Redebeitrag 22.12.2018: „Gemeint sind wir alle!“
„Die sind gezielt auf mich, den einzigen Schwarzen in der Gruppe, losgegangen und ich hab schon gemerkt: Die wollen mir weh tun. Und ich habe Worte wie ‚Kanake‘, ‚Penner‘ und sowas gehört.“
Das Zitat stammt von Aram, einem 17-Jährigen Mannheimer, der beschreibt, wie er im Sommer diesen Jahres von fünf Polizist_innen brutal zusammengeschlagen wurde. Offener Rassismus bei der Polizei ist weder in Deutschland noch in Frankfurt ein Einzelfall. Das zeigen Arams Erfahrungen wie die vieler anderer. Rassismus und extrem rechte Einstellungen sind fester Bestandteil eines strukturellen Rassismus der deutschen Polizei und Gesellschaft.
Daher überrascht uns der aktuelle Skandal um die Aufdeckung rechter Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei trauriger Weise nicht. Mindestens neun Polizeibeamt_innen in Hessen tauschten extrem rechte und rassistische Inhalte in Chats aus. Sie äußersten ihre menschenfeindlichen Positionen aber auch ganz unverhohlen in der Kneipe oder grölten rassistische Sprüche auf einer Kirmes. Für rassifizierte und marginalisierte Menschen in Deutschland bedeutet die Polizei also keineswegs Schutz, sondern systematische Gewalt und Verachtung ihrer Lebenswelten.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis der strukturelle Rassismus und die bedrohlichen Verflechtungen der Polizei mit der extremen Rechten wieder in den Blick der Öffentlichkeit treten würden. Im Kleinen artikuliert sich dieser in alltäglichen, rassistischen Bemerkungen und systematische Polizeikontrollen von Menschen of Color in Deutschland. Im Großen werden die strukturellen Zusammenhänge anhand zahlreicher gesellschaftlicher Skandale deutlich: Sei es der NSU-Komplex, das als „Hannibals Schattenarmee“ bezeichnete rechtsterroristische Netzwerk in der Bundeswehr oder die zahlreichen, nicht aufgearbeiteten Morden durch Polizist_innen – all dies verweist auf den institutionell tief verankerten Rassismus und die Verharmlosung rechter Gewalt in den Sicherheits- und Justizbehörden.
Wenn das Leben rassifizierter Menschen angegriffen wird, wenn Migrant_innen und Menschen mit Fluchtbiographien Schutz und Unterstützung suchen, „versagt“ die Polizei. Es zeigt sich ein empathieloses Desinteresse, die Verschleppung von Ermittlungen, Vertuschung von strukturellen Problemen, „Ermittlungspannen“ und immer wieder: Eine Opfer-Täter-Verkehrung. Im Zusammenhang mit den unzähligen Fällen alltäglicher rassistischer Polizeigewalt wird deutlich, es handelt sich um ein institutionelles Problem, an dessen Aufklärung und Überwindung die politischen Kontrollinstanzen jedoch kaum Interesse zeigen: Erst ein mit „NSU 2.0“ unterschriebener Drohbrief brachte die Ermittlungen ins Rollen, nachdem die betroffene Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız selbst Anzeige erstattete. Der hessische Innenminister Peter Beuth sah sich jedoch nicht veranlasst, darüber auch nur ein Wort in der Sitzung zum Abschlussbericht des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses zu verlieren und so das Parlament und die Öffentlichkeit zu informieren. Bezeichnend für die blinden Flecken der Diskussion ist die Sorge politischer Entscheidungsträger um „das Ansehen der Polizei“, die durch diesen Fall nicht unter „Generalverdacht“ gestellt werden dürfe – während eben ein solcher Generalverdacht gerade die Legitimation und polizeiliche Begründung für Racial Profiling bilden.
Fünf von sieben der hessischen Polizeipräsidien sind nach jetzigem Stand betroffen. Sechs der verdächtigten Beamt_innen sind Teil einer gemeinsamen Dienstgruppe im 1. Revier in Frankfurt. Dieses Revier ist rund um die Zeil aktiv und bekannt für seine rassistische und grobschlächtige Praxis. Das wissen wir aus unserer Arbeit mit Betroffenen. So kam es an den ersten zwei Dezember-Wochenenden an der Hauptwache zu großangelegten rassistischen Kontrollen. Schwarze Jugendliche wurden ohne Anlass über Stunden hinweg kontrolliert und dabei an die Wand gestellt und durchsucht.
Auch Aram musste dies erleben, während er an einem sommerlichen Freitagabend im Mannheimer Ausgehviertel Jungbusch unterwegs war. Aram stand zwischen seinen Freunden, als er plötzlich von mehreren Polizeibeamten herausgegriffen und zu Boden gerungen wird. Zehn weitere Polizeibeamte bildeten einen Kreis um fünf Polizist_innen, die Aram misshandeln, und so versuchen, den Umherstehenden die Sicht auf das Geschehen zu verbergen. Arams Freunde griffen nicht ein, sie standen sprach- und hilflos neben den prügelnden Polizist_innen.
Aram erinnert sich: „Als das ganze passiert ist, hat das ja niemanden gejuckt. Ein paar Meter weiter saß eine Gruppe von Leuten, die haben einfach weiter Gitarre gespielt, als ob nix wäre“.
Rassismus in der Polizei ist kein Einzelfall oder Fehlverhalten von einzelnen Beamt_innen, sondern ein fester institutionalisierter Bestandteil, historisch und gegenwärtig. Er wird verstärkt durch die gesellschaftliche Gleichgültigkeit, die Empathielosigkeit und Normalisierung solcher Vorfälle durch die Öffentlichkeit. Rassistische Polizeigewalt reicht von der gesetzlichen Praxis vermeintlich anlassloser Kontrolle bis hin zu offen rassistischen und extrem rechten Äußerungen durch Polizist_innen, die nicht selten zu brutalen Misshandlungen oder zum Tod von Schwarzen und PoCs führen.
Racial Profling tötet.
Laye Condé, Oury Jalloh, Dominique Koumadio, N’deye Mariame Sarr, Christy Schwundeck, Amad Ahmad.
Dies sind nur einige Namen von Menschen, die durch rassistische Polizeipraxen ums Leben gekommen sind. In den letzten Monaten kamen neue Namen hinzu – leider werden wir auch auch in Zukunft Tote durch die Polizei zu beklagen haben.
Racial Profiling hat für die Betroffenen enorme psychische, soziale und ökonomische Auswirkungen. Ständige Polizeikontrollen und herabsetzende Behandlung durch Polizist_innen sind demütigend und verletzend, Menschen beginnen öffentliche Orte zu meiden, um nicht zum hundertsten Mal kontrolliert zu werden, zu spät zur Arbeit zu kommen oder um körperlich unversehrt zu bleiben. Die Polizei verweigert Opfern rassistischer Gewalt und Migrant_innen systematisch Sicherheit und Schutz, viele verbinden die Polizei daher mit Angst, Wut und Ungerechtigkeit. Davon erzählen die Erfahrungen der Angehörigen der vom NSU Ermordeten, ebenso wie Menschen mit denen wir bei Copwatch sprechen. Racial Profiling und rassistische Polizeiarbeit bedeutet besonders für Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, die Unmöglichkeit, zur hiesigen Gesellschaft zu gehören. Von der Polizei ständig in der Öffentlichkeit kontrolliert zu werden, ist stigmatisierend und befeuert rechte und rassistische Diskurse. Und Racial Profiling stärkt und reproduziert den Rassismus in der Gesellschaft.
Gleichzeitig leisten rassifizierte Menschen, Migrant_innen und Menschen mit Fluchtbiogaphie auf vielfältige Art und Weise Widerstand gegen Racial Profiling oder institutionellen Rassismus bei Polizei und Justiz. Als Gruppen sehen wir uns in der Kontinuität dieser Widerstände und migrantisch situiertem Wissen über diese Erfahrungen.
Sei es die Heidelberger HipHop-Band Advanced Chemistry, den Mobilisierungen gegen den Hamburger Polizeiskandal, dem Kampf für Gerechtigkeit für Oury Jalloh und den Angehörigen der vom NSU ermordeten Menschen – gemeinsam fordern wir:
- Ein Ende aller rassistischen Polizeikontrollen,
- Eine systematische Auseinandersetzung mit dem institutionellen und alltäglichen Rassismus in der Polizei, der Justiz und anderen staatlichen Behörden
- Die Einführung unabhängiger Untersuchungs- und Kontrollinstanzen, die von den betroffenen Communities koordiniert werden.
Wir fordern außerdem die Zivilgesellschaft auf:
- Gemeinsam Verantwortung zu übernehmen,
- Die Polizei kritisch zu beobachten und sich rassistischen Handlungen entgegenzustellen – ob im Stadtteil, in der Bahn, auf der Straße, in der Schule oder am Arbeitsplatz.
Lasst uns gemeinsam den rassistischen Alltag bekämpfen, indem wir aufeinander aufpassen und solidarisch miteinander sind.
We look out for each other!