oder: Was hat Ernst May mit der Gentrifizierung 2019 in Frankfurt zu tun?
Das Bauhaus-Jubiläumsprogramm scheint beeindruckend. Unzählige Veranstaltungen, Ausstellungen, Festreden, Würdigungen und Preisverleihungen bundesweit. Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) reiht sich da mit einer Ausstellung ein, die das »reiche Frankfurter Erbe für die Moderne«, verbunden mit dem Namen Ernst May und dem Wohnungsbauprogramm des »Neuen Frankfurts«, in die Gegenwart zu holen versucht. May habe mit einem »beispielhaften Wohnungs- und Städtebauprogramm« zwischen 1925 und 1930 geradezu den »Ruhm der Stadt als Hochburg der Moderne« begründet. Mit Ernst May nahm hier in Frankfurt »die Moderne als Lebensform Gestalt an«.
(DAM) May als Urvater von Skyline und »Global City« Frankfurt?
Die von May und seinen Mitstreiter*innen konzipierten Siedlungen an den Rändern der damaligen Innenstadt – von der Römerstadt bei Praunheim über die Hellerhofsiedlung im Gallus bis nach Niederrad und Sachsenhausen – sind tatsächlich beeindruckend: Ca. 12.000 »moderne« Wohneinheiten, jenseits des »Wohnungselends« wie des wilhelminischen Protz und »Barocks«, stattdessen klare Linien, viel Licht und Luft und ein funktionales Innenleben der Wohnungen. Der »Festredner« des heutigen Tages, Planungsdezernent Mike Josef, verspricht an »der Umsetzung des Neuen Frankfurt in die Gegenwart« anzusetzen. »Die Fragen des sozialen und preiswerten Bauens«, für die May und sein Team stehe, »sind heute in Frankfurt aktueller denn je«, so Dezernent Josef. Wie wahr. Aber geht es den Ernst-May-Bejublern wirklich um die Aneignung und zeitgemäße Weiterentwicklung der Konzepte des »Neuen Frankfurts« – oder wird Ernst May nicht eher seiner sozialpolitischen Agenda »enteignet«?
Das »Neue Frankfurt« – ein soziales Reformprogramm
Was in der May-Euphorie gern vergessen wird: »Neues Frankfurt«, das heißt bezahlbare Wohnungen für die, die sich teures Wohneigentum nicht leisten können. Mittlerweile, so May 1930 in der namensgebenden Zeitschrift »Neues Frankfurt«, gingen»Wohnungspolitiker der verschiedensten Ländern der Erde« auf die »hohen Ziele zu, den Menschen, und unter ihnen besonders wieder den hilfsbedürftigen minderbemittelten Schichten, zu Wohnungen zu verhelfen, die wesentlich mit dazu beitragen sollen, ihnen das Leben lebenswert zu gestalten.« May sieht dabei »im Geist das Heer der Entrechteten, die sehnsüchtig einer menschenwürdigen Unterkunft harren« und die fordern: »Schafft uns Wohnungen, die, wenn auch klein, doch gesund und wohnlich sind und liefert sie vor allem zu tragbaren Mietsätzen.«
Das »hohe« Ziel, »Wohnungen für das Existenzminimum« zu schaffen, konnten freilich auch die Projekte des »Neuen Frankfurt« nach 1925 nicht wirklich realisieren. Wie May selber feststellen musste, waren die Wohnungen nur für wenige Arbeiter*innen leistbar – insbesondere, als in der Weltwirtschaftskrise von 1929 die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schossen. Auch setzte das »Neue Frankfurt« weniger auf kollektive Selbstorganisierung der Bewohner*innen denn auf eine paternalistische und letztlich undemokratische Planungspolitik von oben. Zudem folgte der Wohnungsbau mit seiner Orientierung auf Einfamilienhaushalte und Einzelküchen dem Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, wodurch Geschlechterrollen und Formen der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung festgeschrieben wurden. Doch trotz aller wichtigen Kritik: Die Notwendigkeit eines sozialen Wohnungsbaus in öffentlicher Hand als zentrales Moment sozialer Infrastruktur wurde wenigstens als Ziel klar formuliert und erste Schritte in diese Richtung unternommen.
Frankfurter Realitäten
Von einer solchen Herangehensweise ist Frankfurt in der Gegenwart meilenweit entfernt. Wohnungsbau für Menschen ohne reichlich Kohle findet kaum statt! Hier geht es spätestens seit den Zeiten des unseligen grünen Planungsdezernenten Cunitz um ganz andere Zielgruppen: Nicht die »Minderbemittelten« und »Entrechteten« sollen in Frankfurt einen Platz zum Leben und Wohnen haben, sondern die Klientel der Reichen, der anlagesuchenden Investoren; es geht einzig darum, die viel zitierten Brexit-Banker in die Stadt zu locken. Im Rahmen der neoliberalen Stadtentwicklung und des Ausbaus von Frankfurt zur »Global City« wird für den gehobenen bis luxuriösen Bedarf dieser Szene gebaut. Ja »Bauen, Bauen, Bauen« – da ist sich die Kommunalpolitik von Schwarz-Grün bis zu Schwarz-Rot-Grün einig. Gebaut wird tatsächlich, aber für wen? Ein oberflächlicher Blick ins Europaviertel, ins gentrifizierte »neue« Gallus oder ins Ostend rund um den glitzernden EZB-Tower genügt: da bestimmt nicht das schlichte Bauen des »Neuen Frankfurts« und die Funktionalität der »Frankfurter Küche« das Bild, sondern gigantische Wohnlandschaften mit Skyline-Blick von ausladenden Terrassen, 100.000 €–Küchen nebst Marmorbädern.
Während der Bau von Luxus-Eigentum floriert, fällt in Frankfurt eine Sozialwohnung nach der anderen aus der Sozialbindung. Von fast 68.000 Wohneinheiten (1990) ist ihre Zahl innerhalb von 25 Jahren auf unter 27.000 gesunken. Und der Trend setzt sich fort, trotz großer Worte des sozialdemokratischen Planungsdezernenten. Auch die Praxis der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG hat wenig zu tun mit einer »Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen« – so ihr ursprünglicher Name vor und während der Zeit des »Neuen Frankfurts«: Statt echte Sozialwohnungen nach dem 1. Förderweg baut sie – wenn überhaupt geförderten Wohnungsbau – fast ausschließlich nach dem sogenannten Mittelstandsprogramm.
Wo legitime Forderungen nach mehr Sozialwohnungen noch immer mit unsäglichen Ghetto-Diskursen abgebügelt werden, wo die öffentliche Hand ihrem sozialen Auftrag nicht nachkommt und stattdessen das Immobilienkapital hofiert, wo Verdrängung beklagt und gleichzeitig weiter munter die Werbetrommel für Brexit-Banker gerührt wird, da ist das Ergebnis unweigerlich eine Stadt der Reichen – und also genau das Gegenteil dessen, wofür Ernst May und das »Neue Frankfurt« eigentlich stehen.
Der nächste Akt: Das »Ernst-May-Quartier«
2019 steht nördlich des Günthersburgparks im Nordend ein neues Leuchtturmprojekt unsozialer Stadtentwicklung an: Die Planungen des hochpreisigen Wohnprojekts »Günthersburghöfe«, vormals weniger romantisch: Innovationsquartier, sollen in trockene Tücher gebracht werden. Die Stadtverwaltung arbeitet an einem Bebauungsplan – mit Hochdruck. Der Hauptinvestor nennt sich Instone AG, ist ein börsennotiertes Unternehmen für Anlagen in Betongold und mit Unterstützung der Stadt an mehreren hochpreisigen Bauvorhaben beteiligt, darunter das Luxusquartier »Marie« im Nordend und dem »Schönhof-Viertel« in Bockenheim. Statt auf bereits versiegelten Flächen geförderten Wohnraum zu errichten, sollen für private Profite die Gärten der »Grüne Lunge« platt gemacht werden. Das würde nicht nur die Frischluftzufuhr für Bornheim und das Nordend kappen, sondern auch eine einzigartige urbane Wildnis zerstören – mit verheerenden Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt sowie die vielen Frankfurter*innen, die das Areal alltäglich nutzen. Die teuren „Günthersburghöfe», die anstelle der »Grünen Lunge« entstehen sollen, sind dabei nur der erste Bauabschnitt für ein neues Stadtviertel, das »Ernst-May-Quartier«. Wo May die »zielbewußte Auflockerung des Stadtganzen durch Hereinziehung breiter Grünflächen in das Stadtinnere« und »Dauerpachtgartenanlagen für Kleingärtner« vor Augen hatte, sollen jetzt in seinem Namen genau diese Elemente des städtischen Raums zerstört werden. Was für eine Farce!
Stadt für Alle statt Luxuswohnungen!
Grüne Lunge bleibt – Instone AG stoppen!
Für eine sozial-ökologische Stadtentwicklung für ALLE!
Initiative »Stadt für Alle« — Brigade »Not in M-a-y Name«