A future to win – Thesen zum klimapolitischen Aufbruch

Der 20.9. hat alle Erwartungen übertroffen. Er hat ein Zeichen gesetzt. Er ist ein Meilenstein gewesen. Das lässt sich daran erkennen, dass wir vom 20.9. schreiben und alle wissen was gemeint ist. Wir erleben den Aufbruch einer neuen Sozialen Bewegung.
Diese Bewegung produziert Widersprüche, sie formuliert Forderungen, sie ist pluralistisch und sie ist größer als die Summe ihrer Teile. Es gibt so viele Akteure, dass kein Akteur sie aktuell steuern kann. Statt dessen befruchten, motivieren und radikalisieren sich die verschiedenen Akteure gegenseitig. Die Bewegung fordert (Klima-)Gerechtigkeit ein, sie fordert ihr zukünftiges Glück ein. Und im Gegensatz zu ihr delegitimiert sich die herrschende politische Klasse (Stichwort: „Klimapaketchen“) vollständig.
Der Global Climate Strike ist nicht aus der linksradikalen Szene erwachsen, er ist keine 1-Punkt-Kampagne gewesen, was sich auch darin ausdrückt, dass er in diesem Heft nicht groß beworben worden ist. Es war ein Zusammenkommen verschiedener Menschen, die entweder seit Jahrzehnten oder seit kurzer Zeit umweltpolitisch bewegt sind.
Die klassische Autonome Szene ist der Klimabewegung zu großen Teilen skeptisch gegenüber eingestellt. Das hängt einerseits an dem Verlust ökologischer Themen und Bezugnahmen im urbanen und meist akademisch geprägten linksradikalen Milieu. Zum anderen wird vielen Akteuren (sicherlich zu Recht) unterstellt, auf dem Ticket einer Bewegung ihre individuelle Karriere zu boosten und/oder reformistisch abzubiegen. Und zu guter Letzt vermuten wir eine Kränkung, weil die Linksradikalen nicht am Frontbanner stehen, sondern junge Schülerinnen (Denn allen hierarchiefreien Ansprüchen zum Trotz behält sich gerade die radikale Linke eben doch oft vor, Avantgarde sein zu wollen…)
Dies halten wir für kurzsichtig. Denn die Klimabewegung stellt zum ersten Mal seit mindestens der Globalisierungsbewegung die Kapitalismus-Frage auf einer sehr großen Breite – jedenfalls deutlich größer als bei Blockupy, beim G20 in Hamburg oder in der kapitalismuskritischen Vorlesung an deiner Uni. Die Bewegung erwächst aus einem zentralen Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise: Denn der Ressourcenverbrauch und die Verschmutzung durch die kapitalistische Produktionsweise stellt ohne wenn und aber die Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten infrage. Das Klimathema ist ein nicht zu verdeckender Widerspruch im Kapitalismus.
Die Klimabewegung stellt einen massenhaften Denkkorridor auf eine andere Zukunft auf. Zur Jahrtausendwende hieß es „Eine andere Welt ist möglich“, heute „Eine andere Zukunft ist notwendig“. Es ließe sich auch sagen, sie kreiert überhaupt den Gedanken einer Zukunft, die anders sein könnte als die Gegenwart. Dies ist etwas, an was es der Linken in ihrer Breite in den letzten Jahrzehnten gemangelt hat. Die Linke hat vor allem Abwehrkämpfe geführt, Widerstand gegenüber Ungerechtigkeiten benannt und entschiedene Neins gegenüber dem bestehenden formuliert – aber die Perspektive einer globalen, gesamtgesellschaftlichen Transformation von Produktionsweise und Lebensweise (ergo einer Revolution) hat sie selten eingenommen bzw. einnehmen können. In diesem letzten Punkt liegt die Chance, zusammen zu kommen oder die Kämpfe zusammen zu führen, wie es in Frankreich heißt.
Der Aufbruch der Klimabewegung lässt den immer wieder so genannten Rechtsruck im rechten Licht erscheinen. Nämlich als Zeichen einer klaren Polarisierung zwischen Menschen, die die Widersprüche im aktuellen System Ernst nehmen, in der Lage sind, kollektive Vorstellungen zu entwickeln und bereit sind, Veränderung zu denken und zu wagen. Und zwischen denjenigen, die all das nicht wollen oder können und sich für eine hochaggressive Art der Besitzstandwahrung entscheiden – bis hin zur faschistischen Option. Beide Bewegungen, müssen als Pole in einem Kampf miteinander verstanden werden.
Die Klimabewegung ist eine Chance für die radikale Linke. Sie stellt den Kapitalismus und dessen Vertreter*innen vor einen nicht zu verdeckenden Widerspruch. Sie stellt die Forderung nach einer Welt, in der alle Menschen das gleiche Recht auf Verwirklichung eines würdevollen Lebens und Glück haben. Sie mobilisiert entlang dieses Widerspruchs und der Forderung nach einer anderen Zukunft Millionen Menschen. Anders als die rechten Verschwörungstheoretiker glauben, wird die radikale Linke aber nicht die friday for future unterwandern. Das Gegenteil geschieht. Die Bewegung orientiert sich zwangsläufig an den Organisationsformen, die die Umweltbewegung, Bürgerrechtsbewegungen und undogmatische Linke in Jahrzehnten entwickelt hat.
Ein entscheidender Moment wird sein, wie sich die Mosaik-Linke zur Bewegung verhalten wird. Der umweltpolitische Teil der Linken ging der Bewegung voran (Stichwort: Hambi und Ende Gelände) und ist jetzt akzeptierter Teil von ihr. Allerdings sehen wir die Gefahr, dass große Teile der linken Szene in Selbstbezogenheit verharrt und wie so oft besserwisserisch neben einer vielfältigen Bewegung steht, die nicht alle Inhalte und Codes einer linksradikalen Bewegung vor sich herträgt. Wir denken, die große Chance läge darin, in die Klimabewegung einzutauchen und zu helfen, die Widersprüche im System zu verstärken. Dabei wird die Möglichkeit bestehen, die eigenen Erfahrungen zur Verfügung stellen zu können und zu potenzieren.
Als ein Knackpunkt wird sich hier die Frage der Militanz stellen, die sich die Klimabewegung ebenso wie jede Soziale Bewegung irgendwann stellen wird müssen. Bleibt der Großteil der Bewegung (insbesondere fridays for future) bei ihrem streng gewaltfreien Grundkonsens, dann wird sie Frustrationserfahrungen machen, weil die Effekte gering sind. Oder der Staat wird sich repressiver zeigen als er es jetzt tut, wenn die Blockaden und Störungen aller Art lästig, weil geschäftsschädigend werden. Spätestens dann werden sich Teile der Bewegung fragen, ob sie den Sprung vom Protest zum Widerstand gegen diese zerstörerischen Zustände wagen. Und dann ist es wichtig, dass Zusammenhänge mit entsprechenden Erfahrungen diese zur Verfügung stellen, im besten Falle die Bewegung von Anfang an entsprechend begleitet haben ohne diese zu verschrecken.
Ein zweiter Punkt ist die inhaltliche Zuspitzung. Wenn die Akteure sich nicht massenhaft frustriert zurückziehen oder nicht massenhaft in irgendeinem reformistischen Parteiprojekt aufgehen sollen, dann ist es wichtig, Forderungen aufzustellen, die das falsche Ganze benennen und keinen postkapitalistischen Ausweg à la Grüne Partei ermöglichen. Dann ist es wichtig, ein anderes Narrativ zu entwickeln, das klar macht, wie sehr wir alle zu gewinnen haben, wenn das kapitalistische System überwunden wird. Auf die Notwendigkeit zu beharren die zerstörerische Produktionsweise schnellstmöglich zu beenden, die auf endloses Wachstum basiert und eine globale Lebensweise erschafft, deren Glücksversprechen rein auf Konsum und Verknappung basiert. Den Entwurf einer Lebensweise zu transportieren, in der die Produktion an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist (Call it Communism, if you want). Und mit all diesem sofort zu beginnen. Je schneller, je umfassender wir uns aufmachen, desto besser. 0 Emission – statt 2 Grad! Werft radikale Fragen auf, stellt radikale Forderungen, schafft emanzipative frames, verbreitert alternative Narrative.
Als dritten wichtigen Punkt sehen wir die Organisationsweise an, der Prozess des Politikmachens. Zwar ist hier die Klimabewegung stellenweise progressiver als Teile der autonomen Linken, da sie sich hier viel an Erfahrungen und Methoden der gewaltfreien Strukturen orientiert. Aber je fester die Haltung hierarchiefreier und kollektiver Prozesse und Entscheidungsfindungen verankert ist, desto weniger können parteipolitische Projekte oder Karriereorientierte Einzelpersonen die Bewegung für ihre Zwecke kapern.
Einen vierten Punkt sehen wir in der Aufgabe und in der Chance linker Bewegung, explizite Verbindungen zu bestehenden Kämpfen um Befreiung zu schaffen. Klimapolitik erschöpft sich am allerwenigsten in technologischen Entwürfen, sondern steht in Verbindung zu vielen Kämpfen, in denen wir verortet sind. Migration und Fluchtursachen, das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben. Der Entwurf eines guten Lebens für alle, ist ein Feld, in dem diese Verbindungen zusammenlaufen. Aber auch die Abschaffung des Militärs als Hauptakteur von klimaschädlichen Abgasen und als ein zentrales Mittel von Geopolitik, gelte es zu verknüpfen. Der Verweis auf die linke Tradition, andere Vorstellungen von Gesellschaft und Staat zu entwerfen sowie konkrete Aufbrüche hin zu anderen Lebensweisen auszumalen und wie etwa in Rojava zu verteidigen, ist ebenfalls unsere Aufgabe.
Zu guter Letzt: Eine Beteiligung an den Klimaprotesten und der Versuch, diese zu zuspitzen, ist tatsächlich nicht nur strategisch aus anti-kapitalistischer Sicht sinnvoll, sie ist auch alternativlos. Denn die Bewegung hat recht. Der Kapitalismus fährt diesen Planeten an die Wand. Wenn in absehbarer Zeit Kipppunkte des Erdklimas erreicht sind bzw. in Dynamik kommen, werden Milliarden Menschen in furchtbare Not geraten, die zu extrem kriegerischen Auseinandersetzung führen werden. Wenn wir uns dem verschließen, wenn wir dies ignorieren und nicht verhindern wollen, dann sind wir denjenigen, die auf alles scheißen, SUV fahren und Besitzstandswahrung betreiben, näher als wir je sein wollten.
Einige Autonome aus Rhein-Main 25.10.19

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