Solidarität mit den Angeklagten – auch mit den Unschuldigen!
Elbchaussee-Prozess
Am 18.12.2019 wurde Loïc endlich gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen (Haftverschonung) und ist seitdem wieder in Freiheit. Unten dokumentieren wir einen Text von ihm, geschrieben nach der Entlassung. Loïc legt Wert auf die Feststellung, dass er keinerlei Einlassung oder Aussage gemacht hat und keinen Deal mit dem Gericht eingegangen ist. Er bleibt dabei, dass er sich erst nach Wiederzulassung der Öffentlichkeit im Rahmen des „letzten Wortes des Angeklagten“ in Form einer öffentlichen Stellungnahme äußern wird. Angesichts der bisherigen 16 Monate Untersuchungshaft und der jetzt erteilten Auflagen sei der weitere Vollzug der U-Haft nicht mehr verhältnismäßig, obwohl ein nicht unerheblicher Strafrest verbleibe (durchaus möglich, dass Loïc dann nochmals in den Knast muss).
Aus dem Elbchausee-Prozess gegen die fünf Genoss*innen nicht viel Neues. Im Folgenden ist das Statement der Richterin dokumentiert – am 6. November 2019 hatten die Rechtsanwält*innen und die Staatsanwaltschaft ein „Rechtsgespräch“ mit der Kammer geführt. Tatsächlich war es eher ein Monolog des Gerichts, weil die Vorsitzende die Sichtweise der Kammer mitgeteilt hat und die Angeklagten wissen lassen wollte, wo das Gericht steht. Die Stellungnahmen von Staatsanwaltschaft und Anwält*innen ist noch nicht veröffentlicht.
Die Kammer geht derzeit offenbar von folgendem Sachverhalt aus: Es gab am 7. Juli 2017 einen Aufmarsch von ca. 200 Personen, die um 07.30 ab Donners Park gestartet sind. Man habe sich vorher Donners Park / Heinepark, eingefunden in Kleingruppen, wobei die Teilnehmer*innen unterschiedlich motiviert gewesen seien. Alle Angeklagten seien dabei gewesen, einen früheren Aufmarsch – beispielsweise eine früher losgegangene „friedliche“ Demo habe man bisher nicht feststellen können. Die Kammer gehe nicht davon aus, dass man auf den Aufmarsch das Demonstrationsstrafrecht anwenden könne, weil alle Teilnehmer dunkel gekleidet und vermummt gewesen seien. Die Kleingruppen seien jeweils mit zu differenzierenden Merkmalen versehen (Handschuhe, Hämmer und Werkzeuge, Pyrotechnik pp.). Es hätten ab 7.30 Uhr sofort die ersten Sachbeschädigungen stattgefunden, wobei alle Teilnehmer mit Gewalttätigkeiten jedenfalls gegen Sachen und öffentliche Einrichtungen (Bushaltestellen pp.) gerechnet hätten.
Nicht alle hätten sie gewollt, aber zumindest billigend in Kauf genommen. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte für eine übergeordnete „Gesamtplanung“ vor. Die Kleingruppen hätten ggf. schon (intern) geplant, aber es gebe nichts für eine alle Teilnehmer umfassende („paramilitärische“) Planung oder Absprache. Man gehe außerdem – gestützt durch LKA7-Lageanalyse und Sachverständigem – davon aus, dass die meisten Teilnehmer mit einem (baldigen) Einschreiten der Polizei gerechnet hätten. Insofern seien auch Gewalttätigkeiten in Kauf genommen worden; dies gelte auch für die Mollis mitführenden Teilnehmer; dass insofern ein Konsens betreffend deren Einsatz gegen IKEA geherrscht habe, halte man für fernliegend.
Man gehe hinsichtlich der Angeklagten von einer Inkaufnahme (FfM /Offenbach) bzw. einem Wollen (Frankreich) von Gewalt gegen Sachen aus. Man gehe aber auch davon aus, dass eine Gewalt gegen Privatsachen oder Privatpersonen nicht vom Vorsatz umfasst gewesen sei.
Man gehe davon aus, dass der Angeklagte Loïc einen Böller geworfen habe; man gehe außerdem davon aus, dass einer der weiteren Angeklagten eine Mülltonne hinter sich hergezogen und diese auf die Straße gelegt habe, was alle anderen Angeklagten mitbekommen hätten. „Die deutschen Angeklagten“ hätten sich dann Platz der Republik „ausgeklinkt“. Der Angeklagte Loïc sei am Paul-Nevermann-Platz ausgestiegen und habe sich entmummt. Man könne nicht sagen, warum die Personen gegangen seien, die Einlassung der Angeklagten – soweit sie erfolgt seien – seien insofern nicht zu widerlegen. Es seien insgesamt erhebliche Schäden an Geschäftsgebäuden und Büros entstanden. Es seien auch weitere erhebliche Sachschäden entstanden. Man gehe davon aus, dass der Busfahrer, die Frau vor dem Konsulat, der Bundespolizeibeamte im Auto am BHF Altona und ein HASPA-Mitarbeiter körperverletzt worden seien. Bei den anderen Zeugen würden die „Schockschäden“ nicht gravierend genug sein, um als Körperverletzung im Sinne des StGB zu gelten. Man könne im Übrigen nicht feststellen, wie viele Mollis insgesamt mitgeführt worden seien, weil man auf den Videos zwar Flaschen, nicht aber deren Füllstand und Füllart sehe. Letztlich gehe es damit um 4 oder 5, die auf IKEA geworfen worden seien.
Rechtlich stelle sich das Ganze dann wie folgt dar:
- Das Demonstrationsrecht sei nicht anwendbar.
- Die Angeklagten hätten (objektiv) wenigstens während ihrer körperlichen Anwesenheit den anderen Teilnehmern Sicherheit vermittelt. Sie hätten Sachbeschädigungen, Brandlegungen und Körperverletzungen gefördert. Man meine, dass durch den gemeinsamen Start, die Vermummung und Bekleidung, das Mitgehen in gleicher Geschwindigkeit wie das Banner den anderen diese Sicherheit vermittelt worden sei. Sie hätten dadurch die zur Schau gestellte Militanz verstärkt und vermittelt, mit der Straftatbegehung einverstanden zu sein.
- Es stelle sich dann (subjektiv) die Frage, ob die Straftatbegehungen (Bsp.: Mollis, Körperverletzungen) auch gewollt gewesen seien. Weil am Start nach Überzeugung der Kammer die Angeklagten nicht damit gerechnet hätten, komme es auf die jeweilige Kenntnisnahme an. Die lasse sich für die Mollis ausschließen, weil die einzigen feststellbar geworfenen erst nach Abwesenheit der Angeklagten geworfen worden seien. Hinsichtlich der Körperverletzungen an Busfahrer und Frau vor der Botschaft / dem Konsulat gehe die Kammer davon aus, dass die Angeklagten diese ebenfalls nicht mitbekommen hätten. Hinsichtlich der hinter den eingeworfenen Scheiben befindlichen Personen gehe die Kammer davon aus, dass man damit nicht rechnen musste, dass dort schon Personen anwesend seien wegen der frühen Stunde. Jedenfalls habe man das berechtigt hoffen dürfen („bewusste Fahrlässigkeit“). Uneinig sei die Kammer sich bei der Frage, wie es mit dem Vorsatz betreffend die Körperverletzung des im Moment des Bewurfs im Dienstfahrzeug befindlichen Bundespolizisten sei. Hier stellten sich gleich mehrere Fragen:
- Wurde durch das Weggehen der Angeklagten die vorherige Beihilfe aufgehoben oder wirkte psychische Bestätigung fort? Davon hinge dann ggf. auch die (weitere) zivilrechtliche Haftung ab. Man müsse sich hierfür im Prinzip fragen, ob die anderen Teilnehmer das Weggehen als Missbilligung verstanden hätten. Wenn ein Zielpunkt vereinbart worden sei (z. B. IKEA), dann wäre ein „vorzeitiges“ Verlassen ggf. als Missbilligung zu verstehen. Für die Vereinbarung eines fixen Zielpunkts gebe es aber keine Anhaltspunkte. Klar wäre die Sache bei entsprechenden Willensbekundungen („Hört auf damit!“ oder „Macht weiter!“), aber dafür gebe es auch nichts. Vorliegend seien Anhaltspunkte für eine Fortwirkung ggf., dass das Verlassen für sich neutral sei und (auch) als weitere Billigung und Solidarisierung verstanden werden könne, dass die Unrechtsdimension später ähnlich sei wie vor dem Verlassen, dass ohne Zielpunkt das Verlassen keinerlei Aussagewert habe. Gegen eine Fortwirkung spreche, dass das objektive Momentum mit Weggehen entfalle (keine Vermittlung von Sicherheit mehr pp.), dass das Weggehen in dubio pro reo als Missbilligung verstanden wurde von den anderen Teilnehmern und letztlich auch keine anderweitigen Unfriedlichkeiten der (deutschen) Angeklagten an anderen G20-Tagen feststellbar seien. Das sei ein offener Meinungsbildungsprozess, der auch in der Kammer noch nicht abgeschlossen sei.
- Falls ein Fortwirken angenommen würde: Mussten die Angeklagten damit rechnen, dass nach ihrem Weggehen die Polizei angegriffen würde, wenn vorher keine da war? Dafür spreche aus Sicht der Kammer, dass die Unrechtsdimension nicht anders sei als vorher auch und im Übrigen sich diese Beamten gerade nicht dem Zug entgegengestellt hätten, sondern ohnehin da gewesen seien.
- Dann müsse man aber schließlich die Frage beantworten, ob der eigentliche Straftäter, der mit dem Hammer auf das Auto der Bundespolizei eingeschlagen habe, überhaupt
- Körperverletzungsvorsatz gehabt habe. Denn der Bundespolizist selbst habe immerhin angegeben, dass er ggf. in dem Fahrzeug gar nicht gesehen worden sei.
- Zentrale Frage sei für die Kammer ohnehin, ab wann welcher Angeklagte was mitbekommen habe (Kenntniselement). Es gehe insofern um visuelle und akustische Wahrnehmbarkeit /Wahrnehmung, wobei die Videos zur Akustik nicht hilfreich seien, weil ggf. verzerrt, und hier auch ein Sachverständiger nicht weiterhelfen könne, der habe schließlich auch nur die Videos als Beurteilungsgrundlage. Derzeit gehe die Kammer davon aus, dass spätestens ab der Rainvilleterrasse für die Angeklagten (visuell) auch die Brandlegung an Fahrzeugen erkennbar gewesen sei, so dass hinsichtlich der weiteren Brandlegungen an PKW im Zeitraum der Anwesenheit der Angeklagten auch Vorsatz in Form der billigenden Inkaufnahme bestehe.
Abschließend teilte die Kammer mit, bald am Ende der gerichtlichen Beweisaufnahme sein zu wollen. Es gebe noch einzelne Beweiserhebungen – zu Loïc –, dann sei das gerichtliche Programm aber erschöpft.
stay tuned:
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Rondenbarg
Für 2020 ist zudem der Prozess zum Rondenbarg angekündigt, das Datum für den Prozess-Start steht allerdings noch aus. Wir erinnern uns: 2018 stand der Genosse Fabio aus Italien vor Gericht, der Prozess war jedoch vor Urteilsverkündung geplatzt, da die Richterin in den Mutterschutz ging.
Anfang September 2019 erhielten nun 19 junge Gipfelgegner*innen eine umfangreiche Anklageschrift. Ihnen wird vorgeworfen, an einem Demonstrationszug durch die Hamburger Straße Rondenbarg während des G20-Gipfels im Juli 2017 beteiligt gewesen zu sein. Anfang Oktober erhielten 11 weitere Aktivist*innen, die nach Erwachsenenstrafrecht verfolgt werden, ebenfalls eine Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft baut im Rondenbarg-Komplex dieselbe Rechtskonstruktion auf, mit der sie auch im laufenden Elbchausseeverfahren hohe Haftstrafen für die zum Tatzeitpunkt ebenfalls größtenteils Minderjährigen fordert. Sie geht davon aus, dass alle Demonstrant*innen einen „gemeinsamen Tatplan“ gehabt hätten, der die angeklagten Straftaten beinhaltet habe.
Die Drei von der Parkbank
Seit Anfang Juli 2019 gibt es außerdem zwei neue Menschen in Untersuchungshaft im Knast Holstenglacis in Hamburg. Zusammen mit einer weiteren Person wurden sie in der Nacht auf den 8. Juli 2019 auf einer Bank in einem Hamburger Park festgenommen. Noch in derselben Nacht gab es Hausdurchsuchungen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen, bei denen Personen teilweise mit gezogener Waffe aus dem Bett geholt wurden. Am 9. Juli wurden drei Personen dem Haftrichter vorgeführt, für zwei wurde U-Haft erlassen. Die dritte Person wurde unter Auflagen wieder rausgelassen.
Am 9. Oktober gab es bei der dritten Person eine weitere Hausdurchsuchung, um an Schriftproben zu gelangen. Im Zuge dessen wurde von ihr – wie zuvor den zwei anderen – DNA genommen. Nachdem was öffentlich bekannt ist, sind die drei aufgrund von Observationsmaßnahmen festgenommen worden. Konkret wollen die Cops in der Nacht zum 8. Juli eine Person beim Befüllen eines Kanisters an einer Tankstelle gesehen haben und den zwei anderen Personen von zuhause bis zur Parkbank gefolgt sein, wo durch Zivis die Festnahme der drei erfolgte. Die Generalbundesstaatsanwaltschaft hat den Prozess an sich gezogen.
Der Prozess gegen die drei begann am 8. Januar, die Anklage lautet versuchte schwere Brandstiftung in einem Fall sowie Verabredung zu Straftaten/Brandstiftung. Da die drei Gefährt*innen sich weder zu den Anklagepunkten, noch zu den Ermittlungen äußern, ist die Staatsanwaltschaft darauf angewiesen, sie mit Hilfe der Ermittlungsergebnisse zu überführen. Der Zeitpunkt der Verhaftung legt laut Anklageschrift nahe, dass die Beschuldigten Anschläge zum G-20 Jahrestag geplant haben sollen. Die Verfolgungsbehörden brauchen offensichtlich weiterhin irgendwelche Verantwortliche für die Geschehnisse während der Gipfelproteste, die der Stadt Hamburg die Show gestohlen haben und wollen dafür Rache üben.
Der Prozess ist bislang bis April terminiert und findet im Hochsicherheitssaal 237 im Landgericht Hamburg (Sievekingplatz 1) statt.
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„Die 3 von der Parkbank“
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20357 Hamburg
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