Ereignisreiche Wochen und Monate liegen hinter uns – wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir im Herbst 2020 Teil einer bundesweit beachteten Auseinandersetzung im hessischen Hinterland sein würden? Doch jetzt überwiegt der Schmerz und die Wut über den Verlust des Waldes und der Barrios, die wir im Wald geschaffen haben. Es tat weh, ein Baumhaus nach dem anderen fallen zu sehen. Es macht traurig, die gewaltige Schneise der Zerstörung zu betrachten, die die Harvester hinter sich gelassen haben. Wir sind weit davon entfernt zu behaupten, dass aus Schlechtem Gutes entsteht. Wir haben einen Ort verloren.
Und doch ist viel Gutes entstanden. Wir haben uns kennengelernt. In den Barrios und in all den Tagen wurden Affinitäten bestärkt und neue entstanden. Dort, zwischen Marburg und Kassel, haben wir Unbekannte kennengelernt und sie uns. Schnell wurden aus Unbekannten Companer@s, Freund*innen, Genoss*innen. Dort, wo viele Jahre eher ein rechter Mainstream (wir erinnern an die Nazis und Fascho-Bullen in Kirtorf) herrschte, sind andere Lebens- und Gesellschaftsentwürfe wieder sichtbar geworden. Das ist nicht wenig.
Vor unserer Trauer war die Wut: ein weiter so wird es nicht mehr geben, darf es nicht mehr geben. Das war das Signal, welches wir aus dem Herri, dem Mauli und dem Danni gesendet haben. Wir haben Nein gesagt zum ewigen „weiter so“ – nein zu Knechtschaft, nein zu Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur, nein zu allen Unterdrückungsformen. Und viele haben sich in unserem Kampf wiedergefunden – von überall her kamen wir und überall waren wir, um der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten. Diesmal noch wurden wir besiegt. Aber nicht wir wurden besiegt, denn eine Idee, eine Haltung kann nicht besiegt werden. Besiegt wurde ein intakter Mischwald, ein Trinkwasserschutzgebiet, ein überraschend hübsches Fleckchen Erde. An klaren Tagen können wir von hier bis in die Höhen des Vogelsberg schauen, und über die Ohm auf den Basaltsockel von Amöneburg.
Diejenigen, die sich „Die Grünen“ nennen, sie haben sich verkrochen, haben sich weggeduckt. Wir haben ihren Opportunismus für alle sichtbar gemacht. Auch das ist nicht wenig. Sie reden von Gesetzen, von Bundesentscheidungen, von Mehrheiten. Es läge nicht in ihrer Macht. Wir glauben ihnen schon lange nicht mehr. Sie sagen, sie wollen den Klimawandel stoppen. Wir haben gesehen, wie: mit Knüppeln, Tritten und ihren Wasserwerfern. Ihre Lösungen sind Teil des Problems. Sie sind das Problem. Wir vergessen nicht.
„So lange es den Menschen und die Umwelt geben wird, wird die Polizei zwischen ihnen stehen“ (Unsichtbares Komitee, Der Kommende Aufstand)
Unser Weg ist noch weit. Wir haben gerade erst wieder begonnen. Die Entfremdung aufzuheben in einer durchkapitalisierten Gesellschaft – ist uns das im Wald gelungen? Wir ziehen weiter, ja – und doch bleiben wir vor Ort. Wir haben ein Netz gespannt, das von den verschiedensten Orten dieser Welt bis in die kleinsten Dörfer Hessens reicht. Wir wollen und wir werden uns nicht vergessen. Wir werden die Menschen in Dannenrod, in Homberg, in Niederklein nicht alleine lassen. Denn der Kampf ist noch nicht vorbei. Sie dachten, sie brechen mit den Bäumen auch uns – vergesst es. Noch ist dort, wo gestern noch Wald war, kein Zentimeter Straße gebaut. Wir lernen, wann es Zeit ist, den Kopf hängen zu lassen, sich in Gedanken, Trauer und Wut zu verlieren. Wann es Zeit ist, zu streiten, zu diskutieren, gemeinsam zu lachen und weinen. Jetzt ist die Zeit, zu ruhen, sich um unsere Gefangenen zu kümmern, aus Fehlern zu lernen – und neue Pläne zu schmieden. Denn es ist nicht vorbei.
Über unseren Feind wollen wir schweigen. Die Bullen sind es nicht wert, Gedanken an sie zu verschwenden. Die Knechte kommen uns schon immer vor wie seelenlose Maschinen, gedrillt auf Macht und Gehorsam. Diesmal noch waren wir zu wenige, diesmal noch haben sie obsiegt. Doch was ist ihre Brutalität gegen unsere Solidarität? Was ist all ihre Technik gegen die vielen Hände, die Baumhäuser gebaut, Barrikaden errichtet haben – gegen die, die auf Schaukeln, den Wipfeln und über den Autobahnen saßen – gegen die, die Essen kochten und brachten, ihre Türen öffneten, auf Seilen tanzten oder die Bullen zum Tanz baten? Mögen sie sich einschließen in ihrer Burg aus rostigem Stahl. Wir gehen hinaus und verbreiten den Samen des Widerstands. Wo heute ein Baumhaus steht, stehen morgen zwei. Und übermorgen…
Wir sind gespannt. Wen werden wir auf unserem Weg treffen? Wer wird mit uns ziehen? Wo werden wir uns treffen? Mit Sicherheit wieder hier, dort wo einst unsere Barrios waren. Morgen vielleicht aber auch schon an einem anderen Ort, wo sie ihre zerstörerischen „Projekte“ durchsetzen wollen. Mit Sicherheit an den Orten, an denen Menschen kämpfen. Wir kennen viele dieser Orte. Wir werden dort sein. Denn wir sind das Unkraut, das immer wieder kommt.
Unbekannte*Personen