Zum Revival der französischen (links-)radikalen Medien

Vorwort: Der englischsprachige Blog libcom.org hat vor einigen Monaten einen Text über digitale Medienplattformen der französischsprachigen radikalen Linken veröffentlicht, den wir hier übersetzt haben. Wir fanden viele Aspekte, die darin angesprochen und diskutiert werden, spannend und übertragbar für die hiesige Situation, zu der wir noch ein paar Worte verlieren möchten. Das wichtigste Medium der radikalen Linken in Deutschland, linksunten.indymedia.org, wurde im August letzten Jahres verboten. Die Stärke, die linksunten ausmachte – eine spektrenübergreifende Veröffentlichungsplattform für den deutschsprachigen Raum zu sein – war gleichzeitig auch ihre Schwäche – eine zentrale Plattform, die mit einem einzigen Repressionsschlag lahmgelegt werden konnte. Die allgemeine Empörung hielt sich in Grenzen, viele gingen davon aus, dass das Kollektiv nur die Server umziehen müsste, um die Plattform wieder zum Leben erwecken zu können. Das ist nicht passiert. Zwar wurde das Verschwinden von linksunten allgemein beklagt, viel passiert ist seitdem allerdings nicht. Strategische Überlegungen zur Entwicklung unserer Medien fehlen weiterhin fast vollständig (mal abgesehen von einigen wenigen Artikeln wie z.B. in der Swing Nr. 205). Einige unserer Medien wie die Zeck aus Hamburg haben ihr Erscheinen vor kurzem eingestellt, viele andere wie z.B. die Interim aus Berlin arbeiten mühsam so vor sich hin. Inhaltliche Debatten gibt es schon seit längerer Zeit kaum noch, es scheint dazu aber auch kein Bedürfnis zu geben. Vielleicht ist schon alles gesagt worden und es fehlen uns einfach nur die richtigen Mittel zu Umsetzung unserer Ziele? Wir wagen es zu bezweifeln. Regional gesehen ist die Situation zumindest für den aktuellen Informationsaustausch im Rhein-Gebiet dürftig. Immerhin gibt es die Swing, die für längerfristige Debatten und lokale Informationen zur Verfügung steht. Für die heutzutage notwendige aktuelle Berichterstattung und Information im Internet finden sich unzählige Blogs, Twitteraccounts und Facebookseiten. Nur welche/r wirklich durchsteigt und Zeit hat, kommt an die relevanten Infos und Termine heran. Der Linksnavigator, welcher den Anspruch hatte, eine spektrenübergreifenden Internetplattform für die radikale Linke im Rhein-Main-Gebiet zu sein, hat die Aktualisierung seiner Webseite weitgehend eingestellt. Mensch muss schon wissen, welche Gruppe gerade über welches Medium kommuniziert, um Veranstaltungstipps, Berichte von Demonstrationen oder Aufrufe mitkriegen zu können. Hinzu kommt die Bequemlichkeit, alles über die sozialen Netzwerke mitzuteilen – mit den bekannten Sicherheitsrisiken, aber immer mit der Begründung, sonst keine Menschen erreichen zu können. Alles sehr ähnlich zur Erfahrung der französischen GenossInnen, die sich gegen eine vergleichbare Situation mit ihrem Netzwerk und dem Modell von lokalen Webseiten gestellt haben. Die Fragen der Dezentralität der technischen Ressourcen als auch die Frage von Kontrolle und Überwachung des Internets tauchen im Artikel nicht auf, wir hoffen, dass es bald einmal die Gelegenheit gibt, diese Fragen auch mit unseren französischen GenossInnen des Mutu-Netzwerks zu vertiefen. Der Name „Mutu“ leitet sich übrigens ab von Mutualismus, der Gegenseitigkeit.
F&T

Das Mutu-Netzwerk

Das Mutu-Netzwerk hat ein erfolgreiches neues Modell für linksradikale französischsprachige Medien entwickelt, dessen Kern 15 Webseiten im ganzen Land sind und das sich gegen das Monopol der Verbreitung linker Nachrichten durch Social Media-Plattformen richtet. Die Webseiten sind in die verschiedenen Communities eingebettet und berichten von lokalen Kämpfen.
Das Mutu-Netzwerk wurde 2013 gegründet und bringt fünfzehn linksradikale News-Seiten aus Frankreich und der Schweiz zusammen. Einige dieser Webseiten-Kollektive bestehen seit langer Zeit und sind sehr gut etabliert, wie RebelLyon.info, 2005 in Lyon gegründet, und Paris Luttes (www.paris-luttes.info), gegründet 2013. Andere Kollektive aus Städten wie Rouen, Grenoble, Dijon und Nancy sind neuer und alle in den letzten ein oder zwei Jahren entstanden. Auf einer Konferenz, die drei Tage dauerte, kamen Leute aus dem ganzen Netzwerk zusammen, um über ihre Aktivitäten zu berichten, verschiedenste technische Fähigkeiten und infrastrukturelles Know-How zu teilen, und um zu diskutieren, wie das Netzwerk weiterentwickelt werden kann.

Obgleich es politische Differenzen zwischen (und in) den Webseiten-Kollektiven gibt, sind alle vereint durch eine Reihe gemeinsamer Prinzipien:

  1. Partizipatives veröffentlichen: jede Person oder lokale Gruppe, die die Ziele der Webseite teilt, kann Artikel vorschlagen
  2. Unterstützung: die Gruppe, welche die Webseite betreibt, kann Menschen beim Schreiben und Herausgeben ihrer Artikel über eine kollektive Schnittstelle helfen.
  3. Offenheit: die Webseite ist nicht das Eigentum einer bestimmten Gruppe, sie soll die Unterschiedlichkeit von Ideen und Praktiken darstellen, die lokal existieren.
  4. Antiautoritäre Ideen: alle Webseiten innerhalb des Netzwerks bemühen sich, emanzipative Ideen und Praktiken, antikapitalistische Ideale und Widerstand gegen Autorität(en) zu voranzutreiben.
  5. Verbreitung: wir unternehmen Schritte, die sicherstellen, dass die Inhalte der Webseiten massiv verbreitet werden können.
  6. Einbindung in einen lokalen Kontext.
  7. Gegenseitige Hilfe zwischen den Mitgliedern des Netzwerks.

Radikale Medien – vom lokalen zum (inter-)nationalen

Wie in den gemeinsamen Prinzipien festgehalten, wurden die Webseiten des Mutu-Netzwerks gegründet, um die Unterschiedlichkeit der lokalen Praktiken zu reflektieren. Das bedeutet, dass die Internetseiten Artikel aus den verschiedenen sozialen Bewegungen in ihren Städten veröffentlichen: von Arbeitskämpfen zu Umweltkämpfen, von Kämpfen um Wohnraum zu Protesten gegen Polizeigewalt – mit Inhalten, die (soweit wie möglich) von den NutzerInnen selbst geschriebene Berichte darstellen.

Dies reflektiert teilweise die Ursprünge vieler lokaler Mutu-Webseiten, die aus dem Vermächtnis von Indymedia und dem Bedürfnis lokaler AktivistInnen nach einer zentralen Ressource für das Bekanntmachen lokaler Kämpfe und politischer Aktivitäten entsprangen. Im Kontrast zum Modell „Indymedia“ ist die redaktionelle Kontrolle über die Webseite und die Unterstützung von Menschen, die Artikel posten wollen, ein wichtiger Teil des Projekts. Während Mutu-Webseiten also das Open Publishing-Modell von Indymedia beibehalten haben, welches es allen ermöglicht, Artikel beizusteuern, lehnen sie im Gegensatz zu Indymedia ungeeignete Artikel ab und unterstützen Beitragende im redaktionellen Prozess. Was Mutu’s Modell so interessant macht, ist die Tatsache, dass der ganze redaktionelle Prozess komplett transparent ist. Jede/r registrierte NutzerIn kann sich in das Back-End der Seite einloggen und sehen, welche Texte diskutiert werden, welche bestätigt und welche abgelehnt, welche Änderungen vorgeschlagen wurden und von wem.

Die Verbindung von Open Publishing mit einem transparenten redaktionellen Prozess half Mutu, die Probleme von Indymedia – Überflutung der Seiten mit Unsinn und antisemitischen Verschwörungstheorien – zu überwinden; die redaktionelle Betreuung durch Mutu, die Beitragende in der Erstellung von Artikeln unterstützt, schreckt auf der anderen Seite Menschen ab, die Artikel veröffentlichen wollen, die im Gegensatz zu den politischen Grundsätzen der Seiten stehen.

Während der Konferenz selbst hörten wir Berichte von Delegierten etwa eines Dutzend der Kollektive des Netzwerks. Einige, wie Paris Luttes, veröffentlichen etwa zehn Artikel am Tag mit einer LeserInnenschaft zwischen zehn und 25.000 pro Tag; andere Seiten sind kleiner und spiegeln oftmals die kleineren Bewegungen oder Einwohnerzahlen der Städte/Regionen wider.

Wie auch immer, alle Seiten sind stark in lokalen sozialen Bewegungen verankert und verfügen über signifikante lokale LeserInnenschaften. Viele der Mutu-Webseiten werden regelmäßig als Quelle durch lokale Zeitungen herangezogen. Das schweizerisch-französische Kollektiv Renverse (www.renverse.co) berichtete von Graffiti in der Gegend rund um Genf, die ihre Webseite bewarben – von wem die Graffiti stammen, wissen sie aber nicht! Zum Beweis des Grads der lokalen Verankerung einiger dieser radikalen Nachrichtenseiten erzählte uns ein Mitglied des RebelLyon-Kollektivs: „Wenn ich mit anderen Eltern in der Schule meines Kindes spreche, setze ich voraus, dass sie unsere Webseite schon kennen. Wenn nicht, erkläre ich es ihnen, aber normalerweise kennen sie sie schon.“

Als negative Seite dieses lokalen Fokus sehen die Mitglieder des Netzwerks die Schwierigkeit an, über internationale Ereignisse und Events zu berichten – auch wenn sie das manchmal gerne tun würden, fehlt aber oft ein lokaler Bezug, der eine Nachricht rechtfertigt. Eine Möglichkeit für Texte mit überregionalem oder internationalem Bezug könnte z.B. ein lokaler Palästina-Solidaritätsprotest sein, um über die letzten Entwicklungen in der Region zu berichten, aber es ist weniger wahrscheinlich, dass Texte veröffentlicht werden, wenn sie sich ohne lokalen Kontext z.B. mit der letzten Streikwelle im Bildungssektor der USA oder den Protesten gegen das Regime im Iran auseinandersetzen.
Wie auch immer, als Webseiten mit starken lokalen Wurzeln, die sich über das ganze Land ausgebreitet haben, sollen nun Fortschritte in der Schaffung einer nationalen Webseite gemacht werden, die Inhalte aller Mitgliedswebseiten zusammenbringt. Die GenossInnen von Mutu hoffen, dass dies ihnen auch erlauben wird, ihre Berichterstattung von internationalen Kämpfen auszubauen. Vor diesem Hintergrund ist es spannend zu sehen, dass Barrikade (www.barrikade.info), Mutu’s schweizerisch-deutsches Kollektiv, gerade in Diskussionen mit deutschen und österreichischen GenossInnen steckt, um die Möglichkeiten eines deutschsprachigen Netzwerks auszuloten, das Mutu’s französischsprachiges ergänzen könnte. Dies würde auch die Möglichkeit einer internationalen Berichterstattung erweitern und verweist auf die Notwendigkeit eines europäischen Netzwerks von lokalen antiautoritären Nachrichten-Webseiten.

Soziale Medien vs. Medien der sozialen Bewegungen

Eine Sache, die während der gesamten Konferenz präsent war, war der negative Effekt von Social-Media auf die linksradikale Medienarbeit in Frankreich. Die Kollektive beklagten das blinde Vertrauen auf Facebook und Twitter für die Kommunikation bei z.B. studentischen Besetzungen oder in der lokalen Gewerkschaftsarbeit.
Ein Genosse des Kollektivs La Rotative aus Tours (www.larotative.info) beschrieb eine Begebenheit bei einer Besetzung durch Studenten, welche die Kommunikation mit der Außenwelt durch die Eröffnung von Facebook- und Twitter-Accounts als erledigt ansahen.

„Wir riskieren auch den Verlust der jahrhundertelangen Erfahrung des kollektiven anarchistischen Veröffentlichens, weil die Leute einfach bevorzugen, Sachen auf ihrem persönlichen Twitter-Account zu posten, ohne dass es einen Input von irgendjemand anderes oder eine breitere Diskussion gab.“ sagte er.

Andere Probleme, die im Zusammenhang mit dem blinden Vertrauen auf Social Media erwähnt wurden, waren die Unmöglichkeit, ein Archiv anzulegen oder Berichte und Texte zusammenzustellen und zu vergleichen. Die Folge ist, dass Berichte von verschiedenen Orten (oder sogar nur Entwicklungen am selben Ort) oft isoliert voneinander in Tweets oder Facebook-Posts existieren und keinen Bezug mehr aufeinander aufweisen.
So kann es sogar bei größeren (landesweiten) Kämpfen schwierig sein, auf dem Laufenden zu bleiben – zum Beispiel bei den aktuellen Kämpfen der BahnarbeiterInnen, oder sogar der Welle von studentischen Solidaritäts-Besetzungen 2018 – wenn du nicht all den richtigen Twitter-Accounts oder Facebook-Gruppen folgst (selbst wenn einige wichtige Berichte posten, die meisten tun dies nicht). Natürlich nutzen auch viele Menschen diese Plattformen gar nicht, die auf sich gestellt Informationen aus verschiedenen Social-Media-Posts mit der notwendigen Tiefe und Expertise überprüfen müssen, um einen vollständigen Überblick über meistens komplexe soziale Bewegungen zu erhalten.
Nicht zuletzt sollten die Sicherheitsrisiken von Social Media erwähnt werden. UserInnen können gesperrt und ihre Seiten gelöscht werden, und sollten dich die multinationalen Social-Media-Unternehmen rausschmeißen wollen – egal aus welchem Grund (solche wie „Anstiftung zur falschen Art von Aktion“), gehen auch all die Berichte und Informationen, die du über die Jahre produziert hast, verloren. Das blinde Vertrauen auf diese hoch zentralisierten Monopole setzt also auch unsere Inhalten einem Risiko aus.

Social-Media-Plattformen bleiben nur so lange „sicher“, so lange wir unwirksam und irrelevant sind. Ob uns die Monopole ihre Plattformen nutzen lassen werden, wenn unsere Bewegungen beginnen, eine ernsthafte politische Herausforderung zu werden, ist eine ganz andere Frage. Wir müssen nur an die willkürlichen Gründe denken, derentwegen manche User von Twitter gesperrt wurden.

Zum „Réseau Mutu“ (Mutu-Netzwerk, www.mutu.mediaslibre.org): Das Netzwerk hat seine Wurzel in einem Treffen freier Medien 2008 in Lyon. 2009 wurde ein erster Server für Mutu in Seattle gekauft wurde. 2013 kündigte Rebellyon das „Mutu-Projekt“ an, im selben Jahr entstand der Zusammenschluss. Inzwischen gab es mehrere landesweite Treffen anarchistischer Medienschaffender. Im Januar 2015 wurde die Int

Vorwort: Der englischsprachige Blog libcom.org hat vor einigen Monaten einen Text über digitale Medienplattformen der französischsprachigen radikalen Linken veröffentlicht, den wir hier übersetzt haben. Wir fanden viele Aspekte, die darin angesprochen und diskutiert werden, spannend und übertragbar für die hiesige Situation, zu der wir noch ein paar Worte verlieren möchten. Das wichtigste Medium der radikalen Linken in Deutschland, linksunten.indymedia.org, wurde im August letzten Jahres verboten. Die Stärke, die linksunten ausmachte – eine spektrenübergreifende Veröffentlichungsplattform für den deutschsprachigen Raum zu sein – war gleichzeitig auch ihre Schwäche – eine zentrale Plattform, die mit einem einzigen Repressionsschlag lahmgelegt werden konnte. Die allgemeine Empörung hielt sich in Grenzen, viele gingen davon aus, dass das Kollektiv nur die Server umziehen müsste, um die Plattform wieder zum Leben erwecken zu können. Das ist nicht passiert. Zwar wurde das Verschwinden von linksunten allgemein beklagt, viel passiert ist seitdem allerdings nicht. Strategische Überlegungen zur Entwicklung unserer Medien fehlen weiterhin fast vollständig (mal abgesehen von einigen wenigen Artikeln wie z.B. in der Swing Nr. 205). Einige unserer Medien wie die Zeck aus Hamburg haben ihr Erscheinen vor kurzem eingestellt, viele andere wie z.B. die Interim aus Berlin arbeiten mühsam so vor sich hin. Inhaltliche Debatten gibt es schon seit längerer Zeit kaum noch, es scheint dazu aber auch kein Bedürfnis zu geben. Vielleicht ist schon alles gesagt worden und es fehlen uns einfach nur die richtigen Mittel zu Umsetzung unserer Ziele? Wir wagen es zu bezweifeln. Regional gesehen ist die Situation zumindest für den aktuellen Informationsaustausch im Rhein-Gebiet dürftig. Immerhin gibt es die Swing, die für längerfristige Debatten und lokale Informationen zur Verfügung steht. Für die heutzutage notwendige aktuelle Berichterstattung und Information im Internet finden sich unzählige Blogs, Twitteraccounts und Facebookseiten. Nur welche/r wirklich durchsteigt und Zeit hat, kommt an die relevanten Infos und Termine heran. Der Linksnavigator, welcher den Anspruch hatte, eine spektrenübergreifenden Internetplattform für die radikale Linke im Rhein-Main-Gebiet zu sein, hat die Aktualisierung seiner Webseite weitgehend eingestellt. Mensch muss schon wissen, welche Gruppe gerade über welches Medium kommuniziert, um Veranstaltungstipps, Berichte von Demonstrationen oder Aufrufe mitkriegen zu können. Hinzu kommt die Bequemlichkeit, alles über die sozialen Netzwerke mitzuteilen – mit den bekannten Sicherheitsrisiken, aber immer mit der Begründung, sonst keine Menschen erreichen zu können. Alles sehr ähnlich zur Erfahrung der französischen GenossInnen, die sich gegen eine vergleichbare Situation mit ihrem Netzwerk und dem Modell von lokalen Webseiten gestellt haben. Die Fragen der Dezentralität der technischen Ressourcen als auch die Frage von Kontrolle und Überwachung des Internets tauchen im Artikel nicht auf, wir hoffen, dass es bald einmal die Gelegenheit gibt, diese Fragen auch mit unseren französischen GenossInnen des Mutu-Netzwerks zu vertiefen. Der Name „Mutu“ leitet sich übrigens ab von Mutualismus, der Gegenseitigkeit.
F&T
Das Mutu-Netzwerk

Das Mutu-Netzwerk hat ein erfolgreiches neues Modell für linksradikale französischsprachige Medien entwickelt, dessen Kern 15 Webseiten im ganzen Land sind und das sich gegen das Monopol der Verbreitung linker Nachrichten durch Social Media-Plattformen richtet. Die Webseiten sind in die verschiedenen Communities eingebettet und berichten von lokalen Kämpfen.
Das Mutu-Netzwerk wurde 2013 gegründet und bringt fünfzehn linksradikale News-Seiten aus Frankreich und der Schweiz zusammen. Einige dieser Webseiten-Kollektive bestehen seit langer Zeit und sind sehr gut etabliert, wie RebelLyon.info, 2005 in Lyon gegründet, und Paris Luttes (www.paris-luttes.info), gegründet 2013. Andere Kollektive aus Städten wie Rouen, Grenoble, Dijon und Nancy sind neuer und alle in den letzten ein oder zwei Jahren entstanden. Auf einer Konferenz, die drei Tage dauerte, kamen Leute aus dem ganzen Netzwerk zusammen, um über ihre Aktivitäten zu berichten, verschiedenste technische Fähigkeiten und infrastrukturelles Know-How zu teilen, und um zu diskutieren, wie das Netzwerk weiterentwickelt werden kann.

Obgleich es politische Differenzen zwischen (und in) den Webseiten-Kollektiven gibt, sind alle vereint durch eine Reihe gemeinsamer Prinzipien:

Partizipatives veröffentlichen: jede Person oder lokale Gruppe, die die Ziele der Webseite teilt, kann Artikel vorschlagen
Unterstützung: die Gruppe, welche die Webseite betreibt, kann Menschen beim Schreiben und Herausgeben ihrer Artikel über eine kollektive Schnittstelle helfen.
Offenheit: die Webseite ist nicht das Eigentum einer bestimmten Gruppe, sie soll die Unterschiedlichkeit von Ideen und Praktiken darstellen, die lokal existieren.
Antiautoritäre Ideen: alle Webseiten innerhalb des Netzwerks bemühen sich, emanzipative Ideen und Praktiken, antikapitalistische Ideale und Widerstand gegen Autorität(en) zu voranzutreiben.
Verbreitung: wir unternehmen Schritte, die sicherstellen, dass die Inhalte der Webseiten massiv verbreitet werden können.
Einbindung in einen lokalen Kontext.
Gegenseitige Hilfe zwischen den Mitgliedern des Netzwerks.

Radikale Medien – vom lokalen zum (inter-)nationalen

Wie in den gemeinsamen Prinzipien festgehalten, wurden die Webseiten des Mutu-Netzwerks gegründet, um die Unterschiedlichkeit der lokalen Praktiken zu reflektieren. Das bedeutet, dass die Internetseiten Artikel aus den verschiedenen sozialen Bewegungen in ihren Städten veröffentlichen: von Arbeitskämpfen zu Umweltkämpfen, von Kämpfen um Wohnraum zu Protesten gegen Polizeigewalt – mit Inhalten, die (soweit wie möglich) von den NutzerInnen selbst geschriebene Berichte darstellen.

Dies reflektiert teilweise die Ursprünge vieler lokaler Mutu-Webseiten, die aus dem Vermächtnis von Indymedia und dem Bedürfnis lokaler AktivistInnen nach einer zentralen Ressource für das Bekanntmachen lokaler Kämpfe und politischer Aktivitäten entsprangen. Im Kontrast zum Modell „Indymedia“ ist die redaktionelle Kontrolle über die Webseite und die Unterstützung von Menschen, die Artikel posten wollen, ein wichtiger Teil des Projekts. Während Mutu-Webseiten also das Open Publishing-Modell von Indymedia beibehalten haben, welches es allen ermöglicht, Artikel beizusteuern, lehnen sie im Gegensatz zu Indymedia ungeeignete Artikel ab und unterstützen Beitragende im redaktionellen Prozess. Was Mutu’s Modell so interessant macht, ist die Tatsache, dass der ganze redaktionelle Prozess komplett transparent ist. Jede/r registrierte NutzerIn kann sich in das Back-End der Seite einloggen und sehen, welche Texte diskutiert werden, welche bestätigt und welche abgelehnt, welche Änderungen vorgeschlagen wurden und von wem.

Die Verbindung von Open Publishing mit einem transparenten redaktionellen Prozess half Mutu, die Probleme von Indymedia – Überflutung der Seiten mit Unsinn und antisemitischen Verschwörungstheorien – zu überwinden; die redaktionelle Betreuung durch Mutu, die Beitragende in der Erstellung von Artikeln unterstützt, schreckt auf der anderen Seite Menschen ab, die Artikel veröffentlichen wollen, die im Gegensatz zu den politischen Grundsätzen der Seiten stehen.

Während der Konferenz selbst hörten wir Berichte von Delegierten etwa eines Dutzend der Kollektive des Netzwerks. Einige, wie Paris Luttes, veröffentlichen etwa zehn Artikel am Tag mit einer LeserInnenschaft zwischen zehn und 25.000 pro Tag; andere Seiten sind kleiner und spiegeln oftmals die kleineren Bewegungen oder Einwohnerzahlen der Städte/Regionen wider.

Wie auch immer, alle Seiten sind stark in lokalen sozialen Bewegungen verankert und verfügen über signifikante lokale LeserInnenschaften. Viele der Mutu-Webseiten werden regelmäßig als Quelle durch lokale Zeitungen herangezogen. Das schweizerisch-französische Kollektiv Renverse (www.renverse.co) berichtete von Graffiti in der Gegend rund um Genf, die ihre Webseite bewarben – von wem die Graffiti stammen, wissen sie aber nicht! Zum Beweis des Grads der lokalen Verankerung einiger dieser radikalen Nachrichtenseiten erzählte uns ein Mitglied des RebelLyon-Kollektivs: „Wenn ich mit anderen Eltern in der Schule meines Kindes spreche, setze ich voraus, dass sie unsere Webseite schon kennen. Wenn nicht, erkläre ich es ihnen, aber normalerweise kennen sie sie schon.“

Als negative Seite dieses lokalen Fokus sehen die Mitglieder des Netzwerks die Schwierigkeit an, über internationale Ereignisse und Events zu berichten – auch wenn sie das manchmal gerne tun würden, fehlt aber oft ein lokaler Bezug, der eine Nachricht rechtfertigt. Eine Möglichkeit für Texte mit überregionalem oder internationalem Bezug könnte z.B. ein lokaler Palästina-Solidaritätsprotest sein, um über die letzten Entwicklungen in der Region zu berichten, aber es ist weniger wahrscheinlich, dass Texte veröffentlicht werden, wenn sie sich ohne lokalen Kontext z.B. mit der letzten Streikwelle im Bildungssektor der USA oder den Protesten gegen das Regime im Iran auseinandersetzen.
Wie auch immer, als Webseiten mit starken lokalen Wurzeln, die sich über das ganze Land ausgebreitet haben, sollen nun Fortschritte in der Schaffung einer nationalen Webseite gemacht werden, die Inhalte aller Mitgliedswebseiten zusammenbringt. Die GenossInnen von Mutu hoffen, dass dies ihnen auch erlauben wird, ihre Berichterstattung von internationalen Kämpfen auszubauen. Vor diesem Hintergrund ist es spannend zu sehen, dass Barrikade (www.barrikade.info), Mutu’s schweizerisch-deutsches Kollektiv, gerade in Diskussionen mit deutschen und österreichischen GenossInnen steckt, um die Möglichkeiten eines deutschsprachigen Netzwerks auszuloten, das Mutu’s französischsprachiges ergänzen könnte. Dies würde auch die Möglichkeit einer internationalen Berichterstattung erweitern und verweist auf die Notwendigkeit eines europäischen Netzwerks von lokalen antiautoritären Nachrichten-Webseiten.
Soziale Medien vs. Medien der sozialen Bewegungen

Eine Sache, die während der gesamten Konferenz präsent war, war der negative Effekt von Social-Media auf die linksradikale Medienarbeit in Frankreich. Die Kollektive beklagten das blinde Vertrauen auf Facebook und Twitter für die Kommunikation bei z.B. studentischen Besetzungen oder in der lokalen Gewerkschaftsarbeit.
Ein Genosse des Kollektivs La Rotative aus Tours (www.larotative.info) beschrieb eine Begebenheit bei einer Besetzung durch Studenten, welche die Kommunikation mit der Außenwelt durch die Eröffnung von Facebook- und Twitter-Accounts als erledigt ansahen.

„Wir riskieren auch den Verlust der jahrhundertelangen Erfahrung des kollektiven anarchistischen Veröffentlichens, weil die Leute einfach bevorzugen, Sachen auf ihrem persönlichen Twitter-Account zu posten, ohne dass es einen Input von irgendjemand anderes oder eine breitere Diskussion gab.“ sagte er.

Andere Probleme, die im Zusammenhang mit dem blinden Vertrauen auf Social Media erwähnt wurden, waren die Unmöglichkeit, ein Archiv anzulegen oder Berichte und Texte zusammenzustellen und zu vergleichen. Die Folge ist, dass Berichte von verschiedenen Orten (oder sogar nur Entwicklungen am selben Ort) oft isoliert voneinander in Tweets oder Facebook-Posts existieren und keinen Bezug mehr aufeinander aufweisen.
So kann es sogar bei größeren (landesweiten) Kämpfen schwierig sein, auf dem Laufenden zu bleiben – zum Beispiel bei den aktuellen Kämpfen der BahnarbeiterInnen, oder sogar der Welle von studentischen Solidaritäts-Besetzungen 2018 – wenn du nicht all den richtigen Twitter-Accounts oder Facebook-Gruppen folgst (selbst wenn einige wichtige Berichte posten, die meisten tun dies nicht). Natürlich nutzen auch viele Menschen diese Plattformen gar nicht, die auf sich gestellt Informationen aus verschiedenen Social-Media-Posts mit der notwendigen Tiefe und Expertise überprüfen müssen, um einen vollständigen Überblick über meistens komplexe soziale Bewegungen zu erhalten.
Nicht zuletzt sollten die Sicherheitsrisiken von Social Media erwähnt werden. UserInnen können gesperrt und ihre Seiten gelöscht werden, und sollten dich die multinationalen Social-Media-Unternehmen rausschmeißen wollen – egal aus welchem Grund (solche wie „Anstiftung zur falschen Art von Aktion“), gehen auch all die Berichte und Informationen, die du über die Jahre produziert hast, verloren. Das blinde Vertrauen auf diese hoch zentralisierten Monopole setzt also auch unsere Inhalten einem Risiko aus.

Social-Media-Plattformen bleiben nur so lange „sicher“, so lange wir unwirksam und irrelevant sind. Ob uns die Monopole ihre Plattformen nutzen lassen werden, wenn unsere Bewegungen beginnen, eine ernsthafte politische Herausforderung zu werden, ist eine ganz andere Frage. Wir müssen nur an die willkürlichen Gründe denken, derentwegen manche User von Twitter gesperrt wurden.

Zum „Réseau Mutu“ (Mutu-Netzwerk, www.mutu.mediaslibre.org): Das Netzwerk hat seine Wurzel in einem Treffen freier Medien 2008 in Lyon. 2009 wurde ein erster Server für Mutu in Seattle gekauft wurde. 2013 kündigte Rebellyon das „Mutu-Projekt“ an, im selben Jahr entstand der Zusammenschluss. Inzwischen gab es mehrere landesweite Treffen anarchistischer Medienschaffender. Im Januar 2015 wurde die Internetseite mutu.mediaslibre.org geschaffen, im selben Jahr ein zweiter Server gekauft. Das Mutu-Netzwerk sagt, dass die gegenseitige Hilfe der Kern des Netzwerks ist. Sie erlaubt das Entstehen neuer Webseiten und die Stärkung der bereits bestehenden. Sie diskutieren miteinander Medienstrategien, Schreibmethoden und die Herausforderungen der eigenen Arbeit. Außerdem wollen sie einen gemeinsames Interface für die Webseiten entwickeln, Lösungen für das Webseitenhosting, den Austausch von Wissen voranbringen und Hilfestellung z.B. bei Sicherheitsfragen geben.

ernetseite mutu.mediaslibre.org geschaffen, im selben Jahr ein zweiter Server gekauft. Das Mutu-Netzwerk sagt, dass die gegenseitige Hilfe der Kern des Netzwerks ist. Sie erlaubt das Entstehen neuer Webseiten und die Stärkung der bereits bestehenden. Sie diskutieren miteinander Medienstrategien, Schreibmethoden und die Herausforderungen der eigenen Arbeit. Außerdem wollen sie einen gemeinsames Interface für die Webseiten entwickeln, Lösungen für das Webseitenhosting, den Austausch von Wissen voranbringen und Hilfestellung z.B. bei Sicherheitsfragen geben.

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