikapitalistisches Aktions- und Diskussionscamp mit rund 800 Teilnehme*innen in Bure statt. In diesem Jahr hat sich die Situation vor dem Hintergrund der Genehmigung des ersten Bauabschnitts zugespitzt. Der plötzliche Baubeginn am 6. Juni im Wald überraschte die Aktivist*innen und Einwohner*innen, nachdem noch einen Tag zuvor tausende Menschen gegen das Endlager demonstriert hatten. Ein Waldspaziergang am 19. Juni mündete in eine erste Besetzung des Waldes, der für das Atommülllager gerodet werden soll. 250 Menschen trafen sich im Wald, die errichteten Zäune wurden heruntergerissen, die Plattform der ANDRA zur Koordinierung der Waldarbeiten zerstört und eine Widerstandshütte errichtet. Ein Teil der Leute blieb im Wald und schlug dort die Zelte auf.
Anfang Juli verdichteten sich die Hinweise auf eine Räumung des Waldes. Zwar gab es noch gerichtliche Auseinandersetzungen um eine durch die ANDRA beantragte Räumungsverfügung, aber der polizeiliche Angriff auf die Waldbesetzung erfolgte am frühen Morgen des 7. Juli. Das Camp wurde nach dreiwöchiger Besetzung durch eine große Bullenarmada unter Hilfe privater Security geräumt. Die Bullen gingen brutal unter dem Einsatz von Lärmgranaten und Flashballs vor und hinterließen mehrere verletzte Personen.

Die Aktivist*innen gaben sich jedoch nicht geschlagen. Eine Besetzung fand zum ersten Mal in 20 Jahren Widerstand statt. Einzelaktivist*innen, Anwohner*innen und Vereine waren trotz unterschiedlicher Widerstands- und Politikkultur mit im Boot – für viele Einwohner*innen der eher konservativ geprägten Region war der Schritt zur Besetzung und zum zivilen Ungehorsam eine Herausforderung. Doch der Widerstand ist dadurch gewachsen. Zahlreiche Vereine erklärten sich mit den Besetzer*innen solidarisch und protestierten öffentlich gegen die Räumung.

Die Menschen ließen sich weder von der Polizeigewalt bei der Räumung noch von der zunehmenden Militarisierung der Gegend einschüchtern und riefen zur erneuten Besetzung des Waldes für den 16. Juli 2016 auf. Etwa 500 Menschen folgten dem Aufruf und zogen mit einem Demonstrationszug zum Wald. Am Waldrand flogen nach zwei kurzen Warnungen der Gardes Mobiles (Militärpolizei) die ersten Tränengas- und Schockgranaten und die ersten Steine. Die Auseinandersetzungen dauerten ein bis zwei Stunden an, bis die ersten Aktivist*innen es tatsächlich in den Wald schafften und die Polizei sich schließlich zurückzog. An den Waldeingängen wurden Barrikaden gebaut, um das Eindringen von Polizeifahrzeugen zu erschweren. Die einen bauten eine Hütte in einer Lichtung, während die anderen die Barrikaden gegen immer wiederkehrende Angriffe der Polizei und der Security verteidigten. Der Wald wurde zurückerobert. Doch blieb diese Rückeroberung symbolischer Natur. Der Wald war zu groß und die Anzahl an Aktivist*innen auf Dauer zu klein, um die Bauarbeiten vollständig zum Erliegen zu bringen. Die ANDRA setzte den Bau ihrer zwei Meter hohen Schutzmauer unter Polizeischutz fort.

Erweiterung der Widerstands­formen

Als Ergänzung der Aktionen im Wald führten die Atomkraftgegner*innen Aktionen vor dem Sitz der an CIGÉO beteiligten Unternehmen durch. Am frühen Morgen des 18. Juli wurde die Zufahrt zu einer Firma bei Joinville blockiert. Das Unternehmen Cattaneo SAS wurde mit Graffiti und einem großen Haufen Scheiße in Bar-le-Duc heimgesucht. Ein LKW, der Material für die Mauer geladen hatte, wurde im Dorf von Bure blockiert und „redekoriert“, bis die Militärpolizei intervenierte. Es wurde außerdem berichtet, die ANDRA würde sich über diverse Sabotageaktionen wie Brandstiftung an Baufahrzeugen aufregen.

Gericht verhängt vorläufigen Baustopp

Anfang August dann die Nachricht, dass das Gericht von Bar-le-Duc die ANDRA verurteilt hat, binnen sechs Monaten ein Rodungsgenehmigung für den Wald einzuholen oder den Wald wieder in den ursprünglichen Zustand zurück zu versetzen. Die Bauarbeiten der ANDRA waren illegal, da keine Genehmigung der zuständigen Präfektur vorlag. Der Baustopp gibt dem Widerstand nun Zeit, sich besser aufzustellen. An einem Widerstandswochenende mit einer großen Demonstration nahmen im August rund 450 Menschen aus Frankreich und dem Ausland teil. Sie folgten dem Aufruf, die ANDRA bei der Wiederinstandsetzung des Waldes zu unterstützen. Die Schutzmauer wurde am 14. August „redekoriert“ und schließlich zum großen Teil niedergerissen.

Derzeit finden regelmäßig Treffen, Kulturveranstaltungen und Aktionen in Bure statt oder es werden Kundgebungen bei Gerichtsprozessen gegen Aktivist*innen abgehalten. Die Polizei versucht weiterhin, den Widerstand einzuschüchtern und führt mit Verweis auf den in Frankreich seit November 2015 geltenden Ausnahmezustand Identitätskontrollen durch. Die Besetzer*innen und Einwohner*innen freuen sich sehr über Unterstützung, sei es durch Besuche vor Ort, dezentrale Aktionen oder Soli-Erklärungen. Die Besetzer*innen erklärten im Sommer: „Von den entrechteten Menschen bei den Uranminen von Arlit (Niger), über die Widerstandsblockaden in Notre-Dame-des-Landes bis zu den Abgründen des Val de Susa in Italien und dem Antiatomcamp in Pyhajöki in Finnland: bilden wir eine Kette des Widerstands gegen die, die über unser Leben herrschen wollen!

Wir lassen uns nicht atomisieren – ANDRA hau ab!

Aktuelle Informationen über geplante Aktionen und zur Situation rund um die Waldbesetzung bekommt ihr unter http://vmc.camp
Als erster Anlaufpunkt zur Orientierung und für weitere Informationen dient das Widerstandshaus in Bure: eine Wegbeschreibung und aktuelle Informationen findet ihr unter: burezonelibre.noblogs.org oder burezoneblog.over-blog.com