Das No Border Camp Thessaloniki und die Tage danach
„Hurriya, Azadî, Freedom now!“ war auf den Demos und Aktionen des Nobordercamps in Thessaloniki der lautstarke Slogan der Stunde. Über Tausend Menschen trafen sich zeitweise auf dem Uni-Campus der nordgriechischen Stadt, darunter auch einige Menschen aus der Rhein-Main Region.
Vernetzung und Selbstorganisierung
Von der gesamten Balkanroute waren Aktivist*innen angereist, um sich über Erfahrungen und ein gemeinsames weiteres Vorgehen auszutauschen. Und manch neue Idee entstand auf den vielen Workshops rund um das Thema Vernetzung und Selbstorganisierung auf der Balkanroute. Wer sich bislang noch nicht kannte, begegnete sich spätestens hier. Locals waren auf dem Camp jedoch rar gesät: Außer von der anwesenden Camp-Orga-Gruppe waren auffallend wenig Griech*innen zu sehen, eine Folge der steten Auseinandersetzungen innerhalb der griechischen Szene, die außerdem – zumindest in Thessaloniki – stark am Schrumpfen ist. Auf dem Camp hörte man neben Englisch und Arabisch auch recht viel Deutsch, dies änderte sich schlagartig mit der Ankunft von rund 300 Gästen aus Spanien – einer Reisegruppe von Podemos-Anhänger*innen über Anarchist*innen bis zu Baskischen Aktivist*innen –, die zusammen als Karawane u.a. einige Tage auf dem Camp Station machten. Gleich vom ersten Abend an waren auch Geflüchtete aus den Lagern von den Stadträndern Salonikis auf dem Camp präsent, viele von ihnen blieben bis zum Campende. Festivalstimmung, Demos und der Austausch über die jeweilige persönliche Situation am „open mike“ boten eine kurze Flucht aus dem trostlosen Lageralltag. Manche Migrants besuchten zudem Workshops und fuhren mit zu den geschlossenen Knästen in Paranesti und Xanthi.
Fasizme Karsı Omuz Omuza
Die Nachricht vom versuchten Putsch in der Türkei überschattete gleich den ersten Abend des Camps. Der am nächsten Morgen geplante Beitrag zum EU-Türkei-Deal von den türkischen Genoss*innen wurde kurzfristig abgesagt, erst einmal musste die neue Situation verstanden werden. Eine erste Einschätzung der Ereignisse gaben sie aber wenige Tage später. Auf zwei gut besuchten Treffen wurden die aktuell zunehmend erschwerte Lage für die Linke in der Türkei und die Möglichkeiten der Gegenwehr diskutiert. „Zu den Waffen“ oder „die Türkei verlassen“ waren die entmutigenden ersten Einschätzungen. Auf dem zweiten Treffen wurden auch Möglichkeiten der Unterstützung von außen überlegt, die von der Intervention gegen türkische Nationalist*innen etwa in Deutschland bis zum direkten Support bei ggf. nötigem Exil von Aktivist*innen aus der Türkei reichten. Eine kraftvolle Demo zum von der Polizei abgeriegelten Türkischen Konsulat in Thessaloniki zum Ende des Camps bedeutete zudem wenigstens ein kleines aktionistisches Zeichen zum Thema.
Aktionen …
Parallel zu den Workshops auf dem Camp fanden einige Aktionen statt: Beyond Europe legte unter dem Motto „Return to Sender“ Rettungswesten vor dem Deutschen Konsulat ab, die anschließende Demo sollte noch die Französische Botschaft mitnehmen, um gegen Ausnahmezustand und Repression zu protestieren, wurde aber von der Polizei am Weitergehen gehindert. Unter dem Motto „Shut down IOM – For the Benefit of All“ wurde das Büro der International Organization of Migration verwüstet, eine Agentur, die unter dem Titel „For the benefit of all“ humanitäre Hilfe proklamiert, aber tatsächlich unter dem Label „freiwillige Rückführungen“ Abschiebungen durchführt. Auch wurden mehrere Stadtbusse von oben bis unten mit Graffiti verschönert. Die Besetzung eines leerstehenden Wohnhauses als weitere Unterkunft für Geflüchtete in Saloniki war eine weitere gelungene Aktion, und die einzige, die auf Dauer angelegt schien.
Eine Tagestour ging vom Camp zum Militärlager in Paranesti, in denen vor allem diejenigen festgehalten werden, die wenig Aussicht auf einen Asylstatus haben, Menschen aus Afghanistan, Pakistan oder Marokko. Dort stand man als hilflose Masse vor dem Eingang zum abgeschirmten Militärgelände, nur eine kleine Delegation hatte die Möglichkeit, einige Insassen überhaupt zu sehen und den Außenstehenden nachträglich über die krassen Zustände im Lager zu berichten, die natürlich mehr oder weniger für alle staatlichen Knäste zutreffen. Ein etwas besseres Gefühl hinterließ der anschließende Stopp am Lager in Xanthi: Neben einem kurzen Angriff auf die Polizeikette vor dem Eingang gab es dort wenigstens der Sichtkontakt mit einigen Geflüchteten an den Fenstern…
Power gab die riesige Migrant’s-Demo am Donnerstag: Besonders an der Demospitze war die Stimmung blendend und die Rufe nach „Open the Borders“ und „Hurriya, Azadî!“ hallten lauthals durch die Straßen der Stadt. Die Tagestour zur türkischen Grenze am Fluss Evros am letzten Tag bestand zum größten Teil aus einer 14-stündigen Busfahrt. Der 40 Sekunden dauernde Angriff auf die Bullen, die die Busse wie erwartet bereits weit vorher abfingen, konnte wohl nur wenige Teilnehmende wirklich zufriedenstellen, so zählte vor allem die hohe symbolische Bedeutung von Ziel und Aktion. Eine spontane Aktion am Flughafen von Thessaloniki protestierte zeitgleich gegen Abschiebungen und brachte das Reisegeschäft im Terminal kurzzeitig zum Erliegen.
Das Camp
Camp-Intern gab es diverse Probleme und Vorkommnisse, die nur ungenügend gelöst, ja nicht einmal ausführlich gemeinsam diskutiert worden sind. Sexuelle und transphobe Übergriffe führten zur Abreise mehrerer Personen. Zwar wurden Flyer verteilt, eine Demo weckte Aufmerksamkeit und ein „safe space“ im Unigebäude wurde besetzt, die Vorkommnisse wurden aber nicht kollektiv verhandelt, genauso wie ein anderes Thema. Als Antwort auf Diebstähle auf dem Gelände, trat die Forderung nach „mehr Sicherheit“ durch den Campschutz auf. Einmal wurde sogar eine Leibesvisitation beobachtet. Polizeimethoden statt Solidarität. Die heimliche Zuweisung der Diebstähle an Refugees und Dealer bildete einen weiteren Tiefpunkt auf dem Camp. Eine geplante militante Aktion, die bei Durchführung das gesamte Camp in Mitleidenschaft hätte ziehen können, da man das Camp als Fluchtort ausersehen hatte, endete schließlich endgültig in Zerwürfnissen und Zweifeln an der Solidarität einiger Beteiligter, die auf dem Camp präsent waren.
Nach dem Camp: Kriminalisierung und Kontrolle
Das Ende des Camps bedeutete für die anwesenden Migrants die Rückkehr in die Lager am Stadtrand. Inwieweit die griechischen Genoss*innen in der Lage sind, die entstandenen Kontakte aufrecht zu erhalten, ist eine der offenen Fragen zur gewünschten Nachhaltigkeit des Camps. Aktuell sind in Thessaloniki aber andere Themen präsenter: Nur wenige Tage nach Campende wurden zeitgleich drei besetzte Häuser geräumt: Das während des Camps frisch besetzte „Hurriya“, das Refugee-Squat „Orfanotrofeio“, aus dem zahlreiche Bewohner*innen auch am Camp beteiligt waren und das Squat „Nikis“, ein seit 2009 besetztes Gebäude in Uni-Besitz. In den Squats befindliche Aktivist*innen, etwa 70 Personen, wurden in Gewahrsam genommen. Ihnen wird die „Störung der öffentlichen Ordnung“ und im Fall des „Hurriya“ Sachbeschädigung in Höhe von 70.000 Euro vorgeworfen. Das „Orfanotrofeio“ wurde noch am selben Tag vollständig abgerissen, einige der dort lebenden Menschen kamen bei solidarischen Unterstützer*innen unter, andere wurden in die umliegenden Lager gebracht. Die ersten in den Squats aufgegriffenen Personen erhielten bereits Strafen über mehrere Monate auf Bewährung.
Die Räumung der drei Häuser und der No Border Kitchen auf Lesbos am gleichen Tag ist ein gezielter Angriff auf selbstorganisierte Strukturen in Griechenland. Der für die Räumungen verantwortliche, Syriza-Minister für Bürgerschutz, Nikos Toskas machte unmissverständlich klar, dass selbstorganisierte solidarische Strukturen nicht geduldet werden und es um die Erlangung der vollständigen Kontrolle über Migrant*innen in Griechenland geht. Er schämte sich sogar nicht, zu behaupten, dass für diese das Leben in den elenden staatlichen Lagern besser sei – wo sich doch alle dort lebenden Menschen nichts sehnlicher wünschen als ein selbstbestimmtes Leben: „Hurriya, Azadî, Freedom now!“