Nach dem rechten Terror in Halle, bei dem nur eine robuste Holztür und der Defekt einer selbstgebauten Waffe den Täter von der Erschießung vieler Jüd*innen in einer Synagoge abgehalten hat und er stattdessen eine Passantin sowie den Gast des anschließend angegriffenen Dönerladens ermordete, wird nicht nur in Halle verschärft diskutiert, wie Schutz vor rechtem Terror praktisch aussehen muss und kann.
Antisemitische, rechte und rassistische Angriffe und Morde haben in Deutschland eine lange und ungebrochene Tradition. Unseren Ekel über die gespielte Überraschung und das ritualisierte Entsetzen der Bundesregierung über den antisemitischen Terroranschlag auf die Synagoge und das zugleich weitgehende Schweigen über den rassistischen Anschlag auf den Dönerladen, haben (wenige) andere bereits treffend formuliert, dies soll hier nicht Thema sein. Wenig Aufmerksamkeit hat indes bislang der Umstand erhalten, dass laut Eigenaussage des Täters als Ziel zunächst eine Moschee oder ein AZ angedacht war, wie aus seinem Manifest hervorgeht.
Ein rechter Terroranschlag auf ein AZ: Krasse Vorstellung. Aber komplett unvorstellbar? Es ist wohl klar, dass sich die radikale Linke in Schland gegen einen rechten Terrorangriff mit Schusswaffen auf ein Hausprojekt oder auf eine Einzelperson nicht angemessen selbst verteidigen könnte. Den Schutz von linken Zentren vertrauen wir verstärkten Türen und verbarrikadierten Fenstern an und spätestens jetzt sollte in unseren Zentren diskutiert werden, ob dieser Schutz ausreichend ist. Aber bewaffnete Angriffe auf Menschen, die von Rechten zum Feindbild erklärt werden, sowie Brandsätze auf linke Projekte sind nicht neu, letzteres ist nicht nur im Rhein-Main-Gebiet sogar erschreckend aktuell.
Die Rechten entwaffnen! Nur, wie?
Allein im vergangenen Jahr wurden bundesweit laut einer kleinen Anfrage der Partei „Die Linke“ bei den Rechten insgesamt 1.091 Waffen gefunden, darunter Schuss- und Kriegswaffen, sowie Stichwaffen – Tendenz steigend. Zu den Waffenfunden kommen Schießtrainings von Rechten im In- und Ausland sowie Waffen- und Munitionsklau bei der Bundeswehr. Die kürzlichen rechten Angriffe mit Tötungsabsicht in Hessen, dem Mord an Walter Lübcke in Kassel und der versuchte Mord an Bilal M. in Wächtersbach, werden nicht die letzten sein. Anders als Persons of Colour oder Menschen in exponierten Stellen oder Orten wie Synagogen oder Moscheen, haben weiße deutsche Durchschnittslinke allerdings die Option auf ein unauffälliges Erscheinungsbild, um auf der Straße nicht ins Visier rechter Gewalttäter*innen zu geraten.
Der Staat wird’s schon richten?
Auch bei dem durchgeknallten Einzeltäter par excellence, dem Brandstifter Joachim Scholz hier im Rhein-Main-Gebiet, fordern wir mehr oder weniger explizit das Eingreifen von Polizei, Justiz und Psychiatrie.
Zurecht wird im Bezug auf rechte Angriffe und Morde – wie zuletzt Halle – stets das staatliche Versagen angeklagt, sowie die Entwaffnung der rechten Szene eingefordert. Die Hilflosigkeit der an sich zutreffenden Forderung wird offensichtlich, wenn wir einen Schritt weiterdenken und uns fragen, an wen wir diese Forderung eigentlich richten. Sind es die Polizeien und anderen staatlichen Institutionen und Akteure, die bereits bei der Aufklärung der NSU-Morde und rechter Netzwerke versagen? Also diejenigen, die, wie etwa im Frankfurter 1. Polizeirevier, Menschen verbal mit dem Tod drohen oder mit Bundeswehrsoldaten und Richtern in Chatgruppen die Liquidierung von politischen Gegner*innen planen, Todeslisten führen und bereits Löschkalk und Leichensäcke organisieren? Diejenigen, die – wie eine Gruppe von Bullen in Berlin – interne Daten von linken Aktivist*innen ermitteln und daraufhin persönlich bedrohen? Diejenigen, die 25.000 Personen größtenteils nicht darüber informieren, dass sie auf rechten Listen stehen? Diejenigen, die rechte Bedrohungen und Angriffe verharmlosen und nicht strafrechtlich verfolgen?
Armee der Einzeltäter
Wir beklagen zurecht ständig die staatliche Formel von angeblichen „Einzeltätern“ im Polizeiapparat, im Verfassungsschutz und verwandten Institutionen und fordern deren Abschaffung. Doch wir müssen uns eingestehen, dass wir in demselben Atemzug – unausgesprochen – mit unseren Forderungen genau diese adressieren, doch endlich das bedrohliche System rechter Netzwerke anzuerkennen.
Wir selbst haben diese Erkenntnis ja längst verinnerlicht. Oder etwa nicht? Falls ja, sind dann nicht unsere Forderungen nach Entwaffnung der Rechten oder nach Aufklärung rechter Netzwerke wider besseren Wissens? Taugen die staatlichen Institutionen doch nur unzureichend oder ausnahmsweise zur Aufklärung und häufig nicht zu einer angemessenen Strafverfolgung. Doch das Eingeständnis vom Wissen über den Umfang bewaffneter rechter Netzwerke und ihrer Verbreitung in den Staatsapparaten ruft auch bei vielen von uns wohl vor allem Furcht hervor, da wir selbst wenig bis gar keine praktischen Antworten darauf haben: So ist es weniger Angst einflößend, nicht darüber nachzudenken, was die Durchsetzung staatlicher Institutionen mit extremen Rechten für uns in letzter Konsequenz bedeuten kann und lieber insgeheim zu hoffen, dass die bislang bekannt gewordenen Fälle eben doch nur Ausnahmen und Einzelfälle sind. Mit den parlamentarischen Erfolgen der AfD wird sich die Gefahr auch für politische Gegner*innen allerdings noch verschärfen.
Dieser Text bietet zugegebenermaßen viele Fragen und keine Antworten. Es ist an uns allen, die Diskussion weiterzuführen – privat oder öffentlich hier in der Swing.
Antifa bleibt Handarbeit