Ein Geheim-Prozess für traumatisierte Autobesitzer*innen

Zur Eröffnung des Elbchaussee-Prozesses in Hamburg

Ortsgruppe Frankfurt/M.
Am 18. Dezember 2018 wurde in Hamburg der erste Prozess eröffnet, der sich mit den Ereignissen in der Elbchaussee während des G20-Gipfels am frühen Morgen des 7. Juli 2017 befasst. Angeklagt sind vier Genossen aus dem Rhein-Main-Gebiet sowie ein Franzose. Den meisten wird dabei lediglich die Anwesenheit vorgeworfen, die Staatsanwaltschaft will sie aber für die ganzen Ereignisse verantwortlich machen und rechnet mit hohen Haftstrafen. Es geht dabei um das Demonstrationsrecht im Allgemeinen. Am 10. Januar wurde die Öffentlichkeit vom Prozess auf Antrag der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen. Wir sprachen daher mit einer Aktivistin des Solibündnisses „United We Stand Frankfurt/Offenbach“.

Liebe Caro, in Hamburg läuft der Elbchaussee-Prozess gegen fünf junge Männer aus Deutschland und Frankreich. Wieso ist der Prozess so wichtig?
Vor Gericht stehen zur Zeit vor allem zwei Fragen im Mittelpunkt: War das überhaupt eine Demonstration? Und davon abhängig: War es strafbar, dabei gewesen zu sein? Der Prozess hat Parallelen den anderen G20-Prozessen rund um den Rondenbarg, der Anfang 2018 unterbrochen wurde und zu keinem Abschluss kam. Die große Frage des Elbchaussee-Prozesses ist daher, ob sich die Staatsanwaltschaft damit durchsetzen wird, Demonstrationen mit verabredeten Schlägereien von Fußball-Hooligans gleichzusetzen. Dies wäre eine enorme Aushöhlung des Demonstrationsrechts mit weitreichenden Konsequenzen.

Das sind ja die allgemeinen politischen Folgen. Was bedeutet der Prozess für die Angeklagten? Was sind denn die genauen Vorwürfe, die verhandelt werden?
Nur einem der fünf wird eine direkte Beteiligung an Sachbeschädigungen vorgeworfen. Den anderen vier wird bloß die mutmaßliche Teilnahme an dem Zug durch die Elbchausse zur Last gelegt und soll als Landfriedensbruch im besonders schweren Fall verurteilt werden. Staatsanwaltschaft und Oberlandesgericht wollen ein Strafmaß von mindestens fünf Jahren Haft erreichen – selbstverständlich ohne Bewährung. Die fünf sollen stellvertretend für alles, was an diesem Morgen passiert ist, verurteilt werden, da die Polizei trotz größtem Aufwand keine anderen vermeintlichen „Täter“ aufgreifen konnte. Der Druck auf die Angeklagten wird zusätzlich dadurch erhöht, dass die Justiz im Falle einer Verurteilung auch noch mit Zivilklagen droht. Hier stehen Forderungen in Millionenhöhe im Raum. Die Staatsanwaltschaft listet hier detailliert alles von einem abgebrochenen Außenspiegel bis hin zu traumatisierten Autobesitzer*innen auf. Die Verlesung hiervon hat bei der Prozesseröffnung allein mehr als eine Stunde gedauert.

Diese fünf sind das ganze Ergebnis der Sonderkommission „Schwarzer Block“, trotz Öffentlichkeitsfahndung und all dem? Wie kommen sie auf ausgerechnet diese fünf?
Ja, da hatte sich die Polizei von Videobeweisen ganz anderes erhofft. Bei einem der fünf beruht die Anklage auf einem Rucksack mit Ausweispapieren, der in der Nähe der Elbchaussee gefunden wurde. Die anderen vier sieht die Staatsanwaltschaft als gemeinsam agierende Gruppe, die während der G20-Proteste in der Stadt unterwegs war. In einer S-Bahn-Station in der Nähe der Elbchaussee soll eine Überwachungskamera die vier am fraglichen Morgen aufgezeichnet haben. In dem Zug von mehrheitlich vermummten Demonstranten, um den es letztlich geht, meint die Staatsanwaltschaft, diese trotz Vermummung wiedererkennen zu können. Am Ende des Tages beruht die Anklage bei allen nur auf Indizien.

Bei den Hausdurchsuchungen vergangenen Sommer im Rhein-Main-Gebiet soll einer der beteiligten Polizeibeamten gesagt haben, dass man wisse, dass es sich bei den Beschuldigten um „kleine Fische“ handelt. Zwei sitzen dennoch seit dem in Untersuchungshaft. Wieso?
Dafür ist hauptsächlich das Oberlandesgericht verantwortlich, das ja schon zuvor einen jungen Italiener wegen angeblicher „schädlicher Neigungen“ in seinem Charakter für Monate hinter Gitter gesteckt hat. Das zuständige Landgericht hat zwar die zwei Angeklagten mangels Fluchtgefahr im November freigelassen. Dagegen lief die Staatsanwaltschaft aber Sturm und erreichte ihre sofortige Wiederinhaftierung. Das Oberlandesgericht entschied dann, dass die beiden aufgrund der zu erwartenden hohen Strafe in Haft verbleiben müssen. Ein dritter sitzt seit Oktober in Hamburg ein. Da er französischer Staatsbürger ist, fällt es der Justiz hier sehr leicht, die Notwendigkeit der Haft zu begründen.

Der Prozess wurde nun am 18. Dezember eröffnet. Was ist an dem Tag passiert?
Erstmal muss man sagen, dass schön viele Genoss*innen da waren, um die Eröffnung zu begleiten. Mehr als 120 und nicht nur aus Hamburg haben einer Kundgebung vor dem Gericht beigewohnt, damit klar wird, hier geht es um sehr viel, hier geht es um uns alle und wir lassen die fünf nicht allein. Aber auch die bürgerliche Öffentlichkeit war mit Presse und zahlreichen Kameras zugegen. Das Bewusstsein, dass hier keine kleine Sache verhandelt wird, ist überall vorhanden.
Im Gerichtssaal selbst ist, wie oft bei großen Prozessen, erst einmal nicht viel passiert. Der absolute Höhepunkt war hier die Begrüßung und Verabschiedung der Angeklagten mit Applaus und Getöse. Die Aussicht auf diesen Moment hat sie all die Zeit motiviert, wie sie uns in Briefen mehrfach versichert haben. Im Saal haben sie viel Selbstbewusstsein und Zuversicht gezeigt. Wir hatten gehofft, dass das so weitergehen könnte…

…doch schon am nächsten richtigen Prozesstag wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Wie kam es dazu?
Am dritten Prozesstag hat die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, für die Dauer der Beweisaufnahme die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Beweisaufnahme ist eigentlich alles zwischen Eröffnungs- und Schlusserklärungen. Begründet hat sie ihren Antrag zynischer Weise mit dem Wohle der Angeklagten: Diese würden durch das massive öffentliche Interesse und das aktive Publikum unter Druck gesetzt werden. Dass es hier um das Unterbinden von Solidaritätsbekundungen geht, ist offensichtlich. Auch die Aufmerksamkeit, die der Prozess bekommt, wird dadurch geschwächt. Das dürfen wir nicht zulassen. Das ist ganz klar ein strategischer Schritt, wie auch schon der Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen die Richter*innen, weil diese die Untersuchungshaft für unbegründet hielten. Dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren so offensichtlich politisch führt und einen Befangenheitsantrag gegen ein Landgericht stellt, ist für uns eine neue Dimension.

Was kann man denn jetzt noch tun, um die Angeklagten und die Solidaritätsarbeit zu unterstützen?
Man kann eine ganze Menge tun, damit deren Strategie nicht aufgeht: Schreibt den Gefangenen! Begleitet den Prozess, in dem ihr euch über ihn informiert, aber auch persönlich – die Prozesstermine findet man im Internet – denn zu zeigen, dass wir die Angeklagten nicht allein lassen, ist jetzt noch wichtiger. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Geheimprozess einfach Tatsachen schafft. Stattdessen sollte uns allen vor Augen führen, wie wichtig es ist, politisch gegen Repression und Verfolgung vorzugehen, die so viele Linke erleiden müssen. Daher gilt also das gleiche wie immer: Der Kampf geht weiter!

Post für die Angeklagten bitte an:
Rote Hilfe – Ortsgruppe Frankfurt
c/o Café ExZess, Leipzigerstr. 91
60487 Frankfurt

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