In Texten und Diskussionsaufrufen der Linken dominieren Kritik und pessimistische Beschreibungen, insbesondere in Bezug auf die eigene Szene/Bewegung/Milieu. Auch wir haben das schon häufiger getan, halten dies aber für falsch.
Viele linke Texte werden formuliert aus einer Perspektive, dass „die deutsche Linke endlich kapieren soll und tun muss, was ich und meine Gruppe schon seit vielen Jahren sage/tue, dann … etc pp.“ Wer sich durch alte Hefte blättert, wird feststellen, dass es diese Rhetorik gibt, seitdem es die neue neue undogmatische Linke in der BRD gibt. Wie kann so was sein? Warum glauben wir überhaupt, dass es so etwas wie „die Deutsche Linke“ gibt, wo wir ansonsten doch so feingliedrig differenzieren? Würden wir denn Verhältnisse wollen, in denen es möglich wäre, zehntausende Aktivist*innen auf eine Linie zu bringen? Und selbst wenn, würde es tatsächlich so viel an den Gesamtverhältnissen ändern? Würde denn die globale Umwälzung aller Verhältnisse stattfinden, wenn die radikale Linke endlich checken würde, was du und deine Gruppe sagt?
Kritik ist notwendig und treibt uns voran, schärft Positionen und schafft Bewusstsein für Sackgassen. Im besten Fall ist sie so formuliert, dass diejenigen, an die sich die Kritik richtet, diese auch überzeugt – ein in der Linken erstaunlich selten praktizierter Stil. Zudem besteht die Gefahr, sich nur mit Fehlern und Misserfolgen auseinandersetzen, und darüber die vielen positive Entwicklungen und Tendenzen zu übersehen, die neben dem Kritikwürdigen und Negativen erwähnenswert sind. Wir sind der Meinung, dass wir uns stärker auf das beziehen sollten, was gelingt, als unsere üblichen Muster zu bedienen. Um diese positiven Aspekte sowie daraus auftauchende Fragestellungen soll es nun im weiteren Beitrag gehen.
Roll-Back und Repression
Wir sind konfrontiert mit der größten (proto)-faschistischen Mobilisierung seit den 1990er Jahren. Die Bewegungslinke ist einer der wenige Akteure, die sich AfD, Pegida und Quarkdenker*innen auf der Straße entgegen stellt. Dies drückt sich in vielen kleinen bis großen Mobilisierungen und massenhaften direkten Aktionen gegen rechte Aktivist*innen aus. Dieses Feld bindet vielfach Kapazitäten, die wir nicht in progressivere Kämpfe stecken können. Aber diese Auseinandersetzung ist alternativlos und sie ist durchaus erfolgreich: Die antifaschistische Linke ist der zentrale Akteur, der dafür sorgt, dass die faschistische Raumnahme auf der Straße zumindest Begrenzungen erfährt. Und es ist der kompromißlose Antifaschismus, der bisher verhindert, dass bürgerliche Gruppen mit der AfD offen paktieren.
Gegen antifaschistische und Strukturen agiert der Staat massiv repressiv : Ob mediale Hetze wie bei der „Kantholz“-Debatte in Bremen oder konkrete 129-Verfahren wie in BaWü und Leipzig, das Feindbild Antifa als rechtes Narrativ treibt die sogenannte bürgerliche Mitte vor sich her. In Hamburg rächt sich der Staat mit massiven Verfahren an Aktivist*innen für die aufständischen Bilder vom G-20 Gipfel. Aber auf diese und andere Repressionsschläge reagiert die radikale Linke aktuell mit durchaus erfolgreichen Solidaritätskampagnen, die zudem erfolgreich spektrenübergreifend wirken.
Etwas ähnlich sehen wir die Bedingungen im Antirassismus. Auch hier agieren Aktivist*innen durchaus erfolgreich: Die antirassistische Linke ist der zentrale Akteur, der dafür sorgt, dass die tödliche Politik der EU überhaupt noch skandalisiert wird. Und es ist der kompromißlose Aktivismus. der dafür sorgt, dass bürgerliche Gruppen sich zum Sterbenlassen, an den Außengrenzen, dem Einsperren in den Lagern, sprich der menschenunwürdigen Politik Europas überhaupt noch verhalten.
Radikaler Feminismus
Straijk Kobiet in Polen, die Bewegung der grünen Halstücher in Argentinien – große Bewegungen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gibt es vor allem international und sind Zeichen eines Wiedererstarkens des Feminismus. Aber auch hierzulande werden feministische Kämpfe wieder lauter. Dabei gehen autonome Feministinnen über den liberalen Feminismus-Begriff hinaus und verwandeln die Intersektionalitätsdebatten konsequent in eine kämpferische Praxis. Was in der Szene (wenn überhaupt) lange nur eine moralische Debatte war, zeigt sich nun in kraftvollen FLINT-only Demos auf der Straße, was sich lange (wenn überhaupt) nur in kleinen Aktionen des zivilen Ungehorsams ausdrückte, findet sich zunehmend auch in expliziten Sabotage-Aktionen. Das ist eine Entwicklung, die wir positiv sehen und die wir nicht mehr missen wollen.
Ökologiebewegung
Das Thema Ökologie ist endlich wieder in der radikalen Linken angekommen. Dies ist vielen verschieden Faktoren und Akteuren zu verdanken. Sicherlich auch, weil der Klimawandel in vollem Gange ist und für viele Menschen auch in der urbanen Linken unmittelbar greifbarer geworden ist. Aber auch den hartnäckigen Mobilisierungen durch Kampagnen wie EndeGelände oder der Konsequenz der Waldbesetzer*innen im Dannenröder Wald. Dass dagegen ein Castor-Transport 2020 nahezu widerstandsfrei durchs Land gefahren werden konnte, halten wir für einen Widerspruch, der das grundsätzlich Positive aber nicht abschwächt.
Höchstes Level an militanten Aktionen seit Jahrzehnten.
Wir können keine Statistiken dazu liefern, aber unser Eindruck beim Lesen von verschiedenen Dokumentationen ist, dass es in den letzten Jahren eine Zunahme militanter Aktionen gab im Verhältnis zu vor zehn oder zwanzig Jahren. Und das, obwohl die Spielräume immer enger werden. Sowohl die politischen Spielräume werden enger – da wird aus einem umgeschubsten AfDler ein Mordversuch mit Kantholz; Für das Anschreien eines Bullen werden 2 Jahre Knast ausgesprochen; Aus einer eingeschmissenen Bushaltestelle werden die schlimmsten Krawalle seit Jahrzehnten. Aber auch die Spielräume, die einem der Verfolgungsapparat ließ, werden aufgrund massiver Aufrüstung und Ausweitung immer enger. Die beeindruckende Quantität und Qualität an nächtlichen Aktionen und Massenmilitanz der Autonomen in den 1980er Jahren wäre unter der Bedrohung heutiger standardisierter Ermittlungsmethoden (Kameraüberwachung, DNA-Spuren etc.) so sicherlich auch nicht mehr möglich. Nichtsdestotrotz entscheiden sich offensichtlich mehr Aktivist*innen für eine militante Praxis. Was wir daran problematisch vermuten (ohne es zu wissen), ist, dass es zu einer zunehmenden Spezialisierung kommt. Früher sind alle hin und wieder losgezogen, um beim Schweineverein im Viertel die Scheiben einzuwerfen. Dies lässt sich heute in der Einfachheit zumeist gar nicht mehr machen, sondern braucht Vorbereitung und spezialisiertes Wissen. Dieses Wissen wird zwar auf Webplattformen und über Broschüren geteilt, aber eben nicht mehr von allen praktiziert. Da aber die Praxis die eigene Sichtweise prägt, sorgt es für Trennung in der Linken. Wir denken, dies ist auch ein Faktor für das zunehmende Auseinanderdriften verschiedener, sich als autonom verstehender Milieus, die mit den anderen Milieus nichts mehr anzufangen wissen.
Die Tanker der Bewegung
Viele Menschen gehen in die IL, den Roten Aufbau oder zu …ums ganze! Diese Großgruppen bieten vielfache und flexible Möglichkeit, langfristig radikale Politik zu gestalten und in Vernetzung zu bleiben. Früher haben viele Aktive den Kontakt zur sozial organisierten Szene verloren, wenn sie älter wurden, Lohnarbeit umfassender wurde, Kinder zu betreuen hatten, krank wurden, Auszeiten nahmen, nicht mehr auf jeder Demo und vor allem nicht mehr auf jeder Party aufschlagen konnten. Das ist jetzt anders. Allerdings sorgen die Gruppen auch für eine Dominanz eines bestimmten Organisations- und Politikstils und – die eigene Praxis prägt die eigene Sichtweise – wie soziale Kämpfe und linke Interventionen wahrgenommen und beurteilt werden. Zudem wirken sie sich auf ein bestimmtes Szene-Milieu sowohl mobilisierend als auch lähmend aus – machen die großen Gruppen eine Kampagne, kommen Hinz und Kunz aus ihren Kiezen und Syndikatsprojekten und konsumieren das Event. Tun sie es nicht, verlaufen Mobilisierungen oft recht schwach. Was tun mit diesem Dilemma? Wie verlaufen dazu die Debatten in den großen Tankern der Bewegung?
Bewegungslinke als Stärke begreifen
Wir glauben, dass es ein Vorteil ist, dass eine Bewegungslinke sich eben nicht durch Debatten, Appelle oder Machtstrukturen auf eine einheitliche Linie bringen lässt. Wir glauben weiterhin, dass unsere Vielfalt unsere Stärke ist. Wir halten es für sinnvoll, dass es einige gibt, die sich mit aller Entschiedenheit an jedem einzelnen Baum festketten oder ihren Dorfkiez verteidigen und uns den Spiegel vorhalten, was nur alles möglich ist, wenn wir entsprechend konsequent sind. Wir halten es für sinnvoll, dass sich andere in unmittelbare Gestaltungsmöglichkeiten begeben und Kampagnen wie Radentscheid, Transition Town, SoLaWi und vieles mehr begeben, um im konkreten Hier und Jetzt anzufangen, Alternativen zu schaffen. Wir halten es für sinnvoll, dass es Menschen gibt, die die Schuhgröße jedes Faschisten in der Vorstadt auswendig wissen. Wir halten es für sinnvoll, dass es Menschen gibt, die diese Faschisten konfrontieren und einschränken. Wir halten es für sinnvoll, dass es einige gibt, die sich in Organisationsstrukturen begeben. Wir halten es für sinnvoll das welche Wissenschaft betreiben. Wir halten dies alles für sinnvoll, um als Linke in Bewegung zu bleiben und nicht in unserer eigenen Ideologie zu verharren, sondern all diese Perspektiven und Initiativen zu nutzen, um uns an rasant verändernde Verhältnisse anzupassen. Zudem glauben wir, dass dies sowieso passiert, unabhängig wie unsere moralischen Debatten und Appelle verlaufen. Viel wichtiger erachten wir, dass wir anfangen zu lernen, dies bei aller Verschiedenheit und allen Widersprüchen als Stärke zu begreifen. Und auch sehen, was uns in dieser Verschiedenartigkeit gelingt, auch wenn es im Verhältnis zum Gesamtziel „Gutes Leben für alle“ selbstverständlich stets viel zu wenig erscheinen mag.
Ich und meine Gruppe /Dez.20