Vom 31. August bis zum 8. September fand das antimilitaristische Camp der transnationalen Kampagne Rheinmetall entwaffnen in der Kleinstadt Unterlüß bei Celle unter dem Motto „War starts here – lets stop it here“ statt.
In Unterlüß befindet sich eine Produktionsstätte Waffe Munition der Rheinmetall AG. 2.000 Menschen produzieren dort Waffen, Munition und Panzer und betreiben das größte private militärische Testgelände in Deutschland. So wurden im Januar 2018 bei der Invasion der türkischen Armee im Kanton Afrin deutsche Leopard-2-Panzer eingesetzt, deren Komponenten in Unterlüß gefertigt werden. Deutsche Rüstungskontrollregeln umgeht Rheinmetall gerne über seine Tochterfirmen in Sardinien RMW Italia und in Südafrika Rheinmetall Denel Munition.
Ein Jahr lang hatten Aktivist*innen aus unterschiedlichsten Spektren, auf bundesweiten Treffen die Aktionswoche mit Workshops, Veranstaltungen, Blockaden und einer Demo vorbereitet. Die thematischen Verknüpfungen sind vielfältig. Sie reichen von klassischer Friedensbewegung, über antirassistische und feministische Ansätze bis zu Klimaschutz, Tierbefreiung und internationaler Solidarität.
Bis zu 400 Personen kamen auf einem nahezu perfekt organisierten Camp-Gelände zusammen. Auch Genoss*innen aus Sardinien, Südafrika und Schweden waren in die Südheide gekommen. Es gab reichlich Platz für Diskussionsrunden, Work-Space, neun Ausstellungen, unter anderem zur Organisation von Frauen-Kollektiven in Rojava, zu Zwangsarbeit bei Rheinmetall und zu den Produktionsbedingungen des Konzerns in Sardinien.
Der Zusammenhang von Krieg, Männlichkeit und Herrschaft nahm eine zentrale Rolle im Camp ein. Ein gut organisierter FLINT Bereich (Frauen, Lesben, Inter-, non binäre und Transpersonen) lud zu eigenem Plenum, Ausstellungen und einem breiten Workshop-Angebot ein. Viele der Aktivist*innen beziehen sich auf die kurdisch-feministische Bewegung in Rojava. Rheinmetall liefert die Waffen und die Technologie, mit denen die Türkei das emanzipatorische Projekt Rojava nun erneut völkerrechtswidrig angreift.
Chronologie der Aktionswoche
Zum internationalen Antikriegstag am Sonntag hatten die Aktivist*innen zu Café und Kuchen geladen. Auch wenn die Stimmung in der Kleinstadt mit gerade einmal 3.5000 Einwohner*innen gegenüber dem Camp nicht gerade freundlich war, folgten doch einige Menschen aus der Umgebung der Einladung und gingen in Austausch mit den Antimilitarist*innen aus verschiedenen Städten und Regionen.
Mit einer szenisch-musikalischen Lesung über das Grauen im 1. Weltkrieg begann am Dienstag das Abendprogramm, mit dem auch Menschen aus der Umgebung angesprochen wurden.
Am Mittwoch überraschten 80 Aktivist*innen Rheinmetall-CEO Armin Pappberger mit einem Spontanbesuch in seinem Eigenheim in Hermannsburg. Der war zwar nicht zuhause, fühlte sich im Nachgang aber davon bedroht und beschwerte sich im FAZ Interview über die „öffentliche Hetzkampagne“ gegen seine Branche.
Das Bündnis Rheinmetall-entwaffnen-Rhein-Main hatte sich dieses Jahr die Zwangsarbeit bei Rheinmetall in Unterlüß zum Schwerpunkt gesetzt. Bereits im vorigen Jahr wurde auf das KZ-Außenlager Tannenberg, wenige Kilometer außerhalb des Ortes aufmerksam gemacht. In diesem Lager waren ca 900 ungarische Jüdinnen inhaftiert und mussten bei Rheinmetall Zwangsarbeit leisten. Tannenberg war eines von 21 KZ-Außenlagern rund um die Gemeinde. 1945 arbeiteten bei Rheinmetall Borsig in Unterlüß mehr als 5.000 Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangene. Edith Balas, eine Überlebende der Zwangsarbeit und der anschließenden Deportation nach Bergen-Belsen durch den ortsansässigen Volkssturm, hatte 2013 einen offenen Brief an die Bevölkerung von Unterlüß geschrieben und dazu aufgefordert, die Zwangsarbeiterinnen bei Rheinmetall nicht zu vergessen. Dieser Brief blieb unbeantwortet.
Eine Aufarbeitung und Erinnerung dieser Geschichte findet weder durch Rheinmetall, noch durch die Gemeinde statt. Mit einer Veranstaltung. Zur Frage wie Erinnerungsarbeit gelingen kann, mit einer Ausstellung zum Lager Tannenberg und einer feierlichen Gedenksteinsetzung auf dem Gelände Tannenberg wurde sich auch mit den örtlichen Initiativen solidarisiert. Der Rückweg zum Camp wurde als „Weg der Erinnerung“ gestaltet. Der Weg den die Zwangsarbeiterinnen täglich gehen mussten, wurde mit ausdrucksstarken Bannern, mit namentlichen Baumbinden und mit der Beschriftung des Radweges markiert.
Am gleichen Tag wurden die Einsatzkräfte von einer Blockade der Hauptzufahrt zum Rheinmetall-Werk Unterlüß überrascht. Aktivist*innen besetzten einen Strommast und sperrten mit einem Tripod die Fahrbahn. Einsatzleitung und der private Rheinmetall-Sicherheitsdienst waren vollkommen überfordert. Die Blockade konnte ganze 29-Stunden gehalten werden! Eine großartige Leistung der Aktivist*innen.
Freitag früh erwachte das Camp schon im Morgengrauen, um vor der Frühschicht die Eingänge zum Rheinmetall-Werk zu blockieren. Dies gelang besser als erwartet: Mit drei festen Blockadepunkten und vielen mobilen Kleingruppen im Wald konnten die Bullen und der Werksschutz die Barrikaden zwar immer wieder abräumen, aber viele Mitarbeiter*innen kamen an diesem Tag auch zur zweiten Schicht nicht an ihren Arbeitsplatz im Rüstungskonzern.
Unter dem Motto „Krieg beginnt hier – unser Widerstand auch!“ beteiligten sich über 600 Personen an der Demonstration am Samstag. Zahlreiche Gruppen hatten dazu aufgerufen und stellten die Zusammenhänge von Ökologie, Antimilitarismus, Antirassismus und Antikolonialismus her.
Auch am letzten Tag hatten einige Menschen noch Energie und protestierten bei der Panzerausstellung „Stahl auf der Heide“ in Munster vor dem deutschen Panzermuseum gegen Krieg und Militär.
Fazit
Das zweite antimilitaristische Camp Rheinmetall Entwaffnen brachte Aktivist*innen aus unterschiedlichen politischen Spektren zusammen. Eine Woche Diskussionen, Aktionen, Workshops, Praxis und Kultur.
2019 waren Blockaden angekündigt, die den Produktionsstandort Unterlüß lahmlegen sollten. Das ist diesmal noch nicht gelungen. Zu wenige Aktivist*innen mussten sich um zu viele Zugänge kümmern. Durch die Ankündigung der Blockade wurden Rheinmetall-Mitarbeiter*innen genötigt, sich frei zu nehmen, oder ihre Arbeit ins Homeoffice zu verlegen. Die Spontanblockade am Vortag funktionierte dank der Entschlossenheit der Aktivist*innen und des Überraschungsmoments sehr gut. Da aber viele Tore ins Betriebsgelände führen, blieb auch dieses eine symbolische Aktion.
Bereits am Tag nach der Aktion waren viele Baumbinden und die Transparente mit Zeichnungen und Erinnerungen der Zwangsarbeiterinnen zerstört worden. Nach gerade einmal vier Tagen waren fast alle Spuren vernichtet und der Gedenkstein geschändet. Allein dies ist Grund genug, auch im nächsten Jahr in die Südheide zu fahren.
War starts here – let’s stop it here.
Mehr Infos und Impressionen zum Camp unter: rheinmetallentwaffnen.noblogs.org
Solibus
Auch der Berliner Solibus war im Camp.
Seit Januar 2019 gibt es den gemeinnützigen Verein Solibus e.V. Der Solibus fährt für Menschen, die gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus, gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur und für eine linke emanzipatorische Politik aktiv sind. Das Projekt Solibus ist Teil einer politischen, sozialen Struktur, die eine gemeinschaftliche Mobilität und Teilhabe an bundes- und europaweiten Aktivitäten schafft.
Damit soll ermöglicht werden, dass Menschen ohne sexistische, rassistische und soziale Diskriminierung und unabhängig von individuell begrenzten finanziellen Mitteln an politischen und kulturellen Veranstaltungen und Aktivitäten teilnehmen können.
Der Solibus ist ein Überlandbus der Schadstoffklasse 5 mit 51 Sitzen mit Stauraum und weiteren 30 Stehplätzen.
Das Busprojekt ist auf Spenden, Mitgliedsbeiträge und Fördermittel angewiesen.
Kontakt und weitere Infos: https://www.soli-bus.org